Unter strömenden Regen führt Hjoerdis Stahl über das Vorfeld, auf dem drei Flugzeuge parken. Zwei Fracht-Jumbojets und eine kleinere Propellermaschine, die Luftpost transportiert. Die Leiterin des Luxair-Cargocenter bleibt plötzlich stehen, bückt sich, klaubt einen Fetzen Plastikplane vom Boden, steckt ihn in die Jackentasche. „So was darf nicht in die Turbinen geraten“, dafür macht sie sich schon mal die Hände schmutzig. Sie geht weiter Richtung Jumbo. Ihre Augen glänzen, ihre Leidenschaft für ihren Beruf, das Luftfrachtgeschäft, steht ihr ins Gesicht geschrieben. Hinter dem Flugzeug sieht man die Planiermaschinen, dort wird das Vorfeld um 40 Meter ausgebaut, damit die neuen Boeing 747-800, die Cargolux voraussichtlich Ende dieses Jahres in Betrieb nehmen wird, genug Platz zum Eindrehen haben.
„Wir haben hier nur 108 Meter zwischen dem LKW, der die Ware anliefert, und dem Flugzeug“, sagt Stahl, die die Distanz mit entschiedenen Schritten abmisst. „Die weiteste Strecke hier auf dem Vorfeld beträgt 120 Meter“, fügt sie hinzu. Dort können acht Flugzeuge gleichzeitig parken. Diese für den Laien nichtssagenden Längenangaben bedeuten für Hjoerdis Stahl: „Wir haben hier ein einzigartiges Instrument. So kurze Strecken gibt es sonst auf keinem Flughafen. Und dazwischen kann ich den Kunden alle Dienstleistungen aus einer Hand anbieten, es gibt es keine unnötigen Schnittstellen.“
Schnittstellen gibt es an anderen Flughäfen zuhauf. Beispiel Frankfurt. Der dortige Flughafen gehört der Gesellschaft Fraport, und die führt exklusiv das Boden-Handling durch. Will heißen, sie lädt Fracht ein und aus, bringt sie von einem Punkt auf dem Flughafengelände zum nächsten, Spediteure und Fluggesellschaften dürfen das nicht, sondern müssen darauf warten, vom Monopolisten bedient zu werden.
Die beigeordnete Luxair-Generaldirektorin Stahl muss es wissen. Schließlich hat sie, bevor sie Mitte 2008 als erste Frau überhaupt dem Luxair-Vorstand beitrat, nicht nur das Lufthansa-Cargo-Zentrum an der Basis im Frankfurter Flughafen gemanagt, sondern war zudem für zwölf weitere Lufthansa-Frachtstationen in Deutschland zuständig. Die Flieger müssen zwar in der Luft sein, damit Geld verdient werden kann, doch, sagt Stahl: „In der Luft selbst ist kein Geld verdient.“ Damit meint sie: Konkurrierende Gesellschaften brauchen für die Strecke von Europa nach China ungefähr gleich lang, sie sind mit ähnlichen Material auf ähnlichen Strecken unterwegs. Wer sich also zeitlich und preislich gegen die Konkurrenz durchsetzen will, der darf vor allem am Boden keine Zeit verlieren. Nur dort kann ein Wettbewerbsvorteil geschaffen werden. Und der Wettbewerb ist hart: Der Anteil der Luftfracht am weltweiten logistischen Aufkommen beträgt zwischen vier und sechs Prozent, von diesem kleinen Kuchen wollen alle etwas abhaben.
Deswegen gefällt ihr das Instrument Cargocenter so gut. „Wir sind bis zu zwei Stunden schneller als andere“, sagt sie stolz, zwischen zwei und zweieinhalb Stunden brauche die Fracht-Sparte der Luxair fürs Ein- und Ausladen eines Jumbos. „Wenn es sein muss, kann das manchmal auch noch schneller gehen. Eben weil wir alles aus einer Hand anbieten, können wir flexibel sein.“ Zufrieden gibt sich Stahl damit nicht. Sie sieht überall Möglichkeiten, Zeit einzusparen und die Qualität des Angebots zu verbessern. Zum Beispiel beim Last In. Damit bezeichnen Fachleute den spätesten Zeitpunkt, zu dem Ware vor dem Abflug angeliefert werden darf. Derzeit sind das im Luxair-Cargocenter acht Stunden vor Abflug. Stahl meint, dieser Abstand müsse auf sieben bis sechs reduziert werden können. Sie möchte Radio Controlled Frequency Identification (RFID) für LKW einführen, damit kontrolliert werden kann, wer wann kommt und geht. Und auch, um ein Auge darauf zu haben, ob die Spediteure ihre Waren nicht schon Tage lang im Voraus anliefern und die Halle des Cargocenter als kostengünstiges Zwischenlager nutzen.
In der 70 000 Quadratmeter großen Halle herrscht rege Geschäftigkeit, Gabelstapler unterschiedlicher Größen fahren umher, im Exportbereich sind zwei Jumboladungen Waren fertig für den Abflug nach Lagos. Die Mitarbeiter strecken die Köpfe zusammen, blicken auf den Bildschirm der neuen Scanner-Geräte. Wenn Hjoerdis Stahl hereinkommt, straffen sich die Rücken, alle stehen ein bisschen strammer, grüßen, schütteln ihr die Hand – der Chefin von rund 1 125 fast ausschließlich männlichen Mitarbeitern. Sie fragt nach, ob das mit den Scannern klappt. Die sind noch neu, auch in der Halle will sie RFID-Technologie einführen. In Zukunft soll jedes Frachtstück, wenn es reinkommt eingescannt werden, zusammen mit der halleninternen Ortsangabe, wo es abgelegt wird. Sowohl der Import als auch der Exportbereich sind nach Destinationen aufgeteilt und beschildert. An den Schlidern hat sie die Barcodes anbringen lassen, die künftig eingescannt werden müssen, damit den Mitarbeitern, die die Flugpaletten zusammenbauen, später ein Blick auf den Monitor genügt, um zu wissen, wo sie finden, was sie brauchen.
Die Frachthalle ist Luxemburgs Anbindung an den Welthandel. Im Importbereich duften pflückfrische Ananas aus Ghana neben der Luftpost aus den USA, Elektronik aus Asien und italienischen Schuhen. Der Kühlbereich ist Transitstelle für argentinische Rinderhälften oder mit Bier getränkte Kobe-Rinder aus Japan. Der firmeneigene Vakuumkühler verpasst Schnittblumen nach langen Flügen den Frischekick, im Tierbereich machten dieser Tage eine Giraffe und ein Löwe Halt. Jetzt sind Kraniche und Pfauen auf der Durchreise nach Istanbul. Am Morgen noch standen Pferde aus Argentinien in den Boxen, sie sind schon Richtung Mittlerer Osten weitergereist, wahrscheinlich waren es Poloponys. Im 24-Stundentakt wird gearbeitet, jeden Tag. Für Maschinen- oder Autoteile aus Mexiko interessiert sich gerade der Zoll. Wonach die Beamten genau suchen, weiß Stahl nicht. „Wahrscheinlich Drogen“, mutmaßt sie. Dass die Zollbeamten Ladungen untersuchen, ist Routine und auch gut so, findet Stahl, man will schließlich den guten Ruf wahren. Zudem begrüßt sie, dass der Zoll ebenso wie der amtliche Tierarzt seine Büros im Haus hat – das vereinfacht die Prozesse. Das spart Zeit und das wiederum Geld.
Abläufe zu verbessern und zu vereinfachen, ist deshalb ein Hauptanliegen der Managerin. Die Monate der konjunkturbedingten Flaute hat die Firmenleitung dazu genutzt, „die Richtung, in die wir gehen wollen, neu zu definieren und die Organisation zu straffen“. Damit ist bei weitem nicht nur die Personaldecke gemeint. Zwar beschäftigt das Cargocenter rund 110 Mitarbeiter weniger als vor der weltweiten Wirtschaftskrise, zeitweilig wurde auf den Einsatz von Zeitarbeitskräften vollkommen verzichtet. Doch Entlassungen gab es nur wenige, die Mitarbeiter führten Reparaturarbeiten durch oder wurden an andere Filialen der Luxair, wie die Catering- oder Passagierabteilung, übergeben. Vielmehr nutzte das Management die Zeit, um beispielsweise die Standard-Prozeduren aufzufrischen und zu Papier zu bringen. Oder ein Visuelles Management System für die Kühlräume zu installieren, wodurch nun auf Bildschirmen für alle Mitarbeiter ersichtlich ist, ob die Temperatur in den jeweiligen Abteilungen stimmt, wie bestellt – das ist beispielsweise für Kunden aus der Pharma-Industrie wichtig. „Der Pharma-Bereich bietet viel Potenzial. Um das zu nutzen, sind wir auch bereit, uns den nötigen Zertifizierungen zu stellen, die man für das Handling braucht“, erläutert sie.
Auch die Tapa-Zertifizierung will das Luxair-Cargo-Management einführen, was heißen würde, das gesamte Gelände zu jeder Zeit zu filmen. Das ist natürlich Zündstoff für die Beziehungen mit den Gewerkschaften, dessen ist sich Stahl bewusst und dafür hat sie Verständnis. „Allerdings ist es so, dass ein Reihe von Firmen diese Zertifizierung auf der gesamten Transportkette ihrer Waren verlangen. Weil wir sie nicht haben, können wir eine Reihe von Aufträgen nicht durchführen“, erklärt Stahl die Problematik. Deshalb sucht sie nach einer Lösung, die auch für die Mitarbeiter annehmbar ist, zum Beispiel das Löschen der Bänder nach 30 Tagen und dass die Bänder im Fall von Kundenbeschwerden nur in Anwesenheit von Personaldelegierten angeschaut werden sollen.
Auch an der Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem größten Kunden, der Cargolux, wird derzeit gefeilt. Die Cargolux ist für 72 Prozent des Frachtaufkommens im Cargocenter verantwortlich, ohne die heimische Frachtfluggesellschaft kann man nicht. Das gilt auch umgekehrt. Vor allem die informatische Zusammenarbeit und die Kommunikationsprozesse könnten zu Gunsten beider Seiten verfeinert werden, glaubt Stahl und gibt ein Beispiel: „Die Cargolux teilt uns mit, was sie an Frachtraum für einen Flug verkauft hat. Wir nehmen die Ware an. Ihre Pläne können sie also nur auf Basis unserer Daten machen, wir wiederum brauchen die Pläne, um zu wissen, wie wir die Paletten zusammenbauen müssen. Kommt was hinzu, geht das Ganze wieder von vorne los.“ Die Vorteile einer informatischen Gleichschaltung liegen auf der Hand, und die Chancen, dass dieses Vorhaben gelingt, stehen derzeit so gut wie nie zuvor. Schon deshalb, weil Luxair und Cargolux durch deren rezente Kapitalerhöhung ohnehin enger zusammengerückt sind. Seit Dezember ist die Luxair mit 52 Prozent der größte Teilhaber der Cargolux.
Die Cargolux sieht sie auch als Plattform, um als Luxair-Cargo außerhalb Luxemburgs aktiv werden zu können und zu wachsen. Wenn sie von Flughäfen, die von Cargolux angeflogen werden, um Verbesserungsvorschläge gebeten werde, erklärt Stahl, könnten daraus auch Möglichkeiten enstehen, als Dienstleister einzusteigen. Etwas, das sie nicht ausschließt. Im Gegenteil. „Es gibt einen konkreten Ansatz“ im Ausland Cargo-Handling-Dienste anzubieten, doch weil das Projekt noch nicht unter Dach und Fach ist, schweigt sie dazu einstweilen.
Um solche Projekte an Land zu ziehen und neue Kunden für das Cargocenter in Findel zu gewinnen, setzt Stahl zudem auf eine offensivere Image- und Kommunika-tionsstrategie. Dazu gehören eine verstärkte Präsenz auf internationalen Logistikmessen, wo Luxair-Cargo demnächst noch selbstbewusster auftreten kann als bisher. Innerhalb von wenigen Monaten hat die Firma gleich zwei Preise abgeräumt. Von der Fachzeitschrift Aircargo World erhielt sie den excellence award als bestes europäisches Cargocenter mit einer Kapazität zwischen 500 000 und einer Million Tonnen jährlich. Die Trophäe steht in der Vitrine in Hjoerdis Stahls Büro ganz vorn. Außerdem haben Luxair-Cargo-Mitarbeiter den internationalen Gabelstapel- und Palettierwettbewerb gewonnen. Gleich bei der ersten Teilnahme haben sie die Konkurrenz hinter sich gelassen. „Das Palettieren ist keine einfache Arbeit. Es ist, wie wenn man ein großes Puzzle zusammensetzt, nicht nur von der Form der Frachtstücke her, sondern auch wegen der Vorschriften, die besagen, wie und was miteinander transportiert werden darf“, so eine stolze Hjoerdis Stahl. „Das will was heißen in der Branche“, sagt sie mit Nachdruck. Der Preis ist für potenzielle Kunden ein starkes Signal. Wer seine Maschinen von Luxair-Cargo laden lässt, kann also davon ausgehen, dass alles sitzt, nichts wackelt und so wenig Luft wie möglich im Frachtraum ist, weil dieser maximal ausgelastet wird.
Seit Anfang dieses Jahres hilft zudem die Konjunkturentwicklung bei der positiven Weiterentwicklung. Passierten 2009 lediglich 672 000 Tonnen das Frachtzentrum – 17 Prozent weniger als im Vorjahr und so wenig wie zuletzt 2003 – liegt das Frachtaufkommen in den ersten Monaten 2010 fünf Prozent über dem vom Vorjahr, und auch finanziell liegt die Cargo-Sparte aktuell fünf Prozent über dem Budget. Der März war gut, für die Aktivitätsspitzen vor Ostern musste wieder auf Zeitarbeitskräfte zurückgegriffen werden. Für den Rest des Jahres ist die Fachfrau „verhalten optimistisch“.