"Alles ist immer wie immer", beklagt sich Beate (fragile Bettina Ludwig). Jahrelang war sie nicht zu Hause gewesen, viel zu lange, wie ihre Mutter meint, und plötzlich stand sie da, mit ihrem dicken Bauch, und alles war wie immer: die Mutter (starke Christiane Rausch), die "wirres Zeug" redet und sich manchmal vor Schmerzen in ihrem Bein krümmen muss, der Vater, der immer zur gleichen Zeit todmüde von der Arbeit kommt, und die jüngere Schwester (wunderbar zickige Brigitte Urhausen), die am liebsten "runter zum Kiosk" will. Sogar die Hausschuhe stehen immer sauber in Reih' und Glied an der gleichen Stelle. "So muss das wohl sein", weiß die Mutter.
In diesen fest eingefahrenen Beziehungsschemata ist der Fremde natürlich ein Eindringling: der Vater des Kindes (verstörter Martin Eschenbach), dessen Namen wir nie erfahren, ist Beate gefolgt, weil sie das so wollte, doch hält er sich in diesem Eismeer an seinem Buch fest, verbeißt sich darin, als sei es sein Rettungsring.
Thomas Ostermeier inszenierte Fosses Stück Der Name letztes Jahr bei den Salzburger Festspielen. Spätestens seit diesem Datum führt der 41-jährige norwegische Autor Jon Fosse einen Triumphzug an deutschen Bühnen; auch Frankreich hat ihn längst für sich gewonnen. In seiner Kargheit, der minimalistischen, bis aufs Skelett ausgezogenen Sprache und der Kommunikationslosigkeit der Figuren erinnert Der Name stark an David Harrowers Messer in Hennen, das Claude Mangen in der letzten Saison im Kapuzinertheater inszenierte - auch dieses Stück hatte Thomas Ostermeier in deutscher Übersetzung uraufgeführt.
Eigentlich passiert nicht viel in Fosses Stücken: eine hochschwangere Tochter kommt mit ihrem Freund nach Hause, und alle alten Wunden platzen wieder auf. Wortkarg, gefühlskalt im schneeweißen Eigenheim (Jeanny Kratochwil). Bloß keinen Blickkontakt, keine Liebesbeweise. Als einziges Zeugnis seiner Liebe für Beate kann der Vater (Jean-Paul Maes) sonst nichts als ihr ein paar Geldscheine in die Hand zu drücken; mit dem Jungen weiß niemand so recht etwas anzufangen, er sitzt da und liest und ist völlig verloren in dieser aussichtslos kaputten Familie, die ihn kaum zur Kenntnis nimmt. All diese Beziehungsmuster sind so treffend beobachtet, dass einem Fosses Figuren irgendwie bekannt vorkommen. Minimalismus mit Hang zur Universalität.
Für Schauspieler und Regisseur ist vor allem Fosses Sprache die große Herausforderung. Komplett reduziert, destilliert, besteht sie aus Satzfetzen, aus immer wiederkehrenden Vokabeln, die immer neue Muster weben. Dorothea Hammerstein spricht (in Theater heute 01/00) von einer "Eigenart der Sprache, die unermüdlich kreiselnden Eigenbewegung der Rede, die einen denkbaren Dialog allenfalls zum Ausgangspunkt nimmt, um in rhythmisierten Variationen zu etwas zu gelangen, was keiner Mitteilung mehr dient." Vollends ohne Interpunktion geschrieben, legt der Text die ganze Macht des Interpretierens und des Rhythmus in die Hände der Darsteller. Regisseur Charles Müller nutzt die Sparsamkeit der Sprachmittel, die vielen Pausen im Text, um mit viel Einfühlsamkeit den Figuren Leben einzuhauchen, denn "für Fosse sind die Stille, die Aussparungen im Text wenigstens so wichtig wie das gesprochene Wort" (LW 4.10.01).
Und genau hier zeigen sich Charles Müllers Stärken in der Schauspielführung, in der Feinarbeit am Text, am sparsamen, doch durchgehenden Gebrauch grotesker Elemente, die aber nie ins Lächerliche abrutschen. Fosses Figuren sind eher einfache Menschen - die zum Beispiel kaum verstehen, dass jemand wie dieser Fremde ständig lesen kann -, doch Fosse und Müller verurteilen sie nicht, sondern lassen ihnen Gründe für die Unmöglichkeit ihrer Beziehungen. "Nicht Identität, sondern Beziehungen steuern unser Leben," sagt Jon Fosse, "und keine andere Kunstform außer dem Theater kann dieses soziale Spiel abbilden" (Programmheft).
Charles Müller hat eine Truppe aus Luxemburger Schauspielern (Christiane Rausch und Jean-Paul Maes, die Eltern) und Stuttgarter Schauspielschülern zusammengestellt und so eine begrüßenswerte deutsch-luxemburgische Koproduktion zu Stande gebracht, zwischen der Schauspielschule, an der er unterrichtet - und selbst auch ausgebildet wurde - und einem noch recht jungen luxemburgischen Theater.
Vielleicht auch eine Möglichkeit, junge Talente wie die Luxemburgerin Brigitte Urhausen an die hiesige Szene zu binden. Damit für sie das - wenn auch nur gelegentliche - Heimkehren nicht so unmöglich wird wie für Beate.
Der Name von Jon Fosse, Inszenierung: Charles Müller; Dramaturgie: Marc Linster; Bühne: Jeanny Kratochwil; Kostüme: Alexandra Bentele; mit: Martin Eschenbach, Bettina Ludwig, Jean-Paul Maes, Zlatko Maltar, Christiane Rausch und Brigit-te Urhausen; eine Koproduktion des Kapuzinertheater mit der Staalichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart; weitere Vorführungen im Kapuzinertheater am 16., 17. und 18. Oktober jeweils um 20 Uhr; Telefon für Vorbestellungen: 22 06 45.