Zwei Jahre nach dem Regierungswechsel nimmt der Luxemburger-Wort-Journalist Christoph Bumb sich von einem politisch leicht unterschiedlichen Standpunkt aus noch einmal vor, was RTL bereits zwei Monate nach den Wahlen mit der Fernsehreportage Oktoberrevolutioun versucht hatte: die Abwahl der CSV und die Geburt der liberalen Spar- und Modernisiererkoalition von DP, LSAP und Grünen zu erzählen. Er erinnert uns noch einmal an das Siechtum der CSV/LSAP-Koalition nach 2009, mit ihren Skandalen, ihren Streitereien und einem immer launischeren Mister Euro als Premier. Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss über den Geheimdienst hätten dann die Mehrheitsverhältnisse zu kippen begonnen. Die CSV aber habe den Ernst der Lage verkannt und die Kritik habe sich nicht ganz fair auf den isolierten und unnahbaren Jean-Claude Juncker konzentriert. „Doch Politik ist nicht fair“ (S. 51), wagt der Autor ein wahres Wort.
Nach dem merkwürdigen Rücktrittssturz des Premiers habe dann gleich der Wahlkampf begonnen, mit der CSV in der Opferrolle und mit DP, LSAP und Grünen, die auf eine Dreierkoalition hingearbeitet hätten, ohne es groß anzukündigen. Als die Wahlen ihnen 32 Mandate beschert hätten und Etienne Schneider (LSAP) dann „bei einer Zigarette auf dem Balkon“ (S. 111) Xavier Bettel (DP) das Amt des Premiers überlassen habe, hätten die drei Parteien blitzschnell vollendete Tatsachen geschaffen. Dagegen habe die CSV geglaubt, noch immer die Spielregeln diktieren zu können, und sei leer ausgegangen.
So hält Christoph Bumb lobenswerterweise noch einmal eine für hiesige Verhältnisse tumultuöse Episode der Politik für die Nachwelt fest. Nach eigenen Angaben studierte er reichlich Archivmaterial und führte Gespräche mit den Hauptbeteiligten, er beruft sich aber weitgehend auf anonyme Quellen. In einem Interview des Luxemburger Wort ließ er sich am Wochenende fragen, was sein Buch denn an neuen Erkenntnissen aufweise, und er antwortete, es enthalte „schon neue Momente“. Aber als er sie aufzuzählen versuchte, fielen ihm keine ein. Der bescheidene Neuigkeitswert und der angestrengt humorlose Ton machen das Buch nicht lesenswerter.
Das Bemerkenswerteste an Blau-Rot-Grün ist jedoch, wie ungehemmt es die Wut der Rechten auf ihren ehemaligen Star, den für die Wahlniederlage verantwortlich gemachten Jean-Claude Juncker ausdrückt. Derart ungeniert hat wohl noch nie eine Publikation des Luxemburger Wort einen ehemaligen christlich-sozialen Regierungschef als Tyrann und Trunkenbold bloßgestellt.
Für die CSV gilt eine Regierung ohne christlich-soziale Beteiligung als unmoralisch oder gar illegitim. Christoph Bumb gibt sich nuancierter, ist aber nicht weit von dieser Ansicht entfernt, vielleicht auch weil eine Komplotttheorie sein Buch spannender macht. Er hält den heutigen Regierungsparteien vor allem vor, schon vor den Wahlen heimlich an einer Koalition ohne CSV geplant zu haben. Bald findet er aber, „[s]ich nicht vor den Wahlen zu treffen, wäre in diesem Sinn schon fast unverantwortlich gewesen“ (S.108), bald war es „der ungenierte und hinter den Kulissen ganz gezielt vorbereitete Griff nach der Macht“ (S. 123).
Im Resümee: „Blau-Rot-Grün putschte sich demnach nicht an die Macht“, sondern sie „schlichen sich vielmehr diskret an der Konfrontation mit den Wählern vorbei in die Regierung“ (S. 90). Die in der CSV gepflegte Vorstellung, dass diese Regierung ohne CSV formaljuristisch zwar in Ordnung sei, aber sie sich doch die Macht irgendwie erschlichen habe, kommt mehrmals vor. Die größte Schwäche des Buchs ist jedoch, dass es bei allen Anekdoten, Erwägungen und Spekulationen über zwei Dutzend bekannte Berufspolitiker paradoxerweise unpolitisch ist: Die 2013 sehr politisierte Luxemburger Gesellschaft mit ihren Wählerschichten, Unternehmerverbänden, Gewerkschaften und dergleichen mehr, deren Ausdruck die Politik, die vorgezogenen Wahlen und auch der Regierungswechsel sind, kommt nicht darin vor.