Eine der ersten Amtshandlungen der neuen DP/LSAP/Grünen-Regierung war die Absage einer für Ende nächsten Jahres geplanten Ausstellung über den Ersten Weltkrieg. Damit sollte der prekären Lage der Staatsfinanzen Rechnung getragen werden, lautete die offizielle Erklärung der liberalen Kulturministerin Maggy Nagel. Aber die Ministerin hatte in Wirklichkeit wohl einen weit triftigeren Grund: Wer gedenkt schon gerne eines Kriegs, den er verloren hatte?
Schließlich hatten die herrschenden Kreise – die Regierung, das Parlament, die Monarchie, die Industrie, die Kirche… – beim deutschen Überfall vor hundert Jahren auf das falsche Pferd, auf des Kaisers Ross, gesetzt (d’Land, 8.8.14). Drohte da nicht eine ganze Generation nasenweisser und geltungsbedürftiger Nachwuchshistoriker in alten Wunden zu stochern, niedere geschäftliche und politische Beweggründe ans Licht zu zerren und so dem Ansehen des Produktionsstandorts Heimat zu schaden?
Doch wenn die Ministerin heute das aus den Trümmern der gescheiterten Ausstellung gerettete Buch Guerre(s) au Luxembourg 1914-1928 Krieg(e) in Luxemburg durchblätterte, müsste sie feststellen, dass ihre Befürchtungen unbegründet, ihr Misstrauen kleinmütig waren. Denn die zweisprachige Aufsatzsammlung beschäftigt sich vorwiegend mit interessanten, manchmal unterhaltsamen Aspekten der Alltagsgeschichte des Véierzéngter Krich.
So schaut sich Sandra Camarda Postkarten mit Aufnahmen zerbombter Gebäude an, André Linden führt vor, wie der Kriegszustand die Zeitungswerbung beeinflusste, und Stéphanie Kovacs berichtet, wie die Pressezensur Zeitungsberichte über militärische Bewegungen und soziale Unruhen unterdrückte. Sam Klein erzählt, wie Regierung und Besatzungsmacht wenig erfolgreich die Prostitution zu bekämpfen versuchten, Gaby Sonnabend erinnert an die Gründung des Roten Kreuzes, und Paul Lesch spürt den nicht nur deutschen Unterhaltungs- und Propagandafilmen in den Kinos der Zeit nach. Ben Fayot porträtiert zum dritten Mal den Arbeiterabgeordneten Jean Schortgen, Josiane Weber liest Erich Urbans idyllischen Kriegsroman Das hübsche Mädchen von Kayl, und Arnaud Sauer erkennt in der Erinnerung an die Luxemburger Legionäre eine weitere nationale Mythenbildung.
Einige Autoren wollen etwas weiter blicken. Zu dritt zeigen Catherina Schreiber, Matias Gardin und Daniel Tröhler nach, wie die Schulreformbewegung im Krieg unter anderem auch ein soziale engagiertes und antichauvinistisches Gesellschaftsbild durchzusetzen versuchte. Charles Roemer resümiert den Kenntnisstand über die Lebensmittelknappheit und Dominik Trauth denjenigen über die Landwirtschaft während des Kriegs, unterdessen Gérald Arboit die Wirtschaftsgeschichte mit Emile Mayrisch einem glücklichen Ende zuführt. Emmanuel Debruyne widmet sich der Frage des von der Regierung ausdrücklich verbotenen Widerstands gegen die deutsche Besatzung, beschränkt sich aber auf die wenigen Mitkämpfer ausländischer Untergrundbewegungen.
Obwohl sich die Aufsatzsammlung nicht nur an ein Fachpublikum richtet, fehlt jede Einführung zu den Ursachen und dem Verlauf des Kriegs. Sie wäre umso willkommener gewesen, als der in Deutschland grassierende Revisionismus inzwischen auch auf Luxemburg übergeschwappt ist.
Einzig Denis Scuto wagt sich an den heikleren politischen Aspekt des Themas und beschäftigt sich in einem Beitrag über den liberalen Staatsminister Paul Eyschen mit der deutschfreundlichen Haltung der herrschenden Kreise. Er zitiert aus Das Staatsrecht des Großherzogtums Luxemburg, in dem Paul Eyschen noch 1910 die immerwährende Neutralität des Landes durch die „Bewaffnung und Erhebung des Volkes neben der Sprengung der Viadukte, Brücken und Tunnel“ verteidigt wollte. Vier Jahre später habe Paul Eyschen aber alles daran gesetzt, damit Luxemburg nach dem Sieg wenigstens ein deutsches Bundesland würde und so eine gewisse interne Selbstverwaltung behalte. Als der Krieg dann länger dauerte, als von der deutschen Propaganda angekündigt, habe er erfolglos versucht, mit Frankreich und England ins Geschäft zu kommen, während er zu Hause die starrköpfige Großherzogin vor sich selbst schützen musste. So beschränkt sich Denis Scuto darauf, aus dem politischen Konflikt eine persönliche Tragödie Eyschens zu machen, um am Ende an zeitgenössische Gerüchte zu erinnern, laut denen der 1915 verstorbene Eyschen sich in seiner Ausweglosigkeit vielleicht sogar das Leben genommen habe.