Früher, als die Menschen noch fromm und die Mittel der Schwangerschaftsverhütung rudimentär waren, legte eine Mutter ihre Tochter mit einem Psalmenbuch zu Bett.
„Or, elle attendoit un beau Sire ;Il vint, [&] les tendres ébats,Agitant draps [&] couverture,Le Pseautier, descendu plus bas,Se trouve au fort de l’aventure,Bien plus ; car du prudent AmiLa reliure toute neuve,D’un plaisir qui n’est qu’à demi,Reçut une abondante preuve.“(Bd. 2, S. 28)
Die Anekdote von der Befleckung der Heiligen Schrift dichtete ein 1683 in Tours geborener Geistlicher, Jean-Baptiste-Joseph Willart de Grécourt, der als Abbé Grécourt in die Literaturgeschichte einging, weil er rasch das Interesse am Gottesdienst verloren hatte. Zeitlebens veröffentlichte er keines seiner humorvollen und oft erotischen Gedichte und Stücke unter seinem Namen, sondern trug die Lieder, Fabeln und Epigramme vor interessierten Zuhörern vor oder verbreitete sie unter dem Mantel. Doch kaum war er 1743 gestorben, rissen sich die Drucker und Verleger um das Geschäft mit den wegen ihrer Obszönität von der Zensur bedrohten Schriften. Allein zwischen 1745 und 1749 kam mindestens ein halbes Dutzend Ausgaben im freigeistigeren Amsterdam heraus, die mehr oder weniger heimlich nach Frankreich geschmuggelt wurden.
Nach dem Vorbild der 1746 in Amsterdam erschienenen zweibändigen Œuvres diverses erschienen 1761 die vierbändigen ŒUVRES DIVERSES DE GRÉCOURT ; NOUVELLE ÉDI-TION ; Soigneusement corrigée, [&] augmentée d’un grand nombre de Piéces qui n’avoient jamais été imprimées. […] Contenant les Epîtres [&] les Fables. A LUXEMBOURG. Im Vorwort klagen die Herausgeber, dass die Werke kaum eines anderen modernen Autors so oft nachgedruckt und so entstellt worden seien. Wobei „l’avidité des Editeurs de Grécourt“ so weit gegangen sei, dass sie sogar fremde Gedichte hinzugefügt hätten, um mehr Bände zu verkaufen (Bd. 1,S. V). Die vier Bände versammeln die „Epîtres [&] les Fables“, die „Contes, les Chansons, [&]c.“, die „Poësies, mêlées, Philotanus, avec la Traduction Latine, [&]c.“ und ein – trotz der Kritik an der Konkurrenz – apokrypher „Supplément de Grécourt ou collection de differentes piéces“.
Das Druckbild und die Druckqualität des Werkes erinnern an keines der zu jener Zeit in Luxemburg hergestellten Bücher. Die Bibliographien des 19. Jahrhunderts sind sich einig, dass das Werk heimlich in Paris hergestellt wurde und mit einer falschen Ortsangabe die Zensur irreführen sollte. Das ist kein Einzelfall (d’Land, 26.8.11). Einmalig dabei ist aber, dass sich binnen 40 Jahren eine Tradition von mindestens sieben Grécourt-Ausgaben einbürgerte, die allesamt den falschen Druckort Luxemburg tragen.
Denn drei Jahre später erschienen die ŒUVRES COMPLETTES DE GRÉCOURT; NOUVELLE ÉDITION, Soigneusement corrigée, [&] augmentée d’un grand nombre de Pièces qui n’avoient jamais été imprimées. […] A Luxembourg. M. DCC. LXIV. Sie enthalten eine veränderte Anordnung der Werke und beginnen mit „Philotanus“, einem längeren jesuitenfeindlichen Gedicht, dessen Titel in einer Fußnote (Bd. 1, S. 5) erklärt wird mit „nom composé du Grec Philos aimant, [&] du mot latin Anus, qui s’entend, [&] se dit même en françois“.
1767 und 1768 kamen wiederum angeblich in Luxemburg neue Ausgaben der Œuvres diverses heraus. Weitere falsche Luxemburger Ausgaben der Ouevres complettes sind von 1780 und der Œuvres diverses von 1787 bekannt. Die erotische Literatur, die gegen die Moralvorstellungen der Kirche und des Absolutismus aufbegehrt, ist ein wichtiger Teil der Literatur der Aufklärung. „Liberty and libertinism appear to be linked“, schreibt Robert Darnton in The forbidden best-sellers of pre-revolutionary France. „For once we learn to look for philosophy under the cloak, anything seems possible, even the French Revolution.“ Als nach der Französischen Revolution Grécourts Werke ganz legal mit den Namen der Pariser Drucker erschienen und Luxemburg bereits französisch geworden war, trug noch eine weitere, diesmal achtbändige Ausgabe der Œuvres complettes die Adresse « A Luxembourg. AN X. – 1802. »