Einige Luxemburger Autoren benutzen Pseudonyme, um ihr Publikum zu belustigen, zu verwirren, zu täuschen, kurz: um es in ein metatextuelles Spiel zu verwickeln, in dem der Schreibende selbst zur literarischen Figur wird. Dass eine spielerische Selbstverleugnung aber nicht der einzige Beweggrund für einen Autor sein muss, unter anderem Namen zu schreiben, zeigt Friederike Migneco (geb. 1963 in Luxemburg) in ihrem Gedichtband ich bin aus dir gemacht. Der Titel der ausdrücklich als „Liebesgedichte“ ausgewiesenen Texte ist ein erstes Indiz dafür, dass mit dem Autornamen „Cayetana Caruso“ kein Leser hinters Licht geführt werden soll. Möglicherweise ist der Leser mit der Verwendung dieses Namens nicht einmal anvisiert. Es geht vielmehr darum, dass mit der Textproduktion gleichzeitig ein „Ich“, das sich diesen Namen gibt, „gemacht“, also hervorgebracht wird. „Cayetana Caruso“ ist daher streng genommen kein Pseudonym, denn der Name dient nicht der Täuschung: Sein Sinn ist nicht, zu verhüllen, sondern sichtbar werden zu lassen. Er ist, wenn man so will, die äußerste Hülle einer Autoridentität, die sich erst durch den Prozess des lyrischen Schreibens konstituiert.
Liebesgedichte zu schreiben, ist immer ein Wagnis. Das mag zum einen daran liegen, dass man auch hundert Jahre, nachdem ein Rilke oder ein Thomas Mann ihre Vorbehalte gegen die poetische Äußerung von Herzensangelegenheiten vorgebracht haben, dem Pathos in der Lyrik immer noch nicht so recht über den Weg traut. Zum anderen besteht für den Schreiber von Liebesgedichten keine geringe Gefahr darin, ein als einzig-artig empfundenes eigenes Gefühl im verschlissenen Idiom der Alltagssprache sagen zu müssen. Dieses Problem ist ebenfalls nicht neu1, wenn es auch vielleicht durch die weit verbreitete Beliebtheit von Vorabendserien, Popmusik und der sogenannten „romantischen Komödie“ sicher einigen Auftrieb bekommen hat. Kaum ein Vokabular ist so verbreitet wie die Formeln, mit denen über „Liebe“ gesprochen wird.
Die zeitgenössische Liebeslyrik begegnet dieser Ausgangslage oft mit einer Mischung aus Ironie und einer gewissen Vorsicht, was die Sagbarkeit des Gefühls anbelangt. Sie versucht, wie zuletzt etwa Michael Lentz in seinem wunderbaren Gedichtband Offene Unruh2, eine eigene Tonlage zu finden, dem Überfluss an Liebesgerede mit knapper Präzision zu begegnen, und Vergleichsebenen zu finden, die ohne eine blumige oder abstruse Metaphorik auskommen.
Die Autorin von ich bin aus dir gemacht geht einen anderen Weg. Das „Ich“ in ihren deutschen und italienischen Gedichten verweist sich jeweils an ein „Du“ (es scheint nicht immer dasselbe „Du“ zu sein), dem es sich vorbehaltlos öffnet und offenbart, zu dem es in einer bildreichen Sprache spricht, das es anfleht, auf das es immer wieder zurückkommt. Der Gestus, mit dem das „Du“ in diesen Texten umkreist wird, ist dabei wesentlich unironisch, das heißt, das „Ich“ misst zwar immer wieder die Distanz zu seinem lyrischen Gegenüber aus, lässt aber kaum Anzeichen von Distanz zu sich selbst erkennen. Das ist in der Tat ungewöhnlich und unmodern. Der Fluchtpunkt dieser Texte ist, trotz einiger überraschender Metaphern, gerade nicht die Originalität des sprachlichen Ausdrucks. Die Metaphorik orientiert sich – im ersten Sinn des Wortes – an Elementarem, an Wasser, Luft, Erde und Feuer, um es sogleich in eine Bilderfolge einzubetten, die für den Leser, der nicht in die intimen Idiosynkrasien dieser Zwiesprache von „Ich“ und „Du“ eingeweiht ist, allerdings nur schwer verständlich werden.
Nicht naiv, sondern offenbar ganz bewusst blendet die Autorin jeglichen Zeitgeist zugunsten einer Schreibweise aus, die sich nicht darum schert, dass das nächste und schlichteste Vokabular der Liebe platt und schal geredet worden sein könnte. Hier reimt „herz“ auf „schmerz“ (vgl. „Ich lebe wie in einem traum“, S. 20) und „sagen“ auf „verzagen“ (vgl. „Dicht ist die Zeit“, S. 94), hier ist von „Silberregen“ und „grünen Wipfeln junger Tannen“ die Rede (vgl. „Grüne Ruhe“, S. 13). Die hervorstechenden stilistischen Merkmale sind die zur Verstärkung der Emphase verwendete Anapher und eine oft undurchdringliche symbolische Bildlichkeit. Obwohl sie freie Rhythmen verwendet und meistens auf Endreime verzichtet, wirken die Gedichte von Cayetana Caruso wie Lyrik aus einer anderen Zeit.