Im Jahr 1735, als die Druckerei [-]André Chevalier in Luxemburg die MEMOIRES De Mre Bourdeille, Seigneur DE BRANTOME, CONTENANT LES VIES DES DAMES GALANTES herausbrachte (d’Land, 26.8.11), erschien ein TRAITÉ DE LA DISSOLUTION DU MARIAGE POUR CAUSE D’IMPUISSANCE, AVEC Quelques Piéces curieuses sur le même Sujet. A LU[-]XEMBOURG, Chez JEAN MARIE VANDER KRAGT.
Die insgesamt 250 Seiten starke Schrift ist eine juristische Abhandlung, die nach fast 300 Jahren durch ihren aufgeklärten und frauenfreundlichen Standpunkt für eine Zeit überraschen kann, als die Ehe ein religiöses Sakrament und die Scheidung eine theologische und juristische Ausnahmeprozedur für gehobene Kreise war. Gleich im Vorwort zeigt sich der Autor erstaunt über die Voreingenommenheit seiner Zeitgenossen gegenüber Frauen, die ihre Ehemänner wegen Impotenz verklagten. Obwohl das Ehe- wie das Kirchenrecht ein solches Verfahren ermöglichten, werde es als Unehre für die Frauen angesehen. Auch missbräuchliche Beschuldigungen dürften kein Grund sein, auf das Recht zur Auflösung nicht vollzogener Ehen zu verzichten.
Anders als der Titel vermuten lässt, beschränkt sich die Schrift auf jene Fälle, wo verklagte Ehemänner ihre Impotenz bestreiten, und verteidigt dabei unter Erörterung des Für und Wider zwei zu jener Zeit nicht unübliche Mittel der Beweisführung, die Untersuchung der Jungfräulichkeit der Klägerin durch Matronen oder Ärzte und den von anderen Autoren kritisierte „Con[-]grès“, während dem der Beschuldigte seine Manneskraft unter Beweis stellen sollte: „Le Mari [&] la femme y sont dans un lit bien fermé. A la vérité il reste dans la Chambre des Matrones, pour servir de temoins, en cas qu’il arrive quelque altercation entr’eux. Mais tout se passe d’ailleurs entre quatre rideaux.“ (S. 96) Als historische Fallbeispiele solcher Ermittlungen werden im Anhang das „Factum d’Estienne Pasquier pour Marie de Corbie“ und die „Relation du procès de Charles de Quellenec, Baron de Pont avec Catherine de Parthenai“ nachgedruckt.
Weit ausholend zitiert der Autor Juristen, Ärzte, Kirchenväter und Kirchenrechtler von der Antike bis zur Gegenwart, die sich, ebenso wie die Fallbeispiele, in Französisch oder Latein über die technischen Details des geglückten und missglückten, des simulierten und sabotierten ehelichen Geschlechtsakts auslassen. Diese Beschreibungen führten dazu, dass die juristische Abhandlung im 19. und 20. Jahrhundert auch in Bibliographien erotischer Literatur aufgeführt wurde.
Wohl wegen der Freizügigkeit, mit der über den Sexualakt diskutiert wurde, oder weil es sich angeblich um eine Raubdruck handelte, erschien die Schrift zuerst anonym. Ihr Autor war der angesehene Jurist, Président à mortier au Parlement, Altertumskundler und Literat Jean Bouhier (1673-1746) aus Dijon. Obwohl das Titelblatt als Druckort Luxemburg und als Drucker einen Jean Marie Vander Kragt angibt, gab es 1735 hierzulande nur zwei Druckereien, diejenigen von André Chevalier und Jacques Ferry. Von einem Vander Kragt fehlt jede Spur. Wahrscheinlich hat der tatsächliche Drucker es aus Angst vor Strafverfolgung oder um seinen guten Ruf vorgezogen, ebenso unbekannt zu bleiben wie der Autor und mit einem erfundenen Namen und Druckort die Zensur irrezuführen. Der niederländisch klingende Name Vander Kragt (Kracht) spielt vielleicht auf die Manneskraft und damit das Thema des Druckwerks an.
Weshalb ausgerechnet Luxemburg als außerhalb des Zugriffsgebiets der französischen Strafverfolgung liegender Druckort angegeben wird, lässt sich nur vermuten. Die österreichischen Niederlande galten zu jener Zeit in Europa als „le pays des libraires contrefacteurs“ ([-]Larousse, 1866), in Luxemburg waren seit Jahrzehnten Bücher und eine Zeitung für den franzölsischen Markt gedruckt worden. Als tatsächlichen Druckort vermuten manche Biblio[-]graphien die Heimatstadt des Autors, Dijon. Emil Weller (1864) nennt Neufchâtel, Antoine-Alexandre Barbier (1879) Genf. Dass zwei Repliken des Kirchenrechtlers Jean Baptiste Fromageot ebenfalls Luxemburg als Druckort angeben, beruht möglicherwesie auf einem bibliographischen Missverständnis.