„Rachel Corrie was killed on March 16th, 2003. She was 23 years old.“ Mit dieser schonungslos lakonischen Bilanz richtet der Soldat Jon Trouern-Trend seinen Blick ein letztes Mal nachdenklich ins Publikum und verschwindet in den hinteren Bereich der Galerie Terres Rouges der Escher Kulturfabrik. Im palästinensischen Rafah gerät Corrie als Aktivistin des International Solidarity Movement zwischen die Fronten des Nahostkonflikts, wird von einem Bulldozer überfahren. Das Drama, von Starschauspieler Alan Rickman und Katharine Viner aus Tagebucheinträgen und Mails der US-Amerikanerin zusammengestellt, wird an einem sinnvollen Ort und zu einem passenden Zeitpunkt inszeniert. Die Halle aus altem, sandigem Gestein ist von Eisenstreben und Metallschienen durchbrochen, könnte von innen an jene Bauten erinnern, die unsere medial gesättigte Vorstellung palästinensischer Armutsviertel prägen. An diesem 26. September setzt sich zudem die UN-Vollversammlung erstmals zusammen, um über den palästinensischen Antrag auf UN-Mitgliedschaft zu beraten.
Anne Simon hat sich des Stoffs bedient und ihn unter Mitwirkung des Comité pour une paix juste au Proche Orient mit Elisabet Johannesdottir und Nickel Bösenberg inszeniert. Die Jungschauspielerin mimt Corrie mit einer ungemeinen Frische und Spieleslust, liefert mit ihrem echten American-English jene Authentizität, die uns Glauben schenkt, aus ihrem Munde und ihrem Gesichtsausdruck gerade jene Charakterzüge herauslesen zu können, die Rachel Corrie Berichten zufolge ausmachten: Arglosigkeit, Neugierde, Idealismus und der Wunsch nach einem prallen Kürbisgarten. Diese seltsame Mischung aus Alltäglichkeit und weltpolitischem Interesse führt zusehends zu brieflich belegten Spannungen zwischen Eltern und Tochter.
Palästinenser sind Selbstmordattentäter und hassen Israel – zu dieser Erkenntnis reicht die wohlgenährte westliche Sicht der Mittelschicht gerade noch. Dass das Kind aus dem Hexenkessel auf den Mutterschoß zurückkehren soll, wird an einem wunderschön formulierten Statement des Vaters deutlich: „You may say (have said) that it is wrong for me to stick my head in the sand; but I say I am only trying to (or just wishing I could) stick your head in the sand – and that’s different.“ Gerade jener Begriff der Alltäglichkeit, deren schiere Existenz auf palästinensischem Boden Rachel hervorheben möchte, dominiert auf heimatlicher Seite die Beziehung zwischen Eltern und Tochter. Sie wollen keine Aktivistin. Sie wollen ihre Tochter zurück. Gerade auf dieser Ebene ist My name is Rachel Corrie von Interesse.
Doch Vorlage und Inszenierung offenbaren zahlreiche Schwachstellen: Sergeant Trouern-Trend zieht durch den Konfliktherd Irak und geht dabei seiner ornithologischen Leidenschaft nach. Zwischen Eufrat und Tigris würdigt auch er die Schönheit der Landschaft, des Tierreichs, des Alltags. Simon integrierte diese Rolle in Anlehnung an die dokumentierten Blogs des „Birders“, ein Entschluss, der sich kaum auszahlt. Erstens hängt die Rolle des Soldaten sehr lose in einem Handlungsgeflecht, dessen logischerweise vorhersehbares Ende zweitens in keinen Spannungsbogen findet. Nickel Bösenberg, dessen darstellerisches Potenzial außer Frage steht, kommt hier kaum zum Zuge. Seine Figur, die keine ist, erlaubt es ihm nicht. Zudem wirkt er angesichts des ständigen, funktionsleeren Positionswechsels wie eine Statistenfigur, und bildet damit einen schwachen Kontrast zur stimmlichen und körperlichen Allgegenwart der weiblichen Darstellerin. Zwar ist Bösenbergs überzogen amerikanischer Akzent ihm selbst anzulasten und die schallende Hallenakustik trägt ihres dazu bei. Die Kernschwäche jedoch rührt aus dem Undramatischen eines Dramas her, das der Deutschlandfunk bereits 2008 unterstrich, indem die Sendeanstalt die reine Hörspielqualität des Werkes entdeckte.
Schließlich brachte sich Michel Legrand, Präsident des Comité pour une paix juste au Proche-Orient, mit emotionalen Redebeiträgen in die anschließende Publikumsdiskussion ein und teilte seine Erfahrungen als langjähriger Aktivist im Rahmen seiner Komitee-Arbeit im Nahen Osten mit dem Publikum. Gelegentlich bekundeten Besucher den Wunsch, nicht vorschnell zu urteilen. Aus der Ferne im bequemen Theaterstuhl gegen „die Israelis“ fauchen – dies zu unterlassen schien Konsens zu sein. Die Haltung Legrands wirkte jedoch trotz allem reichlich pro-palästinensisch und wenig differenziert. So habe es beispielsweise zahlreiche Zeugen gegeben, die die Absicht des Bulldozer-Fahrers, Corrie zu überrollen, bestätigten. Dass es sich dabei um Mitglieder der Aktivistengruppe handelte, verschwieg er. Die Frage ändert weniger an der Tragik. Keinesfalls aber darf die Unschuld des Fahrers in einem politisch derart brisanten Umfeld aus dem Theatersessel oder vom Rechner aus bequem festgestellt werden. Ebenso wenig gilt dies jedoch für dessen Schuld.
Letzten Endes liefert dieses wenig spannende Drama kaum Neues und spart auch nicht an politischer Naivität. Wer diesen Konflikt bereits über Jahre hin medial verfolgt hat, braucht inhaltlich mehr. Die Auszeichnung mit dem Theatergoers’ Choice Award for Best New Play ist mir ein Rätsel. Bewundernswert sind Naivität und Engagement im Leben der Rachel Corrie. In Rickmans Arbeit werden beide streckenweise zum lästigen Problem.