Wie lassen sich Wahrheiten von heute mit griechischen Parabeln von einst verschmelzen? Ist eine Inszenierung, in der vier Autoren Schlüsselfiguren der griechischen Mythologie aufgreifen und auf Luxemburg projizieren, nicht zum Scheitern verurteilt? Mit Oh du do uewen, deem seng Hand beweisen Thierry Mousset und Claire Wagener (Dramaturgie), dass dies auch ohne überflüssigen Klimbim funktionieren kann. Die schlichte Bühne wirft die vier Schauspieler auf sich und ihr Können zurück. Die Atmosphäre gleicht dabei eher einer Werkstatt; Eugénie Anselin, Nora Koenig, Raoul Schlechter und Pitt Simon setzten das Bühnenbild selbst zusammen wie aus einem Baukasten.
Im ersten Einakter hat Olivier Garofalo Ödipus frei interpretiert und auf den politischen Stillstand in der Juncker-Ära bezogen. Die Spannung zwischen göttlicher Prophezeiung und Menschlichem wird auf Luxemburg gemünzt und als diejenige zwischen politischem Erbe und Freiheit gedeutet. Der Königsmord an Juncker erscheint bei Garofalo als Emanzipation und präsentiert sich in Moussets schnörkelloser Inszenierung zunächst als Zwiegespräch Raoul Schlechters mit einer Leuchtröhre. Ödipus aber endet tragisch; ob es den Luxemburger Vatermördern auch so ergehen wird, bleibt offen.
Dynamik setzt erst im zweiten Einakter, Medea von Ian De Toffoli, ein. In der starken Textvorlage seziert De Toffoli eine zerbröckelnde Beziehung und kristallisiert zugleich den Identitätskonflikt einer nach Luxemburg Zugewanderten heraus. Die in der Inszenierung Moussets lesbischen Partner, verkörpert durch Nora Koenig als Medea und Eugénie Anselin als „Jaye“, brillieren als sich zersetzendes Ehepaar und liefern ein treffendes Zerrbild einer erodierenden Beziehung, in der Liebe längst in Hass umgeschlagen ist. Koenig (souverän und zugleich am Zerbrechen) und Anselin (zwischen Fassungslosigkeit und Ernüchterung), ziehen die Zuschauer in ihren Bann. Subtil wird Medea am Ende nicht ihre Kinder zerfleischen, sondern die beiden werden eine friedliche Einigung finden – das Damokles-Schwert über ihren Häuptern. Vom Text wie vom Schauspiel her zweifellos der Höhepunkt des Abends!
Nico Helmingers in derber Sprache geschriebener Phedra-Einakter Aricia ist so verfremdet, dass er nicht ohne Erklärungen auskommt. Keck stellen sich die Figuren zu Beginn vor, bevor sie mit ihren eigenen Händen eine coole Club-Atmosphäre und Slight-Show erzeugen. Nora Koenig als abservierte Ehefrau und alternde Schauspielerin überzeugt durch ihre kühle Arroganz und lässt sich schon mal ein Herz servieren. Pitt Simon blüht slammend auf in der Rolle des coolen DJ Hippo und ist urkomisch, wenn er mit einem Luftsprung einwirft: „Ob s du et gleefs oder net, ech si Kult, Papp!“ – Ein komplexes Figurenspiel, in dem jeder seinen Part ausfüllt.
Nicht gerade feinsinnig vom Humor ist Jeff Schinkers Theseus, gespielt in einer ranzigen Eckkneipe irgendwo in Luxemburg. Vorurteile, wie das der lasziv-ordinären Kellnerin, einer „dohirgelaafen Ostblockschlampe“, das nur vordergründig gebrochen wird, indem sie sich als Studierte erweist, fliegen einem hier um die Ohren, während Simon und Schlechter trunken am Tresen sitzen. Dieser letzte Akt gleicht eher einer alkoholgeschwängerten Provinzposse, die allein durch das Schauspiel der vier gerettet wird. Während Raoul Schlechter versucht, die Barbesitzerin mit primitiven Witzen zu beeindrucken, beginnen Simon und Anselin auch schon damit, die Bühne abzumontieren. Am Ende träumen alle von der Einführung der absoluten Monarchie, indes nur die Leuchtröhre der Bühne Licht spendet. „Früher war es der Weg zu Gott, heute sind es die Marktmechanismen“, doziert Pitt Simon mit erhobenen Zeigefinger, während die beiden Frauen ernüchtert feststellen werden: „Der Markt diktiert. Wir müssen den Dreck wegmachen!“ Ein gelungener Abend, der durch seine teils schrägen, mitunter intelligenten luxemburgischen Texte der selbstgewissen Autoren amüsiert und durch ein passioniertes Schauspiel mitzureißen vermag.
Anina Valle Thiele
Kategorien: Theater und Tanz
Ausgabe: 10.03.2017