Karneval, verkehrte Welt! Die Prinzipien fliegen in hohem Bogen über Bord. Auf einmal hat man ein Buch gelesen, das man sonst nie in die Hände nehmen würde: gedruckt bei „Books on Demand“, versehen mit potthässlichem lila Cover und drei Fehlern auf der ersten Seite (zweimal Grammatik, einmal Kommasetzung), erschienen im Selbstverlag und zu allem Überfluss auch noch unter dem schauderhaften Pseudonym „Fauntella Kara“. Die Frau auf dem Bananenboot, diese „Streitschrift für die Liebe, das Glück und über den real existierenden Feminismus“, ist schon vor der Lektüre eine Zumutung an den literarischen Geschmack. Dieser Eindruck lässt sich beim Lesen erst einmal nicht revidieren: Die trinkfreudige, hysterische und vor keinem Fettnäpfchen zurückschreckende Protagonistin, Fauntella Kara, erzählt in tagebuchähnlichen Einträgen von der Herausforderung, das tägliche Leben zu meistern, ihre individuellen Strebensziele zu verwirklichen und gleichzeitig eine Feministin zu sein. Sie arbeitet sich an Erledigungslisten ab, die ihre großen und kleinen Pläne treu widerspiegeln.
Größte Herausforderung und damit wichtigster Punkt: sich verlieben. Aber in wen nur? Mal ist der potentielle Traummann ein Mormone, mal ein türkischer Student, mal ein Adliger mit einem Dahlienfimmel. Fast genau so wichtig: Klassiker der feministischen Literatur lesen. Dazwischen macht sie sich Gedanken über „stichfesten“ Naturjoghurt, Zeitumstellung, Altkleidersammlung.
Was das alles mit Feminismus zu tun hat, weiß die gute Fauntella meistens selbst nicht so genau. Gerne zieht sie ihre Freundin Beba zu Rate oder auch die „Mitbürgerin mit türkischem Migrationshintergrund“, wie ihre türkischstämmige Nachbarin durchgehend heißt – ein amüsanter Seitenhieb des Autors auf falsch verstandene political correctness. Doch die Frauen sind offenbar zu verschieden, ihre Vorstellungen vom Glück oft nicht auf einen Nenner zu bringen. Fauntella versucht beispielsweise, der türkischen Freundin eine westliche Emanzipationsattitüde aufzuzwängen, die diese rundweg ablehnt. Ihre Ehe wurde arrangiert, das gibt sie zu, aber sie liebt ihren Mann und ist glücklich mit ihm. Sie ihrerseits scheut keine Mühen, Fauntella mit einem ihrer Cousins zu verkuppeln, was dieser wiederum überhaupt nicht zusagt. Wie sollte ein einziger Feminismus so verschiedene Glücksvorstellungen abdecken? Das fragt mit Fauntella womöglich der Autor selbst.
Ganz Hanswurstiade ist Die Frau auf dem Bananenboot also keineswegs. Wie der Narr, der seine Lächerlichkeit dafür in Kauf nimmt, dass er ungeniert die Wahrheit sagen darf, fragt auch Fauntella unbefangen und naiv nach, wo der Feminismus ihr nicht einleuchtet. Der Vulgärfeminismus, dessen Vertreterinnen, wie Fauntella findet, vulgärer sein wollen als die Männer und die damit offensichtlich den Mann als „Optimum“ und erstrebenswertes Ideal voraussetzen, bekommt dabei ebenso sein Fett weg wie die feministische Sprachkritik, der religiöse Machismus und Gendertheorien. Dabei arbeitet sie sich weniger an akademischen Texten ab, als vielmehr an deren populären Vereinfachungen – und kritisiert gleichzeitig, dass gewisse intellektuelle Kreise die Deutungshoheit über den Feminismus beanspruchten.
Ob ihre Bildungsfeindlichkeit Fauntella sympathisch oder einfach nur verbohrt und uninformiert wirken lässt, bleibt dem Leser überlassen. Im Einzelnen trifft sie aber häufig voll ins Schwarze. In vielen wunderbar pointierten Beobachtungen lassen sich tatsächlich misogyne Kontexte ablesen – etwa, wenn sie bemängelt, dass Leutnant Uhura in der Fernsehserie Star Trek kein Vorname zugebilligt wird, oder wenn sie einige Vertreterinnen des Feminismus’ der siebziger Jahre der Realitätsfremde und des „Gerontofeminismus“ bezichtigt.
Allerdings hat Frau Kara nicht nur Schokoladenseiten. Die vielen Fehler (bis zu sechs pro Seite) sind ein anhaltendes Ärgernis, das man kaum der Figur wird anlasten können. Da sich der Autor hinter einer Maske versteckt, weiß der Leser nicht, auf wessen Konto die inhaltlichen Schwächen des Buches gehen, das des Verfassers oder das der Figur. Die Fokussierung auf populäre Interpretationen des Feminismus lässt Fauntella jedenfalls häufig mit Klischees gegen Klischees argumentieren. Kein Leser wundert sich, wenn das zu nichts führt. Auch fällt die Geschichte der Figur so dürftig aus, dass sie ohne Weiteres als bloßer Rahmen für die Feminismuskritik des Autors zu erkennenist. Diese Kritik wird allerdings unter einem endlos scheinenden, mit Nichtswürdigkeiten angehäuften Gedankenfluss nahezu völlig verschüttet. Seitenlange Trinkexperimente reihen sich an überzogene Berichte von Liebschaften. Fauntellas Geschwätzigkeit und ihr Hang zu Dramatik und Übertreibung zerren ganz schön am Geduldsfaden.
Alles Ironie? Das kann gut sein. Auch das könnte ein irgendwie gewinnbringendes Fazit sein: Warum hätten ausgerechnet Feministinnen kein Anrecht darauf, blöde Schnepfen zu sein? Wer sich die Mühe macht, den GelbesBlau-Verlag, der das kuriose Machwerk herausgibt, im Internet aufzustöbern, wird übrigens die wahre Identität des Autors schnell eruiert haben: Es handelt sich um einen geschätzten Mitarbeiter dieser Zeitung.