Ganz schön heftig für die erste One-Woman-Performance. Konzentriert sitzt Nadine Entringer da, schlicht in Schwarz gekleidet, mit Hut und weißem Schal, starrt minutenlang in die Leere, sieht aufs Publikum, das im öden kleinen Saal des Studio-Brasserie des Kapuzinertheaters nur zentimeterweit entfernt ist, lauscht auf das Lied der Toten Hosen über den bösen Wolf und wartet. Die Spannung steigt. Dann kommt Jelinek, Auszug aus ihrem 1989 erschienenen Roman Lust, der von der Obszönität des männlichen Blicks erzählt und von den Machtstrukturen in den Geschlechterverhältnissen. Nadine Entringer hat eine schwierige Passage ausgewählt, Geschlechtsverkehr des Herrn Direktor - "ein Direktor muss seinen Schwanz auf die Welt bringen!" Den Körper der Frau schildert sie als Schlachtfeld, wo es zu siegen gilt. Alles das bei klassischer Musik, bitte, schließlich sind wir ja im kultivierten Österreich.
Kein luxemburgisches Theater hat sich bis heute an Elfriede Jelineks Dramen herangewagt. Vorgetragen konnte man ihre Texte hier, wenn überhaupt, von Änder Jung hören, in Mersch oder im Festivalzelt des Théâtre national. Auf der kleinen Bühne des Kapuzinertheaters, die der Hausherr Marc Olinger regelmäßiger bespielen möchte, steht Nadine Entringer ganz allein vor dem Publikum. Zusammen mit dem Dramaturgen Marc Linster, der hier auch zum ersten Mal Regie führte, hat Nadine Entringer jedoch keine Theatertexte, sondern Auszüge aus Romanen ausgewählt. Das ermöglicht es ihr, trotz der Monologe verschiedene Figuren zu verkörpern.
Aus früheren, kürzeren Auftritten auf luxemburgischen Bühnen, sei es in Kabarettprogrammen (DoReMiFra oder Das kleine Gift) oder in Michèle Clees' Programmen Glück oder Zeit (Nadine Entringer besuchte fünf Jahre lang ihre Schauspielkurse am hauptstädtischen Konservatorium) wussten wir um ihre erstaunliche Bühnenpräsenz. Im feministischen Programm Liebe Lust Gier brilliert sie mit Facettenreichtum, Kraft und Nuancen im Spiel. Mit einem Blick, einer Körperhaltung, ein paar kleine Veränderungen im Aussehen - Schuhe an, Schuhe aus, Hut auf, Schal ab - schlüpft sie jeweils in eine andere Figur.
Marlene Streeruwitz diesmal. Auszüge aus Majakowskiring (2000). Der Text: kaputt, zerfetzt, amputiert, ständig fehlt etwas: ein Wort, das Verb, das Ende eines Satzes. Die Geschichte: banal. Eine Frau, Leonore, Ende vierzig, versucht über die Trennung von ihrem langjährigen Geliebten Paul, der eigentlich seine Frau Traude nie wirklich für sie verlassen wollte, hinweg zu kommen. Alleine muss sie mit den Erinnerungen und ihren gemischten Gefühlen fertig werden.
"Das Wichtigste war mir eben, Wahrnehmung in Sprache zu drängen, sodass der Satz über die Wüste die Wüste ist. Das ist für mich das Wichtigste", erklärte Marlene Streeruwitz in einem Interview mit der deutschen Wochenzeitung Freitag. "Natürlich schreibe ich nicht, um feministische Propaganda zu machen, sondern um zum Beispiel einen Berghang in die Sprache zu zerren."
Nur den "Berghang", den muss Nadine Entringer dann wieder quasi aus der Sprache heraus beleben. In dieser kargen Wüste, in diesem kaputten Deutsch, Strukturen erschaffen, sich Anhaltspunkte geben, die auch dem Zuhörer Verständnis ermöglichen. Nadine Entringer gewinnt wieder, sie bringt es fertig, Marlene Streeruwitz' komplexen Text wie Poesie zu rezitieren und ihm doch Relief zu verleihen.
Wieder die Toten Hosen, wieder Personen- und Autorinnenwechsel: zurück zu Elfriede Jelinek, diesmal aus ihrem letzten Roman, Gier, letztes Jahr erschienen, den die Autorin als "Unterhaltungsroman" bezeichnete. Es ist die Geschichte des Landgendarmen Kurt Janisch - "ein gutaussehender und scheinbar leichtherziger Mann, der Gendarm, wie er uns Frauen gefällt" -, der gierig ist auf das Geld und den Besitz der Frauen; sein Ziel will er dadurch erreichen, dass er sie sexuell hörig macht. Janisch ist natürlich eine kaum versteckte Metapher für Jörg Haider, Jelinek nahm es besonders den Österreicherinnen übel, dass sie so massiv für den rechtsextremen Kärntner Schönling stimmten. In Gier sind die Frauen nicht nur Opfer und Selbstopfer, sondern auch Komplizinnen.
Leider ist diese letzte Passage in Nadine Entringers "szenischer Lesung" - die aber eigentlich eher eine Theaterperformance ist - etwas schwächer ausgefallen, die Regie kaum mehr präsent, und auch die ausgewählte Textpassage fällt gegenüber den beiden vorhergehenden, besonders der ersten, deutlich ab.
Und doch: Wenn auch die meisten Schauspieler naturgemäß einen Hang zum Exhibitionismus, zum Sich-Zeigen, haben, so hat Nadine Entringers offensichtlicher Theaterwunsch sie nicht geblendet: sie verbindet ihn mit einer regelrechten Gier nach Literatur, nach an-spruchsvollen zeitgenössischen Texten. Leider war kein einziger der mittlerweile recht zahlreichen Luxemburger Theaterdirektoren am vergangenen Donnerstagabend anwesend. Talentsuche wäre vielleicht auch einmal eine sinnvolle Beschäftigung.
Nadine Entringers szenische Lesung Liebe Lust Gier mit Texten von Elfriede Jelinek und Marlene Streeruwitz unter der Leitung von Marc Linster wird noch am 14. und 15. November jeweils um 20 Uhr im Ratelach der Escher Kulturfabrik zu sehen sein. Eintritt: 300 Franken; Kartenvorbestellungen über Telefon: 55 88 26.