Ein Mann in mäßig gepflegter Kleidung verzehrt an einem glühenden Sommertag in einem Wiener Kaffeehaus eine heiße Schokolade und einen Schinken-Käse-Toast, er raucht dazu und ärgert sich über den Kellner, der sich offensichtlich kein erhebliches Trinkgeld von einem derartigen Gast erwartet und ihn deswegen schlecht bedient. Trotzig bezahlt der Mann mit einem Fünfhunderter. Schnitt.
Ein Mann sitzt während einer Auszeit vom Gelegenheitsjob, den er in Bregenz versieht, an der Promenade und gibt vor, in seinem Buch zu lesen. In Wahrheit ist das Buch nur ein Vorwand, sich stundelang nicht vom Fleck zu bewegen; er wartet auf eine Touristenattraktion, eine Bimmelbahn für Kinder, die in regelmäßigen Abständen an ihm vorbeifährt. Am Steuer sitzt eine gut gelaunte junge Frau, von deren Blick er sich nicht lösen kann. Schnitt.
Es dauert nicht lange und der Leser weiß: Der Protagonist in diesen beiden Geschichten ist derselbe junge Mann, ein Student aus Wien, der bei jedem Wetter heiße Schokolade trinkt und sich in die junge Frau verliebt, die die Kinder von Touristen am Ufer entlangfährt. Der Autor des Romans lässt die beiden Erzählstränge in kurzen Abschnitten ineinandergreifen, so dass sich dem Leser in einer geschickten Taktung das Zulaufen auf eine große Liebe und der Umgang mit der gescheiterten Beziehung parallel erschließen. Während der Student in Bregenz noch eine Gelegenheit abwartet, die hübsche Unbekannte anzusprechen, blickt der Kaffeehausbesucher längst völlig desillusioniert auf die Trennung zurück, auf eine Zeit der Isolation von der Außenwelt, der Depression und der Selbstzerstörung, die er dann doch noch nicht bis zur letzten Konsequenz betrieben hat. Soviel steht aber schnell fest: Er ist am Ende, ohne „sie“ will er nicht mehr leben. Er wird sich – genau an diesem Tag, an dem die Erzählung einsetzt – einen Revolver, und damit die Mittel zum Selbstmord beschaffen.
Eine Liebesgeschichte also, die bei aller Unbedingtheit und rohen Unmittelbarkeit der Gefühle – darauf scheint der Autor stets bedacht – nicht kitschig wirken soll. Das beginnt bei einer ausgeprägt schonungslosen Darstellung alles Körperlichen, die einerseits der Darstellung der sexuellen Ebene dieser Beziehung gilt und andererseits dem Leser kein Unwohlsein, keine Ausdünstung und keine noch so groteske Selbstvernachlässigung der Figur erspart. Der Autor changiert dabei bewusst zwischen höchster Lusterfüllung und größtmöglichem Ekel; die Liebe in diesem Roman ist eine Grenzerfahrung, ein Schwanken zwischen Extremen. So wird der Eros – nach alter Wiener Tradition – aufs Engste mit dem Thanatos verknüpft: Der Protagonist spielt mittels des Revolvers und einer Vorrichtung, die er in seiner Wohnung angebracht hat, russisches Roulette. In Anlehnung an das dramatische Prinzip, dass die Waffe, die zu Beginn erstanden wird, im Lauf der Handlung zum Einsatz kommen muss, wird der Liebesroman so gleichzeitig zum Kriminalroman, dessen Ausgang allerdings nicht so felsenfest steht, wie es zunächst noch den Anschein hat.
Dass Biltgen Schauspieler ist und auch als Autor dem Theater nahe steht, lässt sich nicht allein am zügigen Erzähltempo und der dramatischen Zuspitzung der Handlung ablesen. Bemerkenswert ist sein Gefühl für das Situative, das den Leser von Kapitel zu Kapitel mitten in das Geschehen versetzt, ohne Überfrachtung durch Reflexion, ohne langes Herumstöbern in Details. Dieses Erzählverfahren passt zur Distanzlosigkeit und Unbedingtheit der geschilderten Liebesbeziehung, zur Unfähigkeit des Protagonisten, auf Abstand zu seiner Lage oder zu seinen Gefühlen zu gehen.
Die Kehrseite dieser Art, die Geschichte zu erzählen, liegt darin, dass sich dem Leser das Zwanghafte der Situation, in der sich der Student befindet, nur bedingt erschließen kann. Biltgen reduziert vor allem bei der Figurenzeichnung so stark, dass sowohl der Protagonist als auch die Frau, die er liebt, zwar komplexe Emotionen aufweisen, aber in ihrer Persönlichkeit teils sehr verschwommen bleiben. Es zählt nur, was sie tun oder gerade denken, nicht eigentlich, wer sie sind.
Auch verhindert die Reflexionshemmung, die der Autor seiner Hauptfigur meistenteils auferlegt, dass der Leser sich bedingungslos auf deren Seite stellen kann, wenn es um die Gründe für die Trennung geht, also um die Quelle der Todessehnsucht der Figur, darum, was sie eigentlich antreibt. Dass die Freundin von einem Schwangerschaftsabbruch erzählt, den sie nach dem gemeinsam verbrachten Sommer vorgenommen habe, bleibt ohne Impakt, keine großen Schuldgefühle, kein Jonglieren mit Lebensentwürfen. Als ihr die Decke auf den Kopf zu fallen droht, schlägt ihr der Protagonist vor, auf Kinder aufzupassen, um Geld zu verdienen. Sie lehnt ab, er kauft eine Playstation.
Je näher sich der Roman auf sein Ende zubewegt, desto weiter entfernt sich der Leser von der Figur. Der Schluss bleibt deshalb seltsam ambivalent. Mit dem theatralischen Coup, der der Handlung eine etwas forcierte Wendung verleiht, entscheidet sich Biltgen für eine rein äußere Lösung, statt den inneren Konflikt seines lebensmüden Liebenden aufzubrechen. Ob das angesichts der verfahrenen Situation des Protagonisten, notwendig, schade oder eine Erleichterung ist, wird im Auge des Betrachters liegen.