Klonk! Noch ehe das eigene Gesäß endgültig Kontakt mit der Bierbank aufgenommen hat, knallt der in Lederhosen und Karohemd gekleidete Kellner einem die Maß vor die Nas‘. München, Oktoberfest, Bierzelt. Die prompte Bedienung lässt Biertrinkerherzen glucksen. Wer kein Bier will, muss resolute Gegenwehr leisten. Im Hintergrund – das ist so weit hinten, dass auch Nüchterne mit dem bloßen Auge keine menschlichen Formen ausmachen können, so groß ist das Zelt – spielt die Blaskapelle. Umtata. „Ein Prosit, ein Prosit, ...“, die Gäste zögern noch ein wenig, nur wenige steigen auf die Tische. Es ist noch früh, erst 12.30 Uhr.
Draußen, wo der Himmel unter der Spätsommersonne im besten bayerischen Blau strahlt, vor den Wiesn gibt es kaum ein Schaufenster ohne Dirndl und Lederhose. Nicht umsonst. Die Mehrzahl der Besucher, ob alt oder jung, heimisch oder von auswärts, trägt Tracht. Im bergigen Freistaat gelten Kurven noch was. Die Frauen wuchten das Dekolleté hoch, die Männer stellen in ihren Dreiviertelhosen die Waden zur Schau. Bei Männerwaden heißt es: Je praller das Unterbein, desto potenter der Besitzer. Das mag erklären, warum so viele trotz Spätsommertemperaturen richtig dicke Wollsocken tragen.
Trotz dieser kleinen Schummelei und spätestens als das Essen auf riesigen Tabletts herangetragen wird, ist der bierselige Besucher im siebten bayerischen Himmel; denkt sich, dass hier die Welt noch in Ordnung ist. Bei dem Essens- und Trinkangebot fühlt sich der Luxemburger, der sich zum Anlass auch gerne in gegerbter Tierhaut und kleinkarierten Hemden zeigt – bereits im Flugzeug–, nur wohl, willkommen und heimisch. Unter Leuten, die sich von den Deutschen distanzieren, an einem Ort, an dem die Geschlechterrollen noch unmissverständlich verteilt sind, wo man herrlich politisch unkorrekt und völlig ungestraft „Saupreiß“ sagen darf. Denn genau das denken sich die Vertreter der Luxemburger Fluggesellschaft Luxair wahrscheinlich, seit die Lufthansa vor wenigen Wochen ankündigte, der Luxair auf der Strecke Luxemburg-München Konkurrenz zu machen.
Schon vor einem Monat, noch bevor Luxair wirklich begann, die neue Direktverbindung von Luxemburg nach München, drei Mal täglich, ohne Zwischenstopp in Saarbrücken, zu bewerben, gab Lufthansa bekannt, mit der Einführung des Winterflugplanes ebenfalls zwei Mal täglich zwischen Luxemburg und der bayerischen Hauptstadt zu pendeln. Verrat. Unter Brüdern: Lufthansa ist mit 13 Prozent an Luxair beteiligt und in deren Verwaltungsrat vertreten. Der eigene Aktionär, mit dem auf dieser Strecke bislang ein Code-Share-Abkommen besteht, wirbt der Luxair auf einer ausbaufähigen Route die Kunden ab.
Bei der Führung durch den Flughafen am Dienstagmorgen lächelt die PR-Beauftragte der Flughafengesellschaft München professionell begeistert. Weist darauf hin, dass München der einzige Flughafen mit eigener Brauerei und Biergarten ist, eigens eine handvoll Brauer beschäftigt – „Airbräu“ nennt sich das. Sie erzählt von den kurzen Transitzeiten „in 30 Minuten kann der Passagier von einem bis zum anderen Gate, egal wie weit sie auseinander sind“. Wie er da noch vom Biergarten profitieren soll?
Hell und luftig ist die Architektur des Gebäudes, die Dachterrasse, eine Besonderheit, weil nach dem 11. September eröffnet, da andere Flughäfen die Aussicht aufs Gelände einschränkten. Sie bietet plane spotters, die man unschwer an der Ausrüstung erkennen kann, optimale Bedingungen für ihr Hobby. Um die 115 Destinationen fliegt Lufthansa von München aus an, die Passagierzahlen – vergangenes Jahr verbuchte München 32 Millionen Fluggäste – sollen bis auf 70 Millionen Kunden ansteigen. Dabei verdient die Lufthansa nicht nur an den verkauften Tickets.
In München – „eine Einzigartigkeit“, so die Flughafenangestellte – besitzt die Airline 40 Prozent des Terminal II. Sie mischt auch am Boden mit und hat deshalb großes Interesse, viele Passagiere über die bayerische Hauptstadt zu leiten. Die ist mittlerweile nach Frankfurt ihr zweitwichtigster Stützpunkt, neudeutsch „Hub“, in Deutschland. Weil die Lufthansa ihre Hubs miteinander konkurrieren lässt, erklärt Alberto Kunkel, Chef von Luxair-Tours, haben die bayerischen Lufthanseaten entschieden, selbst dafür zu sorgen, dass auch aus Luxemburg viele Passagiere nach München kommen.
Die Entscheidung versetzt die Luxair in eine missliche Lage. Denn das Code-Share-Akommen, das darauf hinausläuft, dass Passagiere, die einen Langstreckenflug ausgehend von Luxemburg über München wollen, zwar bei Lufthansa buchen, aber die kurze Strecke vom Findel bis zum Franz-Josef-Strauß-Flughafen mit der Luxair zurücklegen, bleibt bestehen. Das heißt, die Lufthansa fliegt selbst, verdient aber weiter an den Luxair-Passagieren mit. Denn für jeden Code-Share-Passagier, der in München in die Lufthansa umsteigt, erhält die Luxair lediglich einen prozentuellen Anteil am Gesamtticketpreis.
Insgesamt fünfmal täglich geht es ab dem 31. Oktober zwischen Luxemburg und München hin und zurück. Weil die Luxair keine Passagiere in Saarbrücken aufnimmt, steigt die Kapazität an Bord der Luxemburger Flugzeuge, der Q-400-Propellermaschinen mit je 72 Sitzen, um 53 Prozent, wie Kunkel erklärt. Zusammen mit der Lufthansa kann man täglich 700 Kunden transportieren. „Eine ganze Menge“, wie Kunkel während der Pressekonferenz am Dienstag in München anmerkt. Er und Frank Schmit, verantwortlich für das Marketing der Linienflugsparte, versuchen, sich zuversichtlich zu geben und den Verrat durch die Aktionäre herunterzuspielen.
Durch das große Angebot und die guten Verbindungsmöglichkeiten, legen sie dar, werden im Buchungssystem die Möglichkeiten, via München zu reisen, gesteigert. „Dadurch wird der Kuchen insgesamt größer“, sagt Kunkel. Kunden, die das System, mit dem die Reisebüros arbeiten, bisher vielleicht via Amsterdam oder Zürich in die große weite Welt geschickt hätte, könnten nun über München geleitet werden. Davon hofft die Luxair zu profitieren, und rein theoretisch ist das möglich. Denn Amsterdam und Zürich fliegt Luxair überhaupt nicht an, kann also nicht mal Krümel mit Code-Share-Passagieren verdienen. Luxair fliege zeitlich optimal in die „Umsteigewelle“ der Lufthansa-Flüge in München. Die Zeiten seien sogar mit den deutschen Kollegen abgeklärt, deswegen besonders günstig getimt.
Momentan liegt der Anteil der Umsteiger auf der Luxair-Route ab Luxemburg bei 50 Prozent. Wer aber welches Stück vom Münchener Kuchen abbekommt, das kann Kunkel nicht abschätzen. „Natürlich wird es da Verschiebungen geben. In welche Richtung, ist schwierig abzusehen.“ Denn erstens verdient die Lufthansa im Transit immer mit, auch wenn Luxair durch diesen „Systemeffekt“ die Passagierzahl insgesamt steigern kann. Zweitens hat Lufthansa wahrscheinlich die eigenen Flüge zeitlich so abgestimmt, dass auch ihre Fluggäste den Anschluss in München nicht verpassen. Drittens stellt sich die Frage, ob durch den Aufstieg des Flughafens München als Transitort die Attraktivität des Flughafens Frankfurt in dieser Funktion nicht geschmälert wird. Frankfurt ist nach London die wichtigste Strecke für Luxair-Airlines mit einem Umsteigeranteil von 80 Prozent auf den Passagierlisten. Nach Frankfurt gibt es zwischen der Luxemburger und deutschen Gesellschaft zwar auch ein Code-Share-Abkommen. Doch auf der Strecke hat Luxair bislang die Exklusivität.
Wenn die Luxair-Verantwortlichen das Potenzial, den Anteil der Transit-Passagiere zu steigern, dermaßen hervorheben, machen sie ohnehin aus der Not eine Tugend. Denn weil sie bei diesen Passagieren nur einen Anteil des Tickets einkassieren kann, interessiert sich die Luxemburger Gesellschaft hauptsächlich für die Punkt-zu-Punkt-Kundschaft. In diesem Fall also Luxemburg-München, Aller-Retour. „Das ist unser Business-Modell“, unterstreicht Schmit, um von der Luftahnsa-Problematik abzulenken. „Bei rund 45 000 Passagieren auf der Strecke haben wir immerhin 21 000 Punkt-zu-Punkt Kunden, und denen bieten wir ein besseres Produkt.“ Eben weil die Luxair eine „optimale Tagesrandverbindung“ abfliegt; um 7.15 Uhr in Luxemburg raus und abends um 19.30 Uhr zurück. Geschäftsreisenden, in Anzug und Trenchcoat, die Aktentasche unterm Arm, erlaubt das, morgens pünktlich beim Auswärtstermin und abends zeitig wieder zu Hause zu sein. Diese Reisenden bewirbt Luxair mit dem Zeitgewinn, der durch den gestrichenen Zwischenstopp in Saarbrücken entsteht. „Sie können morgens 45 Minuten länger im Bett liegen“, sagt Schmit. Bayernfans im roten Trikot und Oktoberfestbesuchern in Lodentracht und der obligatorischen Lederhose dürfte das ohnehin wenig interessieren. Dass diese Art von Punkt-zu-Punkt-Kundschaft auf die Lufthansa-Verbindung umsteigt, ist nicht auszuschließen.
Weil der Anteil der Geschäftsreisenden auf der Strecke Saarbrücken-München ohnehin größer ist als auf der Luxemburger Linie, bietet Luxair ab dem Herbst auch eine direkte Tagesrandverbindung auf dieser Route an. Beispiel Dienstag diese Woche: in ein Flugzeug mit 72 Sitzplätzen steigen an der Saar 25 Passagiere hinzu. Weil ein gro-ßer Teil der saarländischen Kundschaft fast täglich nach München fliegt, das Flugzeug, aus Luxemburg kommend, oft wegen Nebels nicht landen konnte, wird künftig eine Embraer 135 mit 37 Sitzplätzen dort stationiert. Zwar steigen dadurch die Gebühren und Kosten. Doch die Aussichten auf eine gute Auslastung des Flugzeuges sind nicht schlecht. Insgesamt stieg die Zahl der Luxair-Passagiere mit An- oder Abflug ab Saarbrücken, von wo es auch weiter nach Hamburg oder Berlin geht, 2009 um 81 Prozent. Auf der München-Strecke pendeln 82 Prozent der Passagiere, zahlen also ihr ganzes Ticket an die Luxair.
Die Rechnung der Luxair-Verantwortlichen sollte also lauten: das Punkt-zu-Punkt-Geschäft ab Saarbrücken ausbauen und dazu das Zubringer-Geschäft von Luxemburg aus erweitern. Ein guter Plan, bis ihnen Lufthansa sozusagen ins Weißbier spuckte. Jetzt allerdings sind die Aussichten auf steigende Passagierzahlen unsicherer und die Kosten insgesamt – wegen des zusätzlichen Stützpunkts in Saarbrücken – höher. Dass Lufthansa Luxair dazwischenfunkt, ist umso schlechter, weil das geplante Wachstum auf der Münchener Strecke sicherlich helfen sollte, das Defizit der Airline insgesamt zu reduzieren. Hatte es die Liniensparte von Luxair 2008 endlich fast in die schwarzen Zahlen geschafft, schnellte das Defizit im Krisenjahr 2009 auf 13,1 Millionen Euro hoch. Kunkel bleibt optimistisch: „Im Budget 2011 rechnen wir mit positiven Deckungsbeiträgen für die Luxemburg-München-Route.“
Und mindestens ein Passagier freut sich über das zusätzliche Lufthansa-Angebot. Benny Boudia, der im Internet gerne Nachrichten kommentiert und im Sozialnetzwerk Facebook seine eigenen Fangemeinde hat, meinte auf wort.lu: „Eine gute Sache ist das. Dann sieht mich Uli künftig noch öfter in der VIP-Lounge der Allianz-Arena. Fußball vom Feinsten (...).“ Die Chancen, dass Bayern-Fans in Zukunft günstiger reisen können, stehen nicht schlecht. Obwohl sowohl Luxair wie Lufthansa einen offziellen Mindestpreis von um die 99 Euro in Aussicht stellen, scheint man hinter den Kulissen mit harten Bandagen und niedrigen Preise um die Kunden kämpfen zu wollen. Beim Reiseportal Expedia kann man derzeit Tickets für Dezember ab 88 Euro buchen. Bei beiden Gesellschaften.