Der Fahrer des Kollektivs Maskénada fährt die vorletzte Zuschauergruppe in die Wiltzer Kaul, wenige Meter von der Kulisse entfernt, vor der die zweite Folge des Projekts Kaz am Sak präsentiert wird. Die Grundsteine des nie fertiggebauten Sanatoriums ragen aus dem wildgewachsenen Grün der Waldlandschaft hervor. Darauf ist die Eisenskulptur Einblicke, Ausblicke, Durchblicke von Edmée Marth aus dem Jahr 2006 schwergewichtig vernagelt. In die beschauliche Stille der Kaul tönen die fernen Laute eines Konzerts, die Stimme eines Ansagers, Verkehrsgeräusche. Bisweilen kommen Zweifel auf, ob sie nicht doch zum Konzept der Création collective et performance von Luisa Bevilacqua, Frédérique Colling, Catherine Elsen und Piera Jovic gehören.
Ein erster Termin am 10. Juni musste wegen einer Sturmwarnung abgesagt werden. Die über wenige Wochen hin erarbeitete und mit den Mitteln des Creative Writing erweiterte Produktion Sanity nach Tullio Forgiarini wurde dem Publikum schließlich am 9. September als Überraschungsei geboten. Kaz am Sak ist den Zuschauern im Sinne der Bühne, des Plots und des Ensembles völlig unbekannt. Lediglich die Stadt Wiltz wird als Gemeinde vorab angekündigt, deren historisches Vermächtnis als Fundament für die drei Theaternachmittage dienen soll.
Im Bild der eben skizzierten Naturbühne formt sich eine Geschichte. Insgesamt lassen sich die dramaturgischen Stränge der Handlung von Forgiarinis Sanity nur in Ansätzen fassen. Der Autor hat sein Bühnenstück in die historische Geschichte um Leopold Richard eingebettet, der der Liga gegen die Tuberkulose im Jahr 1908 mit einer Spende von 100 000 Franken zum Bau eines Sanatoriums verhalf. Krieg und schlechte Planung ließen das Vorhaben jedoch zum Fiasko werden, und der begonnene Rohbau blieb als nie genutzte Ruine zurück.
Die vier namentlich nicht genannten Darstellerinnen verkörpern eine Ärztin, die sich um eine junge Schwangere kümmert, sowie die später abgestoßene Tochter und eine Mitbewohnerin. Sie alle befinden sich im Sanatorium und versuchen jede für sich mit ihrer physischen und mentalen Lage klarzukommen. Während die Tochter dem Umstand, von der eigenen Mutter aufgegeben worden zu sein, mit Spott begegnet, fliehen andere in die abgekapselte Welt der unnachgiebigen Musikbeschallung unter einem grellpinkfarbenenen Bluetooth-Kopfhörer. Die Ärztin hingegen unterstützt die zweifelnde Mutter in ihrem Bestreben, das Kind abzugeben.
Der fünfzigminütige Theaternachmittag besticht insbesondere durch die Art und Weise, mit der sich Darstellerinnen samt Plastik und Naturkulisse in statischen und dynamischen Bildern in Einklang bringen. Während die Produktion rhetorisch zu versteift ist und mimisch weniger überzeugt, gewinnt die Handlung um die Grenzen von Krankheit und Seelenschmerz gerade dann an Schwung und Intensität, wenn die Darstellerinnen ihre emotionale Zerrissenheit tänzerisch performen. Der Einsatz ihrer Körper zu eingespielten Rhythmen lässt das emotionale Spektrum an Einsamkeit, Sehnsucht und Laszivität über den Tanz sehr viel stärker vermitteln, als es mimisch je zu erkennen ist. Gerade in diesen Momenten verschmelzen natürliche Umgebung, Mensch und Kunstobjekt zu einer greifbaren Sprache.
Zu dieser Sprache des Tanzes gesellt sich auch eine Sprache der Stille. Wiederholt wird dem Zuschauer abverlangt, sich mit diesen minutenlangen Momenten auseinanderzusetzen. Ohne die Handlung gänzlich und konkret zu erfassen, werden diese abstrakten, emotionalen Kunstmittel so manchen Zuschauer im Publikum beeindruckt und ergriffen haben.