Die Zahl und Vielfalt der im Laufe der Jahrhunderte hierzulande veröffentlichten Bücher ist weit größer als vielfach vermutet. Seit Einführung des Buchdrucks Anfang des 17. Jahrhunderts wurden nicht nur Bücher für den Inlandsbedarf veröffentlicht, sondern das Herzogtum und spätere Großherzogtum wurde phasenweise auch als Souveränitätsnische genutzt, um Bücher und Zeitungen für den Export ins euro[-]päische Ausland zu produzieren.
Trotzdem machen die Bücher, die politisch, philosophisch, theologisch oder sittlich von der gerade üblichen Norm abwichen, nur einen winzigen Teil der gesamten Buchproduktion aus. Vielleicht weil die meisten Drucker fromme Angehörige der Kleinstadtbourgeoisie waren. Sicher aber auch, weil es bis Mitte des 19. Jahrhunderts jeweils höchstens zwei Druckereien gleichzeitig im Land gab, so dass die staatliche Zensur keine Mühe gehabt hätte, den Ursprung anstößiger Bücher zu ermitteln und die Drucker zu bestrafen.
So ist auch die Zahl der erotischen oder pornografischen Bücher, die Luxemburg als Druckort angeben, äußerst gering. Wobei manche zudem in Paris, Brüssel oder anderswo gedruckt wurden und „Luxembourg“ bloß im Impressum führten, um die Zensur irrezuführen.
André Chevalier (1660-1747) ist der bedeutendste Drucker und Verleger des Ancien Régime, wenn nicht der gesamten Luxemburger Buchgeschichte. Während der Blütezeit seines Betriebs veröffentlichte er, teilweise in Zusammenarbeit mit ausländischen Druckern, monumentale Werke sowie zahlreiche Nach- und Raubdrucke für den europäischen Buchmarkt. Trotzdem stammt nur ein einziges, wenn auch das erste hierzulande erschienene erotische Buch aus der Druckerei dieses gottesfürchtigen Unternehmers: die MEMOIRES De Mre Bourdeille, Seigneur DE BRANTOME, CONTENANT LES VIES DES DAMES GALANTES De son tems.
Chevalier brachte 1735 in zehn klein[-]formatigen Bänden einen Nachdruck der Lebenserinnerungen von Pierre de Bourdeille, seigneur de Brantôme (1535-1614) heraus, eines weitgereisten Offiziers, Abts und Höflings aus dem Périgord, der in seinen Memoiren vor allem die „vie des hommes illustres et grands capitaines“ in sechs Bänden, die „vies des dames illustres“ sowie „anecdotes de la Cour de France touchant les duels“ in jeweils einem Band beschrieb. Chevalier erwartete sich von diesen 1666 posthum in Leyde erstmals erschienenen höfischen Klatschgeschichten sicher einen ansehnlichen Verkaufserfolg. Denn das erstaunlicherweise von dem in Luxemburg groß gewordenen Frömmler Abbé François Xavier de Feller in seinem Dictionnaire historique (1781) empfohlene Werk war seit Generationen vor allem wegen der beiden Bände über die “vies des dames galantes” bekannt und berüchtigt.
Im Unterschied zu den anderen Bänden seiner Memoiren geht Brantôme bei den lebenslustigen Damen nicht biografisch vor, sondern reiht im unbekümmerten Plauderton auf über 700 Seiten Anekdoten aus eigener Erfahrung, von Hörensagen und aus der Antike aneinander. In sechs Kapiteln handeln sie vom Ehebruch, dem Reiz der Sinne, der Schönheit von Frauenbeinen sowie dem Liebesleben von Ehefrauen, Witwen, Mädchen und älteren Frauen.
Auch in anderen zuvor von Cheva[-]lier herausgegebenen Werken der französischen Unterhaltungsliteratur aus dem 17. Jahrhundert, wie Edme Bour[-]saults Lettres de respect (1702) und Lettres nouvelles (1702), die Saint-Evremonia (1702) oder Charles [-]Ri[-]vière Dufresnys Amusemens sérieux et comiques (1702), finden sich frivole Anekdoten und doppeldeutige Gedichte. Doch Brantôme schert sich nicht um galante Doppeldeutigkeit. Er beschreibt detailgenau hetero[-]sexuelle und lesbische Sexualpraktiken, zählt ein ganzes Kuriositätenkabinett unterschiedlich geformter und behaarter weiblicher Sexualorgane auf und stellt den Ehebruch als die bevorzugte Beschäftigung der Renaissance-Aristokratie dar. Nach dem Motto: „Il ne se faut jamais envieillir dans un seul trou“ (Bd. I, S. 210).