Weißer Sandstrand, türkisfarbenes Meer unter strahlendem Sonnenschein, in einer leichten Brise wippende Palmen, eine schattige Strandbar: Das ist die verklärte Exotik aus Reklamen für Rum und Speiseeis. Mit dem Bild der Fremde, das Georges Hausemer in seinem neuen Erzählband entwirft, hat diese paradiesische Verzerrung allerdings gar nichts gemein. Ganz gleich auf welchen Kontinent er seine Protagonisten schickt, ob nach Asien, Afrika oder Südamerika, leiden sie unter der Witterung, ekeln sich vor Insekten, defekten Sanitäranlagen und zweifelhafter Essenszubereitung, befahren holprige Straßen und scheitern an unzuverlässigen Verkehrsmitteln. In den Palmen und Sträuchern hängen alte Plastiktüten und Müll. Es stinkt. Gezielt dekonstruiert Hausemer die Phantasmen der exotischen Ferne als einer natürlichen Urlaubsumgebung.
Die Hauptfiguren sind, auch wenn der eine oder andere Reisende mit einer Frau an seiner Seite unterwegs ist, meist Einsiedler und Eigenbrötler. Sie tun sich schwer damit, sich in der fremden Umgebung zurechtzufinden, sie fühlen sich oft unwohl und ausgeliefert. Die Unkenntnis von Sprache und Sitten, das Fehlen von verlässlichen sozialen Kontakten führen den oft ganz auf sich allein gestellten Reisenden immer wieder ihre Abhängigkeit vor Augen.
Was die Möglichkeiten einer wahren Begegnung mit dem Fremden anbelangt, die sicher zu den traditionellen Wunschvorstellungen von Reisenden gehört, die fernab von durchorganisierten Fernreisen unterwegs sind, scheint der Autor skeptisch zu sein. Einerseits strukturiert er die Erfahrung einiger Figuren durch Vergleiche, die das Fremde an Altvertrautes anbinden: Eine Farm ist „fast so groß wie ein Viertel der Schweiz“, eine attraktive Frau erinnert an Uma Thurman und ein Hund an Pete aus den Little Rascals. Andererseits bringt auch die Fremde den Protagonisten in vielen Fällen lediglich Gleichgültigkeit oder merkantiles Interesse entgegen; in ungünstigen Fällen auch unverhohlene Feindseligkeit.
Immer wieder kollidieren die Erwartungen und Wertevorstellungen der Reisenden mit der Wirklichkeit. Sie besuchen Restaurants, in denen man ihnen die Speisekarte reicht, obwohl es weder etwas zu essen noch zu trinken gibt. Sie finden sich schlecht zurecht. Ein Mann ergreift die Flucht aus seinem Urlaubsdomizil, weil er nicht weiß, wie er mit der esoterischen Dame umgehen soll, die seine Dachterrasse ungefragt für ihre Meditationen nutzt.
Neben der eigenen Ungenügsamkeit und Unbeholfenheit müssen Hausemers Helden darüber hinaus oft gegen äußere Gefahren ankommen, denen sie nicht gewachsen sind. Einige begeben sich freiwillig in dubiose Händel, andere geraten erst nach und nach hinein. Bei mehr als einem kann man davon ausgehen, dass er seine Vorstöße mit dem Tod büßt.
Auf das Unheimliche im Unheimischen hat es Hausemer offenbar besonders abgesehen. Ein junger Mann namens Alex begleitet zwei Krebsfischer hinaus aufs Meer, um eine Frau zu beeindrucken. Nachdem er einen Hitzeschlag erlitten hat, lassen ihn die Männer ohnmächtig auf einer kleinen Insel zurück. Während Alex von hungrigen Krebsen attackiert wird, hat man ihn am Festland bereits vergessen. Oft bleibt aber unklar, ob sich jemand nur verirrt hat, oder ob er in eine Falle gelockt wurde, ob ihm nur das Essen zu schaffen macht, oder ob er vielleicht vergiftet wurde. Mehr als einmal lässt Hausemer die Figuren in vagen Gefahrensituationen zurück, ohne mehr als flüchtige Anhaltspunkte zu geben, wie es eigentlich dazu kommen konnte und was dann eigentlich passiert.
Zum Teil verzichtet der Autor auf eindeutig nachvollziehbare Handlungsbögen, lässt Lücken und deutet Vorgeschichten lediglich an, so dass einige der Texte eher Stimmungsbildern gleichen als klassischen Erzählungen. Dass der Leser dabei oft noch weniger weiß als die Figuren, trägt zwar zur unheimlichen und bedrückenden Atmosphäre bei, die Hausemer in vielen der Geschichten heraufbeschwört, doch es führt auch dazu, dass er, statt sich zu gruseln, hin und wieder ein wenig ratlos mit der Lektüre abschließen muss.
Das gilt vor allem für die Motivationen der Figuren: Bei vielen wird nie klar, warum genau sie die Strapazen ihrer Reise auf sich genommen haben, was sie eigentlich an den Orten wollen, an denen sie sich aufhalten, was sie antreibt oder fasziniert, wenn es nicht die überzuckerten Fantasien sind, die der Massentourismus bedient. Kaum einer scheint sich in der Fremde wirklich wohl zu fühlen. So ist es nahezu unvermeidlich, dass die Geschichten manchmal in die Nähe eines anderen Klischees abdriften, das der unheilvollen, gefährlichen Fremde, das dem Außenseiter nur Böses will.