Rund 120 Seiten umfasst das Erstlingswerk von Anja Di Bartolomeo, das die junge Autorin (geb. 1978) als Teil der offiziellen Luxemburger Delegation bei der diesjährigen Leipziger Buchmesse vorstellen durfte. Das Buch mit dem Titel Exit Schattenkopf enthält eine längere und eine kürzere Erzählung über psychotische Charaktere; es geht um Menschen mit selbstzerstörerischen Manien und Wahnvorstellungen.
Das Thema ist mindestens so alt wie die Psychoanalyse, so auch die darstellerische Perspektive, nämlich die des psychotischen Ichs, dessen Gedankenfluss unvermittelt, also ohne kommentierende Einwirkung einer Erzählerinstanz, wiedergegeben wird1. Bei einer solchen Erzählweise hängt daher alles von der Figurenzeichnung ab. Dass das der Autorin bewusst ist, bezeugt sie damit, dass sie schon im ersten Satz von „Leslie X“, der ersten, längeren Erzählung, damit beginnt, die Denkart der Figur zu umreißen: „Kiew hat er gesagt, Kiew, das ist in Russland oder so [...].“ Man braucht kaum noch die herablassenden Einschätzungen, mit denen die junge Frau ihre Mitmenschen bedenkt um zu merken, dass Intelligenzquotient und Charakterkostüm dieser Figur nicht dazu gemacht sind, Lesersympathien anzuziehen.
Dass dem Buch keine besonders unterhaltsame Lektüre abzugewinnen ist, liegt aber weniger an der emotionalen Zurückgebliebenheit der Charaktere, als an der Sprache, die die Autorin ihnen zugedacht hat. Hier bewahrheitet sich einmal mehr das Wort des Marcel Reich-Ranicki: „Wer in den Mittelpunkt eines Romans einen dummen Menschen stellt, muß damit rechnen, daß dessen Dummheit sich ausbreitet und das Ganze infiziert.2“ Wenn sich diese Dummheit dann auch noch mit Aggressivität, extremer Selbstbezogenheit und niedrigster Gossensprache paart, sind 120 Seiten mehr als genug.
Ficken, wichsen, kotzen. Di Bartolemeo lässt nichts aus. Die von Enzensberger zu Recht bedauerte „Scheiße“ wird von der Autorin so stark beansprucht, dass dem Wort nahezu jegliche Bedeutung abhanden kommt. „Scheißtunnel“, „scheiß drauf“, „scheißegal“, „Scheißleben“, „Scheißgetue“, „Scheißfilme“, „Scheiße“3; an anderer Stelle auch mal „kackbraun“, „verkackt“ oder „Pisskopf“ -; der Fäkalstil ist Programm. Leider verwendet Di Bartolomeo diesen unflätigen Stil, als handele es sich dabei um eine Herausforderung, der sich der Leser zu stellen habe, nicht der Autor. Das Ergebnis dieses Irrtums lässt nicht auf sich warten: Der unablässige Rückgriff auf die „Scheiße“ beraubt das Wort nicht nur seines semantischen Gewichts, sondern entlarvt es auch als Verlegenheitsepitheton, als Lückenbüßer für den fehlenden differenzierenden – Ausdruck. Mit ihrem durchdringenden, verflachenden Gebrauch drastischer Sprache nimmt sich Di Bartolomeo so selbst die Möglichkeit, verschiedene sprachliche Register zu bedienen. Zur Abwechslung bleibt ihr am Ende kaum mehr, als unbeholfen „Ding“ zu schreiben statt „Schwanz“, oder „Muschi“ statt „Fotze“, was ihren Willen zur Drastik dann auch noch inkonsequent erscheinen lässt.
Eine Sprache, die nicht mehr zu bieten hat als Vulgarität und ein paar pathetische Metaphern („mein Körper explodiert“, „während ich mich ansehe, würde ich mich am liebsten in tausend Fetzen reißen“) kann vermutlich gar nicht anders, als öde und abgedroschen zu wirken. Auch hat die Figur außer ihrer Selbstbezogenheit nichts mitzuteilen. Es gibt kaum Ansätze einer Vorgeschichte, von Vorlieben oder einprägsamen Eigenheiten. Der Alltag spielt keine Rolle. An einer Stelle erwähnt die Figur aus „Leslie X“ beiläufig, sie arbeite in einer Werbeagentur. Das passt insofern gut, als sie vorgibt etwas zu sein, was sie nicht ist: Ständig beteuert sie wortreich, Selbstmord begehen zu wollen, lässt sich aber immer Ausreden einfallen, warum es gerade nicht der richtige Moment sei.
Darüber hinaus finden die abschätzigen Wertungen und Gewaltfantasien in ihrem Kopf so gut wie nie den Weg nach außen in die tatsächliche Handlung. Der Wunsch „tot sein zu wollen“ wie die gedanklichen Beschimpfungen sind in Wahrheit nur heiße Luft. So kann dann auch die Selbststilisierung der Figur nicht überzeugen, besonders „gemein“ zu sein und „eine dunkle Aura“ zu haben, mit der sie denen entgegengesetzt sein will, die „unter der warmen gelben Sonne“ leben. Mit dieser Bildlichkeit der Licht-und-Schatten-Menschen pervertiert Di Bartolomeo den Mannschen Gegensatz von Leben und Kunst zu einer hohlen Antithese, die dem Leben nichts mehr entgegenzusetzen weiß als den Neid. „Ich bin ein böser Mensch,“ behauptet die Figur. Eine grobe Fehleinschätzung. Sie ist lediglich missgünstig und vulgär.
Ob dieser Effekt von der Autorin beabsichtigt war, lässt sich an dieser Stelle nicht entscheiden. Die Warnung von Ulrich Peltzer, dass „Furor und Idiosynkrasie einen Roman in der Regel [...] nicht durchgängig vitalisieren4“ kommt jedenfalls zu spät.