Wenn es vorbei sein wird, werden sie sagen, dass der Weg das Ziel war. Dass es eine ungemein intensive Zeit war – physisch und psychisch beanspruchend. Es werden mehrere Monate, fast ein Jahr, in ihrem Leben sein, die sie alle nicht vergessen werden. BlanContact werden sie mitnehmen in das Leben danach, mit neuen Erkenntnissen, Erfahrungen, Bekanntschaften und, für einige, mit neuem Selbstbewusstsein.
BlanContact ist ein Bühnenspektakel, das professionelle Kunstschaffende mit Amateurtänzern erschaffen haben. Das Besondere am Spektakel ist die Integration von Tänzern, die durch relativ schwere körperliche Behinderungen sehr stark in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Die Initiative von BlanContact geht auf die Direktorin des Mersches Kulturhauses, Karin Kremer, zurück. Sie gehört zu den wenigen im Land, die in der Vergangenheit kulturelle Projekte mit behinderten Menschen initiierte und mit Erfolg durchzog. Für die aktuelle Produktion wandte sie sich an bekannte Namen der heimischen Szene: an die Tänzerinnen und Choreographinnen Yuko Kominami und Annick Pütz, an die Videokünstlerin Cathy Richard und an den Musiker und Komponisten Serge Tonnar. Am Anfang stand für sie, die vermeintlich Erfahrenen, ein Sprung ins kalte Wasser. Keiner von ihnen hatte nennenswerte Erfahrung im Umgang mit Behinderten, niemand sollte oder wollte den Chef spielen. Es gab eine Idee, eine Bühne und ein Datum für die Premiere. Ein Balanceakt auf unbekanntem Terrain.
Das Casting für die Tänzer, damals vor fast einem Jahr, brachte zumindest Gesichter mit Namen zur Konzeptidee: Luisa, Andrea, Catherine, Tun, Fotini, Patricia, Caroline, Jeanne, Montserrat, Patrick und Jhemp. Alle Amateure, sechs von ihnen mit körperlichen Handicaps. Beim Casting war das wesentliche Auswahlkriterium die Motivation, die die Kandidaten an den Tag legten. Schon damals eine ungewöhnliche Situation für die Rollstuhlfahrer: raus aus dem Rollstuhl, runter auf den Boden. Die Frage, die es zu beantworten galt: Was ist an Bewegung, was ist an Ausdruck möglich, wenn man die üblichen Hilfsmittel weglässt? Ist es der Anfang einer neuen oder einen anderen Identität?
Die wöchentlichen Proben fingen im September letzten Jahres an, damals sicherlich mit einigen Berührungsängsten auf allen Seiten, mit vorsichtigem Ausprobieren, mit etwas Zögern und Zaudern. Wie funktioniert so eine Truppe ohne Regisseur, der das Zepter führt? Heute weiß das niemand mehr so richtig. Es war eben ein langer Weg, die Probleme, die sich stellten, sind den Beteiligten noch gegenwärtig, aber sie sind unwichtig geworden. Der Premierentag rückte näher und das, was entstand, war so etwas wie „Bilder einer Ausstellung“. Einzelne Szenen, mal eine Vorstellung in der Gruppe, mal ein Duo mit jeweils einem behinderten und einem nicht behinderten Tänzer. Dazu entstanden Videoaufnahmen mit den Beteiligten und Serge Tonnars unverkennbare Musik. Alle sind darauf bedacht, das Gleichgewicht zwischen den so unterschiedlichen Elementen der Vorstellung zu halten. Man spürt die Vorsicht mit der die Inszenierung zusammengefügt wurde. Die Vorsicht nicht „zu viel“ zu machen, einen Überschwung an Drama und an künstlichen Gefühlen zu vermeiden, die Clichés und vermeintlichen Peinlichkeiten zu umschiffen.
Zwei Wochen vor der Premiere wurde das Team von der Nachricht des plötzlichen Todes von Jeanne Müller erschüttert. Jeanne war fester Bestandteil des Programms, sie spielte die „Diva“, hatte sich eine wunderbare Rolle erarbeitet. Sie ist nun noch irgendwie im Spektakel präsent, in Bildern, und mit der spürbaren Leere, die sie in ihrer Schlüsselszene hinterließ. Nicht nur deswegen wird das Stück von vielen emotionalen Momenten getragen. Natürlich gibt es auch einige Stellen, wo sich beim Publikum eine gewisse Beklemmung bemerkbar macht. Zu ungewohnt ist der Anblick der behinderten Körper, der Ausdruck der fast unverständlichen Sprachartikulation, das Thema Sexualität von behinderten Menschen. Jedem Zuschauer ist aber auch bewusst, welcher Energie es bedarf, diesen Ausdruck auf die Bühne zu bringen. Wie wirkt so ein Abend? Es ist sehr berührend. Schön und lehrreich.
BlanContact unter der künstlerlichen Leitung von Yuko Kominami, Annick Pütz, Cathy Richard und Serge Tonnar, mit den Tänzern Luisa Bevilacqua, Andrea Delvaux, Caroline Jusseret, Fotini Kaparelou, Patricia Lahyr, Catherine Lemaître, Montserrat Romero Gonzalez, Patrick Scheer und Jhemp Schmit. Weitere Vorstellungen heute Abend und morgen am 21. März, jeweils um 20 Uhr im Merscher Kulturhaus; www.kulturhaus.lu.