Wer nichts wird, wird Wirt, es sei denn, er bewirtet in seiner Wirtschaft die Wirtschaftsbosse. Und genau das tat Tony Tintinger, zuerst im bescheidenen Pourquoi pas in Esch, dann im prunkvollen Clairefontaine in Luxemburg. Pünktlich zu den Walfer Bicherdeeg und dem Weihnachtsmarkt hat TT jetzt ein beleibtes (und sicher bald beliebtes) Buch geschrieben, kein Kochbuch, sondern das Buch eines Kochs, der etwas naiv und sehr erfrischend die Revanche des armen Minettsdapp am Leben erzählt. Und was für Apicius das Küchenlatein ist, ist für Tintinger das Küchendeutsch, das uns unweigerlich an das Radebrechen unseres Außenministers erinnert, als der den Kochbengel vor den Fernsehkameras schwang. Mal prahlt Tintinger wie ein Bub auf dem Schulhof, mal doziert er wie der Jang am Stammtisch. Denn von jemandem, der skrupellos himmlisch-hedonistische Saucen auftischte und herrliche alkohol- und tanninstarke Weine ausschenkte, darf man natürlich keine politisch korrekte Lektüre erwarten. Und so schreibt unser Profikoch und Hobbyautor dann auch ganz erfrischend und ungeniert über seine Sehnsucht nach der guten, alten Zeit, da das Schwarzgeld in Gerichte, Gelage und Getränke investiert wurde und Führerschein und Promille einander fröhlich zuprosteten.
Das Buch ist deftige Hausmannskost, wie wir sie oft in der Escher Kneipe aufgetischt bekamen, und keine edle Sternekost, die wir uns (zu) selten in der Luxemburger Luxusherberge leisten konnten. Und darum liest es sich auch so erfrischend angenehm, bald mit einer nostalgischen Träne im Auge, wenn vom Esch der Arbeiter, Studenten und Ingenieure die Rede ist, bald mit einem schadenfrohen Lächeln um die Lippen wenn Lea Linster, Pierrick Guilloux oder gar der Erbe Arnaud Magnier ihr Fett abbekommen. Bei Tony Tintinger ist der „Lëtzebuerger Beschass“ aber auch immer ein Stück Luxemburger Zeitgeschichte die den Bogen spannt von den optimistischen trente glorieuses der rauchenden Schlote im Minett über die prassende bling-bling-Zeit der hauptstädtischen Banken bis hin zu der heutigen pessimistischen (Nach? -) Krisenzeit.
Die Hobbyköche und Start-up-Unternehmer finden zu Essen und zu Trinken in dem Buch, das zwischen den Kapiteln (aber beileibe nicht zwischen den Zeilen, das ist nicht die Art des Autors) nützliche Hinweise gibt, was man tun und lassen muss, um ein Gericht oder eine Karriere hinzubekommen. Und so ist das Buch auch ein bisschen eine scientiam popinae, eine Wissenschaft der Wirtschaft, wie der römische Stoiker Seneca einmal die Schriften des Apicius betitelte. Kein Wunder also, wenn Wirtschaftswissenschaftler im Clairefontaine speisten und Bierologiestudenten im Pourquoi pas prosteten.
Aber auch der Psychoanalytiker kann Gefallen an dem Buch finden. Etwa wenn Tony von seiner unglücklichen Kindheit erzählt, von dem strengen, fast sadistischen Vater, der in ihm nur den Ersatz für den verstorbenen erstgeborenen Tony sah, oder von der streng religiösen Mutter, die als Mitglied der neuapostolischen Kirche, bei der „alles verboten war, was mit Freude und Vergnügen zu tun haben könnte“, den Buben abends hungrig ins Bett schickte. Tony schlug Mutter und Vater also mit ihren eigenen Waffen und wurde zum Luxemburger Küchenpapst, der alle Möchtegerngroße des Großherzogtums und viele zeitweilige Größen des Universums duzte und bekochte. Den deutschen Büchnerpreis wird Tony Tintinger wohl nicht bekommen, dafür aber ganz sicher den luxemburgischen Buchpreis.