„Es ist immer noch schwer“, sagt Alain Krecké von Transalliance, einer der beiden Firmen, die derzeit im Logistik-Zentrum Eurohub Süden in Bettemburg ansässig sind, über die Auftragslage in der Branche. „Der Ausblick ist ungewiss, wir können nicht erkennen, wie es weitergeht“, so der Leiter der Logistikfirma zur Entwicklung der interna-tionalen Handelsströme. „Es gibt Phänomene, die darauf hinweisen könnten, dass der dicke Hund erst noch kommt.“ In Osteuropa zeige die Marktentwicklung immer noch nach unten. Mit dem dicken Hund meint Krecké aber beispielsweise auch, dass die Aufträge aus der Lebensmittelindustrie in Frankreich im Januar 2010 gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent zurückgingen. Eine Erklärung dafür hat er nicht. Denn dass die Krise den Leuten dermaßen den Appetit verderben würde, davon war nicht auszugehen.
Das Beispiel macht deutlich, wie schwer es ist, krisenbeständige Aktivitäten ausfindig zu machen und auszubauen. Denn eigentlich gilt der Handel mit Lebensmitteln und anderen schnell verderblichen Gütern als relativ konjunkturunabhängig. Anders als Hi-Tech und Elektronikwaren, deren Absatz in Krisenzeiten zurückgeht. Dass viele Elektrogeräte auf ihrem Weg von Asien nach Europa Luxemburg passieren, hat sich seit Ausbruch der Wirtschaftskrise gerächt – vor allem reine Transportunternehmen hatten mit der Flaute zu kämpfen und mussten, wenn es sie denn gab, an die Reserven gehen. Was den Erfolg der bisherigen wirtschaftlichen Diversifizierungspolitik in die Nische Logistik fraglich erscheinen ließ.
Auf der Suche nach konjunkturunabhängigen Spezialisierungsmöglichkeiten haben die Architekten des Logistikstandorts Luxemburg die Biowissenschaften als neue, viel versprechende Möglichkeit identifiziert. Denn auch in diesem Bereich blieb die Aktivität während der Krisenmonate verhältnismäßig stabil, erklärt Daniel Liebermann vom Wirtschaftsministerium. Zu den Biowissenschaften oder Gesundheitstechnologien gehören neben Medikamenten und medizinischem Gerät nicht zuletzt auch Blut- und Gewebeproben. Da kommt auch die Ende 2008 gegründete Integrated Biobank of Luxembourg (IBBL) ins Spiel. „Die Biobank wird hochspezialisierte Logistikansprüche haben“, so Liebermann. „Da sehen wir mögliche Synergien und Ausbaumöglichkeiten“, fügt er hinzu. Wer Proben für die Biobank transportieren will, muss eine lückenlose Kühlkette einhalten können. Außerdem werden auch die Qualitätsansprüche im Handling der sensiblen Güter steigen.
Cargolux und Cargozenter der Luxair verfügten bereits über die Möglichkeit, Flugzeug- beziehungsweise Lagerabschnitte unterschiedlich zu temperieren. „Das ist eine Basis, auf der man aufbauen kann“, erklärt Liebermann. Denn auch im Überseehandel sieht der Zuständige für die Entwicklung des Logistikstandorts Luxemburg Möglichkeiten. „Auch Medikamente und medizinisches Gerät werden zunehmend in Asien, nicht mehr nur ausschließlich in Europa hergestellt“, sagt er. Bevor die Vision, Medikamente und Medizintechnik nach Luxemburg zu bringen und vor der Verteilung in Europa umzuverpacken, beziehungsweise abzufüllen, Wirklichkeit werden kann, stellt sich allerdings nicht nur die Frage nach der dafür nötigen Infrastruktur. Wer sich nicht auf den Transport von pharmazeutischem oder medizinischem Material beschränken will, unterliegt fast genauso strengen Genehmigungsverfahren wie die Hersteller selbst.
Die Marktlücke biomedizinische Logistik, durch die quasi eine neue Ecke in der bisherigen Nische ausgebaut werden soll, scheint aus mehrerlei Ursachen attraktiv. Erstens weil sich während der Krise gezeigt hat, dass sich unter Sparzwang – branchen-übergreifend – viele Hersteller in Krisenzeiten auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und Nebenaktivitäten wie logistische Aufgaben abstoßen. Aber auch, weil in der Regel gilt: Je spezialisierter die Aktivität, je tiefer man in die Nische vordringt, desto geringer die Konkurrenz und umso höher der geschaffene Mehrwert – und damit auch die Verdienstaussichten.
Um eine weitere Idee mit hohem Mehrwertpotential, vom Oberarchitekten Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) bei der Eröffnung der Herbstmesse groß angekündigt, ist es indes mittlerweile still geworden. Die Verantwortlichen hüllen sich in Schweigen über den port franc, anzusiedeln im Eurohub Süden auf dem ehemaligen Gelände der WSA (d’Land, 31.10.2008). Dabei steht die Schaffung einer solchen Zone im Regierungsprogramm nicht im Kapitel Wirtschaft, sondern findet sich im Rahmen der Bemühungen, zur wirtschaftlichen Diversifizierung beizutragen, in den Prioritäten des Kulturministeriums wieder.
Dass die Initiative von dieser Seite stammt, ist wenig überraschend. Die Freihäfen Europas, vor allem der Schweiz, aber auch Asiens, dienen traditionell auch der sicheren Lagerung von Kunstschätzen, auch Museen brauchen angemessene Lagerkapazitäten, und Platz ist Mangelware. Im brandneuen Freihafen Singapurs beispielsweise hat das Auktionshaus Christie’s im Januar den 22 500 Quadratmeter großen Christie’s fine art storage service (CFASS) in Betrieb genommen. Das CFASS belegt 40 Prozent der in der ersten Phase des Freihafens zur Verfügung stehenden Fläche. Die Kapazität soll in den kommenden Jahren erweitert werden. Weil das Auktionshaus dort auch Schauen veranstalten will, werden mittlerweile Fragen nach den Auswirkungen dieses Trends auf die eigentlichen Kunstgalerien laut. So liegt das Mehrwertpotenzial nicht allein in der gesicherten Lagerung wertvoller Gegenstände, sondern auch im angemessenen Umgang sowie den Nebenaktivitäten, die drum herum entstehen können, wie deren Restaurierung oder Verpackung. Bedarf dürfte es auch in Luxemburg geben. Der Luxemburger Investmentfonds Nobles Crus der Fondsgesellschaft Elite Advisors beispielsweise, der in teure Weine und Champagner investiert, lagert seine Aktiva in den Genfer Freihäfen, weil dort nicht nur die Sicherheit sondern auch Temperatur und Luftfeuchtigkeit garantiert werden.
Seit Wirtschaftsminister Jeannot Krecké vergangen November im Wirtschaftsausschuss des Parlamentes erklärte, in Krisenzeiten müsste allen Ideen nachgegangene werden, will man sich im Wirtschaftsministerium nicht mehr weiter zur Idee des port franc äußern. Die Umsetzungsmöglichkeiten würden weiter analysiert, sagte Krecké damals, und bei dieser Ausssage bleibt man im Wirtschaftsministerium. Dabei begrüßen Branchenvertreter wie Alain Krecké die Idee ausdrücklich: „Das wäre für den Logistikstandort Luxemburg eine weitere Trumpfkarte, weil man Güter und Waren lagern könnte, ohne sie zu verzollen.“ Insbesondere für Sammler und Händler wertvoller Gegenstände, die nach einem Ankauf nicht sofort wissen, was sie mit neuen Objekten tun sollen, ein Vorteil, weil auch die Mehrwertsteuer erst bei der Ausfuhr fällig würde.
Warum man zum port franc fortan schweigt, wird nicht erklärt. Naheliegend ist, dass trotz der vielversprechenden Geschäfte, die eine solche Freihandelszone in Aussicht stellt, das Eisen derzeit einfach zu heiß ist. Denn innnerhalb der EU liegen Freihäfen tatsächlich eher in Hafennähe also an den Umschlagplätzen des internationalen Warenaustauschs. „Binnenfreihäfen“ wie die in Genf waren in der Vergangenheit nicht unumstritten, hatten den Ruf, Lagerstätte geklauter Kunstobjekte und Antiquitäten zu sein, Portal für so genannte Blutdiamanten und sich bestens zu Geldwäschezwecken zu eignen. Weshalb die Schweizer Regierung reagieren musste. Seit 2009 müssen vollständige Inventarlisten angefertigt und deklariert werden, in welche Länder die Güter, welche die Freihäfen verlassen, exportiert werden. Dass die Freihäfen ihre Geheimnisse auf diese Art preisgeben mussten, stellten manche Beobachter mit dem Fall des Schweizer Bankgeheimnisses gleich. Und so stellt sich die Frage, ob Luxemburg, selbst im Zentrum der innereuropäischen Diskussion ums Bankgeheimnis, die Auseinandersetzung mit den Nachbarn nicht auf die diskreten Banken beschränken will, anstatt neuen Streit wegen einer diskreten Freizone vom Zaun zu brechen.
Dass sich augenblicklich in den Ministerien die Köpfe darüber zerbrochen werden, wie das zu vermeiden sei und man Prozeduren aufstellen kann, die sicherstellen, dass der port franc weder als Lagerstätte für Diebesgut, noch zu Geldwäschezwecken missbraucht würde, darauf deutet auch die neue offizielle Sprachwahl hin: Beim Wirtschaftsministerium spricht man – wenn überhaupt – nicht mehr von der Freizone, sondern lediglich von einer streng gesicherten Lagerstätte für besonders wertvolle Gegenstände. Ob die, falls es dazu kommt, nachher noch mit allen finanziellen Vorteilen einer Freihandelszone versehen sein wird, bleibt demnach auf unbestimmte Zeit abzuwarten.
Allerdings entwickelt sich der Logistikstandort in der Zwischenzeit auch ohne port franc weiter. Im kürzlich aktualisierten Logistics Performance Index der Weltbank, belegt Luxemburg mittlerweile den fünften Rang hinter Deutschland, Singapur, Schweden und den Niederlanden. Seit 2007, als Luxemburg den Rang 23 belegte, ein kometenhafter Aufstieg, durch den sich auch die Verantwortlichen beim Wirtschaftsministerium in ihrem Vorgehen bestätigt sehen. Luxemburg bestach vor allem durch die Effizienz seiner Zollbehörden und durch seine Pünktlichkeit, belegte in diesen Kategorien jeweils den ersten Platz. Dazu dürfte auch die Schaffung des papierfreien Zolls (PLDA) beigetragen haben, bei dem sich die regelmäßig vor Ort aktiven Unternehmen akkreditieren können, was die Prozesse vereinfacht, und der am 1. April definitiv auf eine elektronische Bearbeitung der Dossiers umsteigt.
Allerdings zeigt die Weltbankstudie auch, wo es noch Sand im Getriebe gibt. Nämlich bei der logistischen Kompetenz (Rang 21) und beim tracking and tracing (Rang 19). Nachteile, die es zu beheben gilt, wenn sich Luxemburg tatsächlich als Drehscheibe für den Handel mit pharmazeutischen Artikeln etablieren will. Denn vor allem in der Organisation der Warenströme, erklärt Alain Krecké, wird Geld verdient. Transalliance Luxemburg weitet deswegen ihre Fouth-party-logisitics-Aktivitäten (4-PL) aus und hat dafür auch während der Krise neues Personal rekrutiert. Der Umsatz in diesem Geschäftsbereich – 4-PL heißt, dass man die Logistikunternehmen koodiniert, die von Herstellern beauftragt werden, deren Waren zu befördern – stieg zwischen 2008 und 2009 trotz Krise um 20 Prozent an, wie er erklärt.
Damit sich die Rahmenbedingungen für den Logistikstandort weiterhin verbessern, haben sich öffentliche Träger und Berufsorganisationen bereits Ende 2008 in einem Logistik-Cluster zusammengetan und vier Arbeitsgruppen eingerichtet, in denen auch Branchenakteure vertreten sind: Ausbildung, Innovation und Projektentwicklung, legale Rahmenbedingungen und Infrastruktur. Alain Krecké, der letzterer Gruppe angehört, lobt die Zusammenarbeit im Cluster, glaubt aber auch, dass der Schock der Krise es den Konkurrenten mittlerweile einfacher macht, an einem Strang zu ziehen. Ob sich die Bemühungen – vor allem in Sachen Kompetenzentwicklung – lohnen, wird sich sicherlich aus der nächsten Aktualisierung des LPI herauslesen lassen.