In dem 55 Seiten langen Wahlprogramm der CSV ist das Kapitel „E Lëtzebuerg mat Nohaltegkeet fir déi nächst Generatiounen“ das letzte von acht und beginnt erst auf Seite 49. Die LSAP gibt, dass sie „für aktiven Klima-, Natur- und Umweltschutz ein[tritt]“, erst ab der vierundfünfzigsten ihrer 64 Programmseiten bekannt. Die DP, die auf mehr als 130 Seiten mitteilsamer ist als CSV und LSAP zusammen, kommt auf „Nachhaltigkeit, Natur- und Umweltschutz“ ab Seite 83 zu sprechen, und selbst bei Déi Gréng beginnt das Sachgebiet „Gut leben in einer gesunden Umwelt“ erst im letzten Drittel ihres Programms.
Es sieht so aus, als hätten die Wahlkampfstrategen aufmerksam gelesen, was im Sommer für den „Politmonitor“ von RTL und Luxemburger Wort erhoben worden war: Die größten Sorgen bereiten der Bevölkerung die Arbeitslosigkeit, die Renten, die Schule, die „soziale Kohäsion“, der Erhalt des Finanzplatzes und die Wohnungsfrage. „Umwelt, Energie und Klimaschutz“ rangieren nur auf Platz 14 der Sorgenskala – auf der gleichen Position, wie der vom Meinungsforschungsinstitut TNS Ilres befragte repräsentative Querschnitt der Bevölkerung diesen Themenkreis unter die am 20. Oktober vermutlich wenig wahlentscheidenden einstufte. Die größte Rolle für den Wahlausgang dürften, meinten die Befragten, vor allem und in dieser Reihenfolge die Beschäftigung, die Renten, die Wirtschafts- und Finanzkrise, das Schulwesen sowie die „Zukunft des Landes“ spielen.
In den Wahlprogrammen der kleinen Parteien steht Umweltschutz ebenfalls eher an hinterer Position. Auch bei der Partei fir integral Demokratie des früheren ADR-Mannes Jean Colombera, obwohl die sich die Gesellschaft und ihre Institutionen wie eine große Wohngemeinschaft vorstellt, deren Mitglieder gemeinsam ihr Bewusstsein erweitern. Lediglich bei déi Lénk findet sich an vorderer Stelle ein Kapitel über „sozial-ökologische Zukunftsplanung“. Aber schon ein Vorhaben wie „globale Wirtschaftsinteressen“ würden „durch ökologische Solidaritätsprogramme ersetzt“, liest sich eher wie am Kneipentisch entworfen denn für eine Lénk-geführte Regierung innerhalb einer Legislaturperiode auch nur planbar.
Dass Umweltfragen in einem Land, in dem offizielle Reklamevideos für den Wirtschaftsstandort gerne mit Kamerafahrten über ausgedehnte Waldflächen geschmückt werden, im aktuellen Wahlkampf keine Rolle spielen, liegt aber nicht nur daran, dass der Gesellschaft die Beschäftigungsfrage „höher liegt“ als etwa der Umstand, dass die meisten heimischen Flüsse und Seen sich noch immer in einem „schlechten Zustand“ befinden. Oder dass die Renten wichtiger scheinen als die Tatsache, dass in keinem anderen EU-Staat die Naturräume so stark durch Straßen, Wohnsiedlungen und Gewerbegebiete zerschnitten sind wie in Luxemburg. Und dass dadurch der ohnehin schon große Artenschwund immer weiter zuzunehmen droht.
Denn auch früher wurde keine Wahl an einem Biotop entschieden. 2013 aber fällt, im Rückblick auf die vier Jahre seit Bildung der Juncker-Asselborn-II-Regierung, auf: Umweltfragen kommen in der öffentlichen politischen Auseinandersetzung kaum noch vor. In der vorigen Regierung stritt der LSAP-Umweltminister Lucien Lux coram publico mit den Bauern um die Tragweite des Naturschutzgesetzes, hielt die Konfrontation mit dem Autofahrervolk um die CO2-abhängige KFZ-Steuer aus und debattierte mit Umwelt- wie mit Unternehmerverbänden und mit seinem Kabinettskollegen aus dem Wirtschaftsministerium über den Umfang von Klimaschutz. Mögen so manche Auftritte des Politfuchses auch kalkuliert gewesen sein, um seiner Partei zu einem moderneren Image zu verhelfen, und mochte er am Ende auch Lösungen mitgetragen haben, die keinem sonderlich weh taten – seit das Umweltressort nach den letzten Wahlen in dem großen Fusionsministerium für Nachhaltigkeit und Infrastrukturen aufging, verschwand der Umweltschutz aus der öffentlichen Debatte und wurde zu einem Vorgang im Héichhaus auf dem Kirchberg, bei dem er ein Teil von Planungserwägungen ist, aber nur Eingeweihte wissen, inwiefern er noch ein politisches Ziel für sich darstellt.
Ob das vor allem an dem Ministertandem aus der CSV liegt; ob Claude Wiseler sich mehr für Bauten interessiert als für die Umwelt, und ob Marco Schank, der delegierte Minister und frühere Umweltpionier, zu wenig „Rückgrat“ hat, wie der Verband Natur an Ëmwelt ihm unterstellt, fragt sich aber. Der Mouvement écologique hat nicht Unrecht, wenn er in seinen Virschléi fir d’Legislaturperioud 2013-2018 mehr Bürgerbeteiligung verlangt. Wie stark die Tendenz geworden ist, in Umweltdingen lieber nicht zu öffentlich zu agieren, zeigt ein Blick darauf, wie sich noch in der vorigen Legislaturperiode der CSV-Innenminister die Umsetzung des Leitprogramms zur Landesplanung vorstellte. Über dieses Programm, das 2005 von der Abgeordnetenkammer angenommen wurde, das beschreibt, wie Luxemburg sich räumlich entwickeln soll, und damit viel zu tun hat mit Ökologie, schrieb Jean-Marie Halsdorf im Vorwort: „Ce programme veut sensibiliser et mobiliser non seulement l’État et les communes, mais l’ensemble des acteurs de la société luxembourgeoise. Le Gouvernement luxembourgeois appelle de tous ses vœux une participation active de chacun dans le cadre de la mise en œuvre de ce programme, afin que le Luxembourg des années 2010 reflète une vision partagée de son avenir.“ Im Jahr 2013 wird, wenn im Wahlkampf das Gespräch auf Raumplanung und Umwelt kommt, vor allem ein Abbau der Einspruchsmöglichkeiten zu Bauprojekten verlangt.
Und interessanterweise findet keine der großen Parteien den Technokratie-Trend besonders schlimm. Zu den Wahlen versprechen alle mehr oder weniger das, was auch Natur- und Umwelt-NGOs an Maßnahmen einfordern. Etwa ein Bodenschutzgesetz aufzustellen, für konsequenteren Wasserschutz zu sorgen oder für eine ökologischere Ausrichtung der Landwirtschaft. Und natürlich für mehr Energieeffizienz und für Green Jobs. Aber weder LSAP, noch DP, noch Grüne würden das Umweltressort wieder herauslösen aus dem Nachhaltigkeitsministerium, das, wie Premier Jean-Claude Juncker 2009 in seiner Regierungserklärung angekündigt hatte, „den Konflikt zwischen der Wirtschaft, der Entwicklung von Infrastrukturen und der Umwelt lösen“ helfen soll. Oder, wie der damalige CSV-Präsident François Biltgen während der Koalitionsgespräche unverblümter formulierte, dafür sorgen soll, „dass das Biotop nicht länger Vorrang vor dem Perimeter hat“. Heute lässt der einstige LSAP-Umweltminister Lux, Kompagnon von Spitzenkandidat Etienne Schneider im Bezirk Zentrum, sich von diesem brüskieren, wenn ihm der 2008 noch unter Lux’ Federführung ausgearbeitete Vorentwurf für einen landesplanerischen Plan sectoriel über schützenswerte Landschaften viel zu weit geht. Dabei hatte Lux, als er als Minister kurz vor den Wahlen 2009 auch den Entwurf für den Nationalen Nachhaltigkeitsplan vorstellte, noch gemeint, von den drei „Nachhaltigkeitsaspekten“ Wirtschaft, Soziales und Umwelt gehöre vor allem Letzterer gestärkt. Aber heute können sogar Déi Gréng dem konfliktlösenden Abgleich von Mobilität, Landesplanung, Bauten und Umwelt mit Wirtschaftserfordernissen durch das Nachhaltigkeitsministerium etwas abgewinnen, denn sie würden nur „gegebenenfalls“ dessen Abteilungen „umstrukturieren“.
Und so richtig scheint auch keine Partei einverstanden mit der Behauptung des Mouvement écologique, „der Erhalt unserer Lebensgrundlagen“ sollte „die zentrale Aufgabe jedweder Regierung“ sein. Denn wenngleich die Grünen die für nach den Wahlen schon von allen Seiten angekündigte Steuerreform um eine „ökologische“ ergänzen wollen und damit im Zusammenhang mit Umweltschutz von Geld reden, versprechen nicht mal sie, den kleinen Budgetposten aufzustocken, den die staatliche Natur- und Forstverwaltung für Naturschutzmaßnahmen zur Verfügung hat: In diesem Jahr sind es 1,3 Millionen Euro; gerade mal so viel, wie, zum Vergleich, der Bau von 200 Metern Bürgersteig kostet.
Aber was sich da zeigt, ist wahrscheinlich nur eine andere Seite der Verzweiflung, mit der die politische Klasse sich seit dem Krisenausbruch ein neues Entwicklungsmodell für das Land herbeiwünscht, dem Steuereinnahmen wegzubrechen drohen, in dem die Arbeitslosigkeit steigt, die Schule nicht funktioniert, wie sie sollte, und in dem die Patronatsverbände die Anpassung der Lohnkosten in Richtung der von Haupthandelspartner Deutschland verlangen.
Da herrscht um „Nachhaltigkeit“ Konfusion vor den Wahlen: Die CSV bringt den Begriff, vielleicht, weil das wertkonservativen Wählern gefällt, im Wahlprogramm in erster Linie mit Umweltschutz, Landesplanung und Energieeffizienz zusammen, aber nicht etwa mit den öffentlichen Finanzen. Während die LSAP im „nachhaltigen Handeln“ das Eintreten für „gelebte Solidarität“ versteht, die „auf vielen Ebenen zum Ausdruck kommt“, von der Gesundheits- und Altersversorgung über die Umweltpolitik bis hin zur Sicherheit, aber noch „in vielen Bereichen mehr“. Für die DP ist Nachhaltigkeit „aktive Wirtschaftspolitik“, die „nicht im Widerspruch“ zu einem „konsequenten Natur- und Umweltschutz“ stehen müsse. Damit meint sie, „Menschen und Unternehmen im staatlichen Prozeduren- und Entscheidungsdickicht“ nicht allein zu lassen und „kein Wachstum um des Wachstums Willen“ zu wollen.
Déi Gréng verbinden mit Nachhaltigkeit am meisten: von der Friedenssicherung in der Welt über eine Steuerreform zuhause bis hin zum „guten Leben“ mit sanfter Mobilität, Gesundheitsprävention und mehr „erschwinglichen und sozialen Mietwohnungen“. Mit grünen Jobs, aber auch „gebändigten Finanzmärkten“ und mit neuen „Konsumstilen“, über die eine „breite Debatte“ geführt werden sollte.
Wie es einen gezähmten und begrünten Kapitalismus à la luxembourgeoise geben kann, wenn gleichzeitig ausgerechnet die internationalen Finanzmärkte gebändigt werden, ist natürlich eine große Frage. Und vielleicht hatte der Direktor des Handwerkerverbands ja gar nicht so Unrecht, als er Anfang der Woche meinte, viele „petits boulots“ im Umweltbereich seien nicht zu haben, „wenn einer 2 000 Euro im Monat kostet“.
Womöglich sind solche Probleme der Hauptgrund dafür, dass keine große Partei sich die Verbindung von Ökonomie und Ökologie an prominenter Posi-
tion vorzustellen versucht: Die Unternehmerverbände könnten die Gelegenheit nutzen, gegen den Mindestlohn zu argumentieren, die Gewerkschaften das bekämpfen und die Wähler nicht einmal vom „Zukunftstisch“, den die CSV nun verspricht, viel halten.
Wie politisch ernst das ist, zeigen die Äußerungen des nationalen Nachhaltigkeitsrats CSDD, der Anfang der Woche in einem „Brief an die Bürger“ unterstellte, es ginge ihnen zu gut, und sie aufrief, selber auf Veränderungen hinzuarbeiten, statt Entscheidungen der Regierung zu überlassen. Anhand einer TNS-Ilres-Umfrage hatte der CSDD das Bild einer ziemlich egoistischen Luxemburger Gesellschaft skizziert, die den pensionierten Beamten ihre Fünf-Sechstel-Renten neidet und sich vorstellen kann, dass die Krankenversicherung in Zukunft Beitragsnachlässe für jene gewährt, die sich aktiv gesund halten, also unsolidarischer würde. Und in der die Hälfte aller Befragten fand, am besten solle sich „nichts oder fast nichts“ änderen, wie der CSDD-Vizepräsident, der auch Gründer von 5 vir 12 ist, hervorstrich.
Am Donnerstag entschied der Nachhaltigkeitsrat dann aber, nicht nur Auszüge der Umfrage zu veröffentlichen, sondern alle 80 Seiten. Darin sieht man, dass nicht nur die Hälfte aller befragten Luxemburger für den Status quo plädierte, sondern auch 51 Prozent aller portugiesischen Bürger. Und dass in immerhin 33 Prozent aller Luxemburger, aber 44 Prozent aller portugiesischen Haushalte nach eigenen Angaben das Geld gerade so zum Decken der laufenden monatlichen Ausgaben reicht. Dabei haben 72 Prozent aller Befragten sehr wohl das Gefühl, dass Luxemburg über seine Verhältnisse lebt, und alle halten den Umweltschutz für die wichtigste Zukunftsfrage. Wie man ihn in Krisenzeiten ganz weit nach vorn bringen will, müsste man den Leuten aber offenbar schon genauer erklären.