Der Steppenwolf gilt als Kultroman und Hippie-Fibel. Dabei hatte Hermann Hesse mit seinem Selbstfindungsroman weniger einen Ansporn zum Drogenrausch im Sinn als ein universelles Anliegen. In der zerrissenen Figur des Harry Haller sollten sich Bürgertum, Intellektuelle und Aussteiger gleichermaßen wiederfinden. „Ich schmeiße alles hin, ich alternder Mann. Auf eure Welt anders zu reagieren als durch Krepieren oder durch den Steppenwolf wäre für mich Verrat an allem, was heilig ist“, schrieb der umtriebige und zugleich durch und durch bürgerliche Hesse in sein Tagebuch.
Harry Haller wird zu Beginn vom Mief erschlagen. Auf der großen Bühne im Grand Théâtre wirkt die Ecke mit einem Miniatur-Wohnzimmer erst recht sehr kleinbürgerlich. Schon an der Kulisse, einem silbern schillernden Vorhang, zeigt sich, dass die Inszenierung auf Effekt angelegt ist. Schrill wirkt eine Dame, die wie im Kabarett die Ausgangssituation erklärt. Hallers Zerrissenheit zwischen wölfisch und menschlich wird in der Inszenierung von Anna-Elisabeth Frick durch die Verdopplung der Figur aufgelöst: Den bürgerlichen Part verkörpert schwerfällig Matthias Breitenbach; den triebhaft-wölfischen spielt mit Gilles Welinski ein sich wiederholend windender Tänzer. „Ich möchte Freiräume schaffen, in denen jeder Zuschauer die Dinge anders sehen und bewerten kann. Diese Vielfalt will ich stärken“, erklärt die Regisseurin, deren Inszenierung das Abschlussprojekt ihres Regiestudiums ist, im begleitenden Heft.
Nuanciert ist allerdings anders. Harry Haller wandert über die Bühne und tritt auf der Stelle oder balanciert am Abgrund; mit dem Hammer wird einem das Goethe-Motiv „Zwei Seelen wohnen ach in seiner Brust!“ eingebläut. Bühnenbilder und Kostüme wirken zwar auf der großen Bühne: etwa die von Bücherstapeln umgebene Badewanne oder der sich öffnende silberne Vorhang, hinter dem eine strahlend weiße Tafel zum Vorschein kommt, an der die himmlischen Heerscharen über Hallers Werdegang philosophieren. Dennoch entsteht nie eine optische Einheit. Die Musik von Max Thommes plätschert als Hintergrundmusik dahin; wahlweise erklingen Techno-Bässe statt Hippie-Songs.
„Alte Männer, die tot sind, sollten leben, wie es ihnen gefällt, und es treiben, wie sie es möchten“, lockt Hermine (Elisabeth Johannesdottir) im Mireille-Mathieu-Look zum Tanz, während Haller wohlfeil gegen das Medienmonopol eines Konzerns wettert. Total überdreht der Auftritt von Maria (Catherine Elsen) als glitzernde Prinzessin, vollendeter Slapstick, wenn sie Haller und dem Publikum die Vorzüge eines DDR-Staubsaugers anpreist. In einer bunten Choreografie, die an Karneval erinnert, tanzen irgendwann kopflose Gestalten, ein Bär und Maria als rosa Ballerina über die Bühne. – Sieht so magisches Theater aus? Schauspielerisch überzeugt in der Koproduktion zwischen dem Theater Trier und den Théâtres de la Ville de Luxembourg allein Nickel Bösenberg in seiner keck-mephistophelischen Art als „Pablo“, wenngleich auch sein Part nicht ganz ohne Klamauk auskommt, wenn er etwa durch ein Goethe-Fresko purzelt.
Wenn die Prinzessin glamourös wie bei einer Oscar-Verleihung verschiedene Auswege von Selbstmord bis zum Untergang des Abendlandes präsentiert und die Kabarett-Dame die Wolf-Mensch-Dichotomie Hallers als „primitives Schema“ entlarvt, ist man erleichtert, dass diese schrill-bunte Steppenwolf-Inszenierung nach nur anderhalb Stunden vorbei ist. „Ich will mit Begierde leiden“, sagt der bürgerliche Haller leidenschaftslos, während ihm der Bierbauch über der Hose schwabbelt. Dass seine Figur „eine Dimension zu viel hat“, nimmt man ihm wahrlich nicht ab.
Am Ende wird das Jüngste Gericht Haller schelten: „Sie haben den Humor unseres Theaters mit Wirklichkeitsflecken besudelt.“ Die faire Strafe? Fortan muss er den Klimbim des Lebens ertragen! Über die Bedeutung des Werks lässt sich streiten. Als pseudobuntes Unterhaltungsstück lässt man Der Steppenwolf besser im Bücherschrank.
Anina Valle Thiele
Kategorien: Theater und Tanz
Ausgabe: 10.03.2017