Eine dunkle Spelunke in irgendeiner Stadt in Nordfrankreich. Besucht von Arabern. Einer wird gerade heftig geohrfeigt. Da geht die Tür auf, wie in einem Western-Saloon, und herein tritt der Held. Mit einer wüst-provokativen Litanei lenkt er die Aggression auf sich, um den armen Kerl zu retten. Die Prügelei, die sich entwickelt, wirkt merkwürdig gestellt, angedeutet, als wären da Statisten dabei, den Ablauf der Szene erst zu proben. Bizarr, eigenartig, künstlich, gewollt – das ist der erste Eindruck, den man von Tip Top gewinnt. Ein Eindruck, der sich bis zum Schluss halten und verstärken wird.
Bizarr und eigenartig sind nicht zuletzt die Charaktere. Isabelle Huppert und Sandrine Kiberlain dringen als „flics des flics“, als interne Ermittlerinnen Esther Lafarge und Sally Marinelli, in dieses Provinzkaff ein und drohen das Gleichgewicht aus Spitzelsystem und Korruption durcheinander zu bringen. Sie sollen den geheimnisvollen Mord an einem Polizeiinformanten aus der arabischen Szene aufklären. „Deux inspectrices de la police des polices débarquent dans un commissariat de province pour enquêter sur la mort d’un indic d’origine algérienne. L’une tape, l’autre mate, tip top“, so die lakonische Ankündigung des Streifens. Zu diesem Duo infernale gesellt sich dann noch der Bulle und Spitzel-Verbindungsmann Robert Mendès (François Damiens).
Künstlich und gewollt ist die Umsetzung dieser Story, die unwichtiger eigentlich gar nicht sein könnte, dient sie doch scheinbar nur als Spielfläche für Schauspieler, die sich ein Mordsvergnügen daraus machen, ihrem komödiantischen Talent freien Lauf zu lassen und die skurrilsten Szenen und Dialoge mit einem fast heiligen Ernst zu interpretieren. Dass Isabelle Huppert das mit sichtlichem Spaß an der Freude und brillant macht, braucht fast nicht erwähnt zu werden. Berührender ist da noch Sandrine Kiberlain, die überzeugend eine sanfte Naivität an den Tag legt, und auch François Damiens als böser Brummbär mit vielleicht doch gutem Herz macht seine Sache richtig gut.
Die Story dient aber auch und vor allem als Transportmittel für ein strenges Bildkonzept, in das man viel hineininterpretieren könnte, wenn man wollte. Außenaufnahmen gibt es fast nur bei Nacht, sie sind in dunkle Töne getaucht. Innenaufnahmen fast nur bei Tag, meist wirken sie überbelichtet. Große, einfarbige Flächen beherrschen diese Bilder. Und es gibt kaum Schwenks. Serge Bozon setzt sein Publikum vor Gemälde, in denen sich die Menschen entweder wie Fremdkörper bewegen oder Teil des Bildrahmens zu werden scheinen. Sehr oft sieht man zwei Darsteller am rechten und linken Bildrand von der Seite oder im Profil. Sie sind dann fast starr, nur das Gesicht scheint zu Bewegungen fähig.
Bemerkenswert ist, dass diese formale Strenge den Film eigentlich mehr prägt, als alle schauspielerische Brillanz, von der Handlung gar nicht zu sprechen. Als Zuschauer wandelt man wie in einer Galerie oder einem Museum von Bild zu Bild, betrachtet es, geht weiter, ohne Zeit gehabt zu haben, sich eingehender damit auseinander zu setzen. Nur der optische Eindruck kann sich festsetzen, die inhaltliche Aussage verschwindet sogleich.
Tip Top, eine Iris-Koproduktion, die in Cannes 2013 bei der Quinzaine des réalisateurs zu sehen war, versteht sich als Komödie. Dabei ist die Geschichte eigentlich nicht wirklich lustig und die paar eingestreuten Gags nicht unbedingt witzig. So richtig gelacht hat keiner im Saal. Auch das liegt wohl an der übersteigerten Absurdität der Machart. Formale Strenge gegen darstellerische Übertriebenheit. Dieser Kontrast kann auf die Dauer die Spannung nicht halten. Was in den ersten 30 Minuten noch fesselnd und interessant ist, vermittelt zusehends den Eindruck eines permanenten Déjà-Vu, dessen Ende man dankbar entgegen nimmt. Daran kann auch der letzte Tsching-Bumm-Krach-Moment nichts ändern. Die Story findet kein abschließendes Ende, aber das macht nichts. Mehr wollte man dann auch gar nicht mehr sehen.