Den Harry Potter an dem Salazar säi Sall lautet der Titel der luxemburgischen Übersetzung des zweiten Bandes der Harry Potter-Saga, die rechtzeitig vor dem Nikolaustag und Weihnachten und fünf Jahre nach dem ersten Band bei Kairos Edition erschienen ist. Die Abweichung vom Wortlaut des Originals (Harry Potter and the Chamber of Secrets) markiert eine merkliche Emanzipation der Übersetzer im Umgang mit der Vorlage, die die naturgemäßen Schwächen des Luxemburgischen über weite Strecken durch gewitzte Einfälle auszugleichen weiß. Statt einer plumpen Anlehnung ans Original (etwas wie: „Den Harry Potter an d’Kummer vun de Geheimnisser“), enthält der Titel eine klassische Alliteration, die lautmalerisch auf das Ungeheuer verweist, die riesige Schlange, die in diesem Band in der geheimen Kammer tief unter dem Zauberinternat Hogwarts auf Harry wartet. „Pour qui sont ces Serpents qui sifflent sur vor têtes?“, zischelt schon Orest in Racines Andromaque beim Anblick der Rachegöttinnen – das ist freilich keine Anspielung, über die Kinder lachen, sondern eine, die den erwachsenen Leser schmunzeln lässt.
Überhaupt scheint dies ein Hauptverdienst der in Gemeinschaftsarbeit von Vater und Tochter geleisteten Übersetzung zu sein, dass sie sich nicht auf eine Alterskategorie als Zielpublikum festlegt, sondern junge wie ältere Leser gleichermaßen im Blick behält. Gelegentlich werden, wie beim Titel, kleine Witze eingeflochten, die sich vor allem an den erwachsenen Vorleser richten: Wo beispielsweise Dobby in seiner verzweifelten Unbeholfenheit versucht, Harry einen Hinweis auf die Lebensgefahr zu geben, die in Hogwarts droht („he seemed to be trying to give a hint“), gibt er im Luxemburgischen „en Tuyau“. Harry versteht natürlich nicht, was der Hauself („den Hausbaudes“) meint: „Den Harry stoung genee do drop.“
Kinder wie Erwachsene werden aber gleichermaßen ihre Freude an den Übersetzungen der Wörter haben, die im Luxemburgischen – womöglich mangels magischer Realitäten – nicht gebräuchlich sind. Aus dem Poltergeist („the ghoul“) auf dem Dachboden der Wheasleys wird etwa ein „Schabaudi“. Mit Liebe zum Detail erfinden Florence und Guy Berg außerdem neu, was sich nicht übersetzen lässt: Aus den Bewertungseinheiten der Zauberschule, den OWLs (kurz für: „Ordinary Wizarding Levels“) werden „KAUZen“, nämlich „Koeffizienten fir d’Allgemengbildung an den Uewerklasse fir Zauberei“ und aus der Zaubermedizin, die Knochen nachwachsen lässt („Skele-Gro“) wird „Schankilin“. Auch wunderbar: Aus dem Geist namens „Moaning Myrtle“ machen die Bergs ein herzergreifend schlichtes „Pinschkätt“. Teilweise übertrifft der Witz der Übersetzung sogar das Original, etwa wenn der am Leben der nicht-magischen Muggles brennend interessierte Arthur Weasly sich statt nach „Rulltrapen“ nach „Wulltrapen“ erkundigt („escapators“ statt „escalators“ in der englischen Vorlage).
Einen ganz besonderen Spaß haben sich die Übersetzer mit der Sprache des Hochstaplers Gilderoy Lockhart erlaubt, der in Harrys zweitem Jahr auf Hogwarts als vermeintlicher Meister der Schwarzkunst Schüler und Lehrer gleichermaßen mit seiner Aufgeblasenheit und seinen leicht durchschaubaren Angebereien nervt. Lockhart spricht nämlich ein hoffnungslos überkandideltes Limperstberger Luxemburgisch, durchsetzt mit allerlei unnötigen französischen Wörtern, die elegant und raffiniert wirken sollen („hien hat net den Hauch vun engem Soupçon“, „ech souvenéiere mech un eppes ganz Ähnleches“ usw.). Ein Schelm, wer in Lockharts gestelzter Ausdrucksweise und seiner unverhohlenen Mediengeilheit den Abglanz einheimischer Fernsehprominenz wiedererkennen mag.
Auch dieser zweite Band bietet keine gewöhnliche Alltagssprache. „Grinsen“ heißt hier mit einem schönen alten Wort „schmotzlächelen“ und die vom Anblick des Basilisken erstarrten Schüler werden nicht „steif“, sondern „strack“. Dass die Natürlichkeit stellenweise dem gesuchten, manchmal veralteten oder ungebräuchlichen Wort weichen muss, ist dem Buch allerdings nicht als Mangel anzulasten. Vielmehr stellt es mit der Aneignung eines wahren Klassikers der Jugendliteratur auch einen unverhofften Reichtum der Zielsprache aus, einen ganz dezidierten Willen, sich eher einer literarischen als der tatsächlich gesprochenen Umgangssprache zu bedienen.