Jean Hamilius scheint ein DP-Politiker zu sein wie aus dem Bilderbuch: Er wuchs am hauptstädtischen Knuedler auf, in dem bekannten Hausrats- und Spielzeugladen Lassner. Sein Vater Emile Hamilius, erst Leutnant der Freiwilligenkompanie, dann Mitinhaber von Maison Lassner, war zwei Häuser weiter im Rathaus Bürgermeister und eine Straße weiter in der Kammer Abgeordneter. Zur Familie zählten „Monni Jang“, der Luxemburger-Wort-Direktor und Abgeordneter der Rechtspartei Jean Origer, und „Monni Vic“, der sozialistische Justizminister Victor Bodson (S. 32). Um die Prädisposition perfekt zu machen, nahm Jean Hamilius 1952 als Staffelläufer an den Olympischen Spielen teil.
Als Jean Hamilius 13 Jahre alt war, überfiel Nazi-Deutschland das Land. Er war Mitglied der katholischen Pfadfindertruppe Notre Dame und kam so mit 15 zur katholischen Widerstandsgruppe Lëtzebuerger Vollekslegioun (LVL), die er nachträglich für „ziemlich weit rechts“ hält (S. 91). Die Resistenzaktivität des Jugendlichen blieb ein Pfadfinderspiel. Doch wenn der heute 87-Jährige seine Lebenserinnerungen Luxemburg im Wandel der Zeiten veröffentlicht, dann geht die Entscheidung „auf einen Artikel zurück, der am 11. November 2011 im Lëtzebuerger Land erschienen ist“ (S. 13). Darin habe der Historiker Vincent Artuso fälschlicherweise der Mehrheit der Bevölkerung eine passive Haltung während des Kriegs vorgeworfen. Jean Hamilius erinnert sich dagegen an den Einmarsch der Wehrmacht, an die Verhaftung seines Vaters, an den Abriss der Gëlle Fra und daran, wie der Ladenbote von Lassner jeden Tag versteckte Deserteure versorgte.
Nach dem Krieg studierte der Junge aus dem Lassner an der Brüsseler Handelsschule Solvay und mit einer Fulbrigt-Börse an der Cornell-Universität. Er arbeitete kurz bei der Arbed-Vertriebsgesellschaft Columeta, ehe er sich selbstständig machte und der Firma Gerbes, Kioes & Cie. experts comptables et fiscaux anschloss. Sie schien eine Goldgrube geworden zu sein. Dank der Niederlassung US-amerikanischer Industrien und später der Entwicklung des Finanzplatzes wurden zusammen mit Hamilius & Schmitter organisateurs conseils daraus die Fiduciaire générale und die lokale Niederlassung von Deloitte sowie die Compagnie fiduciare, später ein Mitglied von Arthur Young und danach von BDO. Aber auch an der Gründung von Cedel, später Clearstream, und Crédit européen, später ING, war Jean Hamilius beteiligt.
So stolz Jean Hamilius auf seinen beruflichen Erfolg ist, so gemischt ist seine politische Bilanz. Nach dem Krieg war sein Vater Mitbegründer des Groupement patriotique et démocratique, einer an die Resistenz anknüpfenden Bewegung in Opposition zu den Parteien der Exilregierung und der politisch ebenso diskreditierten Vorkriegsliberalen. Mitte der Fünfzigerjahre, kurz bevor das Groupement sich in DP umbenannte, trat Sohn Jean ihr bei. Der Escher Geschäftsmann René Mart lehnte aber sein Gesuch ab, im Südbezirk kandidieren zu dürfen. Erst als sein Vater einen Schlaganfall erlitten hatte, durfte er im Zentrum kandidieren, zu einer Zeit, als Wahlkampf aus Versammlungen in Dorfschulen und Wirtshäusern bestand. Er wurde prompt ins Parlament gewählt, was er „allerdings zum Großteil dem Namen meines Vaters zu verdanken hatte“ (S. 164).
1973 wurde Jean Hamilius gegen den Querulanten Jemp Bertrand zum Generalsekretär der DP gewählt. Mit dem späteren Direktor des Office des publications und Immobilienpromotor Lucien Emringer kam er zur Überzeugung, „dass die amerikanischen Wahlkampfmethoden auch in Luxemburg Erfolg haben könnten“ (S. 168), und so organsierten die beiden mit einem neuen Logo und großflächigen Plakaten einen streng zentralisierten, auf Gaston Thorn ausgerichteten Wahlkampf.
Trotz des Erfolgs machte ihn Thorn in der legendären Mittelinkskoalition aber weder zum Finanz-, noch zum Wirtschaftsminister, wie er gehofft hatte, sondern bot ihm das Landwirtschafts- und Bautenministerium an. „Enttäuscht“ nahm er an (S. 172). Auch sein liberaler Widerstand gegen verschiedene Regierungsentscheidungen fand kein Gehör, und wie Thorn seine Minister mit Gutachten der Finanzinspektion vor vollendete Tatsachen zu stellen pflegte, war eine „nicht sehr kollegiale Gepflogenheit“ (S. 175). Der erste liberale Landwirtschaftsminister nach Jahrzehnten CSV-Herrschaft in dem zu „einer Art Festung“ (S. 181) ausgebauten Ministerium fühlte sich zudem Opfer einer „Hatz“ durch „Bauernführer ‚Bern’se Mett‘“ (S. 183). Viele Prügel musste er auch als Bautenminister für den Bau des Kirchberger Schwimmbads und des geplanten Grousse Kueb für das Europaparlament einstecken. Eher aus protokollarischen Gründen wurde er 1977 beigeordneter Außenminister. Doch bei europäischen Gipfeln „beschränkte [Gaston Thorn] seine Stellungnahmen ebenfalls auf das Mindeste“ (S. 225).
So blieb die Laufbahn des DP-Politikers wie aus dem Bilderbuch immer hinter seinen Erwartungen zurück. „Für Gaston Thorn war ich unter diesem Gesichtspunkt wohl ein etwas unzuverlässiger ‚Kantonist‘ – was manches erklärt“ (S. 222). Die Bilanz seiner Regierungsbeteiligung nennt er „zufriedenstellend“, und nach den Wahlen 1979 blieb es dabei: „Ich fühlte mich irgendwie als Außenseiter“ (S. 227), selbst in der eigenen Partei, wo er sich für unzureichend vernetzt hielt. Nach den Gemeindewahlen 1981 unterlag er auch noch knapp gegen Lydie Polfer bei einer parteiinternen Abstimmung über das Amt des hauptstädtischen Bürgermeisters. So widmete er sich wieder seinen Geschäften – auch wenn in seinen Erinnerungen Geld ebenso (wenig vorkommt wie sein Familienleben. Sein Mandat als Europaparlamentarier gab er nach einer halben Mandatszeit auf, 1987 brach er auch sein Mandat als nationaler Abgeordneter vorzeitig ab.