Die Hafenstadt Aden im heutigen Jemen, „un roc affreux, sans un seul brin d’herbe ni une goutte d’eau bonne“, ging in die europäische Literaturgeschichte ein, weil dort der vom Dichter zum Waffenhändler umgeschulte Arthur Rimbaud im Grand Hôtel de l’Univers wohnte. 15 Jahre vor Rimbaud waren Herr und Frau Schliep in Aden. Sie stiegen allerdings im Hotel Ponsin ab, und als Frau Schliep sich auf „luxemburger Deutsch“ über den Speiseplan wunderte, entfuhr es der Hotelbesitzerin: „O du mei léven Herrgott, si dir Letzeburger!“
So fand Aden nun auch Eingang in die Luxemburger Literaturgeschichte, seit Pierre Marson vom Merscher Literaturzentrum Henri Schlieps 1893 in der Luxemburger Volkszeitung veröffentlichten Reiseerinnerungen in seine neue Anthologie Vun der Sauer bis bei den Nil. Luxemburger Autoren und die islamische Welt aufnahm. Marsons nach einem Vers aus Michels Rodanges Dem Grof Sigfrid séng Goldkummer benannte Sammlung straft so manche Vorurteile Lüge, dass die Luxemburger Literatur nur aus Heimatdichtung bestehe. Schließlich stellt Marson über 70 Texte Luxemburger Autoren aus dem 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts über Ägypten, den Maghreb, die Levante, die Türkei, Zentralasien, den Kaukasus und Randgebiete sowie den märchenhaften Orient vor, von Erzählungen und Dramatik über Lyrik bis zu wissenschaftlichen Reiseberichten.
Auch wenn Marson es so nicht ausdrückt, ist sein Thema sehr aktuell. Denn die Islamophobie ist derzeit der Antisemitismus des 21. Jahrhunderts, sei es, um die Kriege in islamischen Ländern zu rechtfertigen, an denen sich Luxemburg, von Afghanistan bis Libyen, mit Soldaten und Geld beteiligt, sei es, um Immigranten an den Toren der Festung Europa abzuwehren. Tatsächlich griffen ab Anfang des 19. Jahrhunderts fromme Autoren, von Amélie Picard bis Dicks, die mittelalterliche Kreuzfahrerpropaganda auf, von der auch George W. Bush sprach, und machten Gottfried von Bouillon zum Nationalhelden. Liberale Philhellenisten, wie Charles-Théodore André oder Heinrich Gloden, knüpften gleichzeitig an die Propaganda der Türkenkriege des 16. Jahrhunderts an, die heute durchscheint, um den EU-Beitritt der Türkei zu verhindern. Gegen Ende des 19. Jahrhundert übernahmen dann renommierte Forscher, etwa Michel Lucius oder Guillaume Capus, das kolonialpolitische Vokabular, um die technische und moralische Unterlegenheit der Muselmanen zu beschreiben, von der sie derzeit unter anderem die Nato mit Gewalt zu befreien versucht.
Selbstverständlich gab es auch das rassistische Spiegelbild: die europaweite orientalistische Mode, die von Michel Rodange bis Marcel Noppeney reichende Schwärmerei für den märchenhaften Orient von Karawanen und Oasen aus 1001 Nacht und vor allem für seine geheimnisvollen Haremsfrauen. Marson schließt sich der These an, dass sich in Reiseberichten immer auch die Gesellschaften widerspiegeln, aus denen die Autoren kommen, und fragt folglich nach den Eigenarten eines Luxemburger Orientalismus. Er weist aber auch darauf hin, dass es Autoren, wie Nicolas Bové und Maurice Letellier, gab, die versuchten, islamischen Gesellschaften möglichst vorurteilsfrei zu begegnen, oder im Laufe dieser Begegnungen ihre Ansichten änderten.
So hat Pierre Marson eine der anregendsten Anthologien Luxemburger Literatur zusammengetragen, in die er unter Berücksichtigung aktueller Forschung umsichtig einführt. Sieht man von der kaum nachvollziehbaren Rezeptionsgeschichte ab, ist vielleicht die hierzulande noch unerforschte Populärliteratur zu kurz gekommen. Denn ihren ersten Kontakt mit einem Bild vom Orient haben sicher Generationen von Luxemburgern durch die Bibelgeschichten für den Schulgebrauch bekommen, wie sie verschiedene Autoren ab 1821 immer wieder veröffentlichten.