Die Luxemburger Theaterliteratur besteht zu einem großen Teil aus Dorfpossen, welche die ländliche Gesellschaft trotz aller Einbrüche der Moderne als naturgegebenen Rahmen idealisieren, in dem am Ende die richtige Braut doch noch zum richtigen Bräutigam findet. Mit leschten enns käe liewen schrieb Nico Helminger Anfang der Achtzigerjahre die schwarze Legende vom Dorf. Ohne die Radikalität mancher Neuen Volkstücke zu erreichen oder anzustreben, die um '68 in Westdeutschland aufkamen, geht er damit deutlich über den vielleicht einzigen anderen Autor hinaus, der einen Gegenentwurf zur Luxemburger Dorfposse versuchte: Josy Braun.
Leschten enns käe liewen berichtet von der Enge, Brutalität und Verlogenheit des Dorflebens, vom "Idiotismus des Landlebens", wie Marx schrieb (nicht "Idiotie des Dorflebens", wie die Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek falsch zitiert). Statt heiler Welt im Gegensatz zum Sündenpfuhl der Stadt ist das heute in allen Sinnen des Wortes restaurierte Dorf ein Gefängnis.
Und Helminger spart nicht an Unglück, Verrat und Verkommenheit, die einst für eine antike Tragödie und heute vielleicht nur noch für eine Moritat reichten: Jos vergewaltigt die Adoptivtochter Loni, und seine Ehefrau Viviane tut so, als sei das Kind, Chantal, ihres, um die Schande vor dem Dorf zu verstecken. Kein Wunder, dass Chantal sich zu sprechen weigert. Als sie ihrerseits im Wirtshaus vergewaltigt wird und ein Kind erwartet, erwürgt Viviane sie. Doch auch dieses Verbrechen wird vertuscht.
Mit den typischen Bildern der Dorfposse, die Stube als privater, das Wirtshaus als öffentlicher Raum, zeigt Helminger: In diesem Dorf und in diesen Familien gibt es keinen Ausweg, ihr Fortschritt ist höchstens wirtschaftlich. Nur die stumme Chantal stiert, ohne Angst vor Kitsch, in die Sterne, während der Vater ihr an die Wäsche will.
Diese Menschen sind nicht lernfähig und wenn, dann können sie nur zu Mörderinnen werden. Ausbrechen können bestenfalls die, die nie dazu gehörten, wie die Kellnerin Josiane. Den Opfern bringt Erlösung nur der Tod, die Lüge bleibt das letzte Wort.
Trotz aller naturalistischen Elemente hat Helminger mutig ein tragisches Stück in Luxemburger Sprache versucht, lange bevor das Steinforter Festival uns Jahr für Jahr glauben machen wollte, dass das Luxemburgische nur für Kaméidistécker reichte. An seine damaligen deutschen Vorbilder anknüpfend, lässt er seine Figuren einen lokalen Kunstdialekt sprechen, weil regionale Abweichungen von der Koiné oft als Zeichen hinterweltlerischer Beschränktheit empfunden werden.
Am meisten überrascht aber Regisseurin Eva Paulin. Sie verzichtete ausnahmsweise auf ihre lästige Gewohnheit, sämtliche Texte von hysterisch herumkasperlnden Schauspielern platt machen zu lassen.
Stattdessen versuchte Paulin, glaubhafte Figuren vorzuführen: Jos, mehr der ewige Jean-Paul Maessche Verlierer als das Monster, Monique Reuter, das mehr hilflose als heuchlerische Muttertier Viviane, Christiane Durbach, die störrische, immer wieder verratene Adoptivtochter Loni, und Mireille Wagener, die als Chantal trotz ihrer stummen Rolle Hauptfigur des Stücks ist - während im Hintergrund die Säufer und Kartenspieler des Wirtshauses poltern wie eh und je in der Dorfposse.
Vorführungen am 13., 18., 19., 21., 24., 25., 26., 27. und 31. Juli, Vorbestellungen nachmittags über Tel. 39 93 13-1 und 39 98 70. Text in der Serie Amphithéâtre der Éditons Phi erschienen.