In pastellgrüner Unterwäsche tritt sie auf die Bühne. Mit dem Rücken zum Publikum streckt sie die Kraft ihres Körpers der Leinwand entgegen. Grünliche Lichtkegel, erwachsen aus der Schwärze der Projektionsfläche, türmen sich zu bedrohlichen Wolkenkratzern auf, die ebenso den Gitterstäben einer Gefängniszelle entsprechen könnten. Dem Publikum entgegen schleichend, verrenkt sie ihre Glieder in atemberaubender Choreografie. Von psychedelischer Grunge-Musik begleitet, zum Teil an indische Yoga-Übungen erinnernd, gibt sie den Anschein als wolle sie sich auf etwas vorbereiten, in ihren Körper schlüpfen, jeden Muskel erfühlen, eine Monolog-Länge vor dem großen Coup.
Mit Thea Dorns einstündigem Monolog Bombsong aus dem Jahre 2001 liefert die hessische Autorin, Literaturkritikerin und Kulturphilosophin mit messerscharfem Intellekt und Bekenntnis zur Frankfurter Schule eine psychologische Endoskopie in das Synapsengeflecht einer Selbstmordattentäterin. In Zusammenarbeit mit Regisseur Frédéric Frenay bietet uns die vielseitige Sascha Ley jenes Zusammenspiel an Gesichtszügen, Körperkontrolle und rhetorischer Fitness, die eben das mit Leben erfüllen, was Dorn mit ihrem als Hörspiel konzipierten Text auf 21 Druckseiten brachte.
„ich trinke ein glas wellnesswasser esse zwei litschies/ ich schminke meine lippen/ ich bürste meine Haare/ ich lackiere meine nägel/ ich bin fertig für den tag“. Dieses lexikalische Wortfeld des Spießertums steht im krassen Gegensatz zu ihrer schwarzen Lederbekleidung und bewirkt doch nur eins: „morgen früh werde ich in den Zug steigen/ fensterplatz links/ glasig halten den blick/ mitschwimmen mit all den fünfuhrfrühersterzugleichen/ durchtauchen unter den toten die sich als fahrgäste getarnt haben“.
Die Sehnsucht nach dem großen Knall, die Bereitschaft zum Massenmord erklärt sich in der Selbstoffenbarung der Willigen zweigleisig: Da ist das Grau in Grau der alltäglichen Leichen, die sich mit Aktentaschen verkleiden, vom Catwalk träumen oder gar die Masse in Redaktionen manipulieren. Frust steigt auf. Da ist aber auch der pure Spaß an der Freude, die nihilistisch motivierte Neigung zum Nichts: „Wenn du keine Mauer hast, gegen die du rennen kannst, gehst du kaputt.“ Tiefenpsychologisch erweitert Dorn den Ursprung dieser Gewaltbereitschaft mit der Verhätschelung der Täterin, dem „Schaumstoff“, in Kinderjahren: „als Kind hatte ich einen kleinen roten koffer/ den kleinen roten koffer hatte ich immer gepackt/ eine zahnbürtse und ein schlafanzug und eine packung kekse waren in dem/ kleinen roten koffer (...) mein kleiner roter koffer wird neben mir stehen wenn ich morgen früh im zug sitze“. Das Sinnbild der Obhut in Plüsch und Seide wird zum Todesträger pervertiert.
Auch um eine historische Dimension erweitert Dorn den Motor, mit dem der mörderische Wille angetrieben wird. Die Jungfrau von Orleans, Archetypus der Gewaltrechtfertigung zu politischen Zwecken, ist leitmotivisch in die Handlung eingebettet und bietet doch kaum Gewinn, bestenfalls historische Staffage.
Vor leider spärlichem Publikum erwies sich Frenays Regiearbeit als atmosphärisch extrem verdichtete, abwechslungsreiche Geisterfahrt. Die kreativen Köpfe hinter dieser Koproduktion von Maskénada mit dem Escher Theater machten sich den Song-Aspekt des Titels zu eigen und umrahmten die gesamte Handlung in ein breites Spektrum populärmusikalischer Einlagen aus Heavy Metal, Elektropop, meditativer Klänge und grellen Videoeinspielungen. Die multimediale Bandbreite dieser Mittel stilisierten die Inszenierung zur psychoanalytischen Tauchfahrt in den mentalen Abgrund der Täterin.
Getragen wird diese audiovisuelle Kulisse jedoch vorrangig von der Darstellerin Sascha Ley. Nicht nur der an Tempo höchst anspruchsvolle Text vor allem am Ende des Dramas („bitte bitte lieber du da oben (...) schick uns eine katastrophe dürre pest sintflut ...“) bietet ihr eine weitere Gelegenheit, ihre rhetorische Souveränität zu untermauern. Vor allem ihren Körper setzt die Mimin in knackiger Jeans und Lederjacke mit zynischer Laszivität ein. Vor dem Hintergrund der frostigen Außentemperaturen am Premierenabend sorgen diese Hüftschwünge jedoch keinesfalls für Wärme. Diese Weiblichkeit fügt sich kontextuell vielmehr nahtlos in die soziale Kälte der Täterin ein: Eine Darstellung unter Null im besten Sinne des Begriffs.
Spärlich vertreten und doch begeistert applaudierte das Publikum dem Ensemble und dessen inszenatorischer wie darstellerischer Leistung zu und trat aus dem Chapiteau in die frostige Januarnacht.
Bombsong von Thea Dorn, Regie: Frédéric Frenay ; mit Sascha Ley ; Bühne: Ralph Waltmans; Kostüme: Ulli Kremer; Video: Jean-Paul Frenay; Choreografie: Gianfranco Celestino; Licht: Karim Saoudi; Dramaturgie: Olivier Garofalo; Produktionsleitung: Rielle Kayser-Kill ist eine Koproduktion zwischen Maskénada und dem Escher Theater. Weitere Vorstellungen am 21., 24., 25. Januar jeweils um 20 Uhr im Chapiteau auf der Place de l’exposition in Esch/Alzette; Reservierung über Telefon 54 03 87 oder 54 09 16.