Die Luxemburgensia unserer heimischen Bibliotheken quellen über mit Essais, Romanen, Berichten und Theaterstücken, die sich auf die heiteren oder düsteren Kindheits- und Jugenderinnerungen ihrer mehr oder minder begabten Schreiber basieren. Im umliegenden Grenzgebiet wird es kaum anders sein. Kindheiten wurden überall verbracht, in vergangenen Welten und Zeiten, in Immigrantenfamilien, in armen Luxemburger Kreisen, im Schatten der Schmelzöfen und unter dem Joch der Naziherrschaft. Erzählungen aus jenen Zeiten sind nicht per se ohne Interesse, doch sind die literarischen Ergüsse, die als Produkt aus ihnen hervorgehen, nicht immer der Weisheit letzter Schuss. Oder des Poeten bester Erguss.
Zu jener langen Liste autobiographischer Literatur gesellt sich nun ein Werk, von einem der nicht einmal Luxemburger ist – doch findet man ihn im Luxemburger Literaturlexikon. Seines Zeichens ein „Heckefranzous“ aus Verdun: Serge Basso de March. Ja, eben jener, der mit seiner pragmatischen Herangehensweise als Direktor der Kulturfabrik diese Kultureinrichtung mit Geschichte zu dem gemacht hat, was sie heute ist. Zu seiner Vita gehören keine ellenlangen Studienaufenthalte. Basso de March hat Kulturarbeit von der Pieke auf gelernt, in den sozial brisanten Regionen um Lille und Longwy
. Sein besonderes Interesse galt seit jeher der Literatur und dem Theater, seine eigene Ausdrucksform ist die Poesie. Einerseits versucht der Direktor der Kulturinstitution, den Autor Basso aus der Kufa herauszuhalten (eigentlich ein unsinniges Unterfangen in Luxemburg), andererseits gehört es zum Selbstverständnis des Leiters der Kufa, dass man irgendwann Farbe mit eigenen Kreationen bekennen muss. „Se mouiller la chemise.“
Im Jahre 2006 ist Serge Basso de March mit einem ersten, im Verlag Phi erschienenen Gedichtband Contre-marges an die Öffentlichkeit getreten. Es gelingt ihm, den alltäglichen Dingen, den kurzen Augenblicken im Leben, ja, dem Banalsten Poesie einzuhauchen und den Leser innehalten zu lassen. Diese Stärke des Autors Serge Basso de March wird man gewiss auch in der nächsten Publikation, die heute im Théâtre du Centaure vorgestellt wird, wiederfinden.
Bevor das Buch erscheint, kam das gleiche Thema auf der Bühne des Centaure zur Aufführung. Marja-Leena Junker zeichnet für die Inszenierung des Textes Les dimanches de farine verantwortlich. Was da entstanden ist, ist eine sehr einfühlsame Regiearbeit, die dem Werk und dem Wesen des Autors Rechnung trägt. Marja-Leena Junker kam kaum umhin, eine sehr persönliche Regieführung zu wählen, denn es geht um Serge als Junge, seine Eltern, seine sechs Geschwister, um das Leben in einer italienischen Arbeiterfamilie in Verdun. Dem Leser dünkt es: Les dimanches de farine ist autobiographisch. Sehr autobiographisch. Was Marja-Leena gelungen ist: das Theaterstück ist authentisch, anrührend und, im Sinne der Vorlage, mit viel Poesie in Szene gesetzt. So als gelte es zu beweisen, dass man Autobiographisches auch ohne Pathos, und Vergangenheit auch ohne nostalgischen Kitsch vortragen kann. Les dimanches de farine ist nicht so sehr Schauspiel oder Theater im klassischen Sinne, auch kein Monolog, sondern es ist die In-Szene-Setzung eines kurzen, feinen Textes in kurzen Episoden. Fransesco Mormino trägt die französischen Texte größtenteils aus einem Schulheft vor, während der junge Mathieu Muller mal das Kind, mal den Erwachsenen darstellt. Es entsteht ein gelungenes Wechselspiel der Figuren, die dem feinen Humor der erzählten Szenen wundervoll entsprechen. Erzählt werden die Sonntage mit der Musik von Jacques Brel und Barbara, die Geschichte der Mutter, die mit fünf Jahren im Jahre 1919 nach Frankreich immigrierte, der Gestank des Plumpsklos im Garten, die Ferien in Italien mit dem Vater, ein Leben von Arbeit und Entbehrungen geprägt, die erlebte Strenge von Kirche und Schule und die Entdeckungsreisen durch die Literatur.
Die detailgetreue Beschreibung der Szenen und ihrer insgesamt sehr liebenswerten Figuren vereinfacht den Einstieg in diese Welt. Man ist sofort bei Bassos zuhause. Für uns Luxemburger ist diese Welt manchmal sehr vertraut, und dann mutet es fast schon exotisch an. Schade nur, dass der kurze Ausflug in den Hinterhof von Verdun so kurz ist (die Vorführung dauert weniger als eine Stunde). Es endet mit: „Le rire était là“. „Le rire restait entre nous comme un beau doigt d’honneur aux moments difficiles.“ Was macht den Unterschied aus? Der Witz und die Qualität der Texte. Kindheit hatte jeder, Talent nicht unbedingt.
Les dimanches de farine von Serge Basso de March, unter der Regie von Marja-Leena Junker, mit Francesco Mormino und Mathieu Muller, weitere Vorstellungen am 11. Januar um 18h30, sowie am 10., 23. und 24. Januar 2009 um 20 Uhr im Théâtre du Centaure. Reservierung unter Telefon 22 28 28. Heute Freitag, 9. Januar, stellt Serge Basso seinen neuen Gedichtband L‘envers du sable, der bei den Éditions Phi erschienen ist, um 17 Uhr im Centaure vor.