Die Handlung des Dramas Arbos ist schnell zusammengefasst. Zwei Waldbewohner, mehr Geist denn Mensch, wehren sich erst mit Wort, dann mit Gestus gegen die geplante Erschließung des Hunnebuer durch den lokalen Forstbetrieb. Einer der Mitarbeiter wird milde gestimmt, erkennt den Fortschrittsgedanken als Fehler, der andere ist unverbesserlich, glaubt in unmissverständlichen Worten an eben jene Pläne, die Alt in Neu verwandeln sollen. Diese Geschichte, die auch um das Fällen des wohl ältesten und mythisch anmutenden Baumes kreist, ist im besten Sinne der Gattung Parabel zuzuordnen, könnte in vorwurfsvollerem Tone jedoch als naiv und einfallslos verworfen werden.
Doch diese Perspektive würde dem Gesamtprojekt Arbos der Gruppe Maskénada unter Federführung von Luisa Bevilacqua und Marion Rothhaar nicht gerecht. Arbos, frei nach A Chengs chinesischer Erzählung Der König der Bäume, ist nicht nur in den Merscher Wäldern inszeniertes Gutmenschentum. Es lässt sich auch nicht auf eine aufgeblähte Variante zu Greenpeace-Slogans zusammenstutzen. Arbos ist keine Öko-Literatur, sondern ein Konzept, eine Identifikationssuche zwischen Mensch und Natur, dies zur Mitte des internationalen Jahres der Wälder.
Am Anfang schleicht sich Anja Gysin im weißen Kleid aus dem Inneren des Waldstücks an die Gäste heran, bis zu ihrem Zuruf weitgehend unbeachtet. Sie winkt uns herbei, wir sollen sie zu ihrem Zuhause begleiten. Auf dem Trampelpfad zum Ort der Inszenierung windet sie sich um Bäume, antizipiert mit ihrer Gestik, sie sei ein Teil dieser grünen Seele.
Dann wird sie von Marc Planceon abgelöst, der uns einen steilen Abhang hinunterführt. Er trägt ebenfalls weiße Kleidung, saß zuvor unter einem schützenden Felsvorsprung. Er wirkt wie ein Einsiedler. Als er sich mit uns nach unten bewegt, strahlt er Ruhe aus. Es beginnt zu nieseln. Man solle einander helfen, der Abhang sei rutschig. Es riecht nach Gras, nach Rinde, nach Feuer. Unten wird den Zuschauern Tee gereicht, von einer umgedrehten Steeldrum ertönen weiche, sehr natürliche Töne. Jeder nimmt auf einem Baumstumpf Platz, die Naturbühne breitet sich ringsum aus. Marc Planceon flüstert einigen Gästen Worte zu. Mir spricht er eine chinesische Weisheit ins Ohr: „Quand il n’y a plus d’arbres, il n’y a plus de singes.“ Andere lauschen Rilkes Worten: „Vois les arbres, ils sont.“ Die schiere Existenz, nicht die Zweckmäßigkeit der Natur soll uns gewiss sein.
Auch im weiteren Verlauf der Handlung wird in regelmäßigen Abständen deutlich, dass die ökologische Parabel auch den Rahmen liefert für tänzerische Gestik, musikalische Einlagen, für rezitierte Texte in luxemburgischer, deutscher, englischer, französischer, persischer Sprache. Bücher werden vom gewohnt überzeugenden belgischen Darsteller Jean-Marc Barthélemy verteilt. Sie alle winden sich um Themen wie Schutz, Freiheit, Wertschätzung der Natur. Sie vertiefen die dramatische Handlung auf mehreren künstlerischen Ebenen.
Am Ende wird das Publikum dazu eingeladen, sich die Füße noch etwas in diesem Waldstück zu vertreten oder aber Getränke einzunehmen, die die freiwillige Feuerwehr anbietet.
Es ist schade, dass keine weiteren Vorstellungen für die Zeit nach Erscheinen dieses Beitrages geplant sind. Dieses gut besetzte, mit wenigen Mitteln inszenierte Konzept mag kein Geniestreich sein, entpuppt sich aber als sehr angenehme, kunstübergreifende Begegnung mit der grünen Seele unserer Umgebung. Diese positive Betrachtung des Abends lässt sich jedoch nur aufrechterhalten, wenn man sämtliche Aspekte der Inszenierung in Betracht zieht und sich nicht etwa engstirnig auf die Kernhandlung versteift.