Die aktuellen Diskussionen über die Unzufriedenheiten der Ärzte und eine offensichtlich divergierende Konzeption des Gesundheitswesen seitens des Ärzteverbands AMMD und der Gesundheitskasse CNS führen mich dazu, ein paar Überlegungen zu dieser Thematik zusammenzustellen. Vorab sei bemerkt, dass kein Gesundheitssystem lückenlos und frei von Schwächen ist. Es gilt lediglich abzuwägen, was wünschenswerter ist, beziehungsweise was es unbedingt zu vermeiden gilt.
Vereinfacht kann man zwei fundamental unterschiedliche Typen von Gesundheitswesen und Krankenkassen skizzieren: ein System mit einer einzigen, universal funktionierenden Kasse, die – wie im Fall von Luxemburg – für alle Bürger1 zuständig ist, und ein System mit zahlreichen Kassen, die einander im Sinne einer liberalen Marktpolitik Konkurrenz machen.
Für letzteren Typ ist Deutschland das perfekte Beispiel, und zwar in doppelter Hinsicht: Eine gesetzliche Krankenversicherung (GKV) steht dort einer Privatkrankenversicherung (PKV) gegenüber. Beide haben jeweils grundsätzlich unterschiedliche Gebührenordnungen und der Zugang zu der einen wie zu der anderen Versicherung ist reglementiert. Innerhalb von GKV und PKV gibt es wiederum viele konkurrierende Kassen; die Leistungen, sprich Rückerstattungen variieren, wenn auch nicht radikal. Interessanterweise haben beide Systeme die gleiche Wurzel: die Bismarck’sche Krankenversicherung der 1880-er Jahre. Gehen wir kurz in die Geschichte der CNS zurück, um zu verstehen, in welche Richtung Luxemburger Politiker über Jahre, ja Jahrzehnte gearbeitet haben.
Modell „Bismarck“
Das erste Krankenkassengesetz wurde 1901 angenommen, es handelte sich wie in den meisten kontinentaleuropäischen Ländern um eine Kopie der Bismarck’schen Gesetze. Organisiert wurde das Krankenkassensystem mit drei Typen von Kassen: zum einen mit den bereits bestehenden Hilfsvereinen (Mutualitäten)2, den Betriebskassen im Fall großer Betriebe sowie regionalen Kassen für alle nicht abgedeckten Bereiche. Damals war man der Meinung, Krankenkassen sollten eine „überschaubare“ Zahl von Mitgliedern aufweisen. Zunächst wurden nur die gefährdetsten Gruppen versichert, und zwar die Arbeiter, mit Ausnahme einiger ebenfalls schwacher Gruppen wie zum Beispiel den Hausangestellten; vielleicht ging man bei diesen davon aus, dass die Unterbringung und Versorgung seitens des Arbeitgebers, unter dessen Dach sie wohnten, ausreichenden Schutz bot. In den 1920-er Jahren wurden weitere Kategorien von Arbeitnehmern als Nutznießer und Beitragszahlende in die Krankenkassen-Gesetzgebung integriert. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde diese Erweiterung fortgesetzt, bis schließlich und endlich die letzte Gruppe, die der freiberuflich Tätigen, hinzukam.
Aus den zahlreichen Regionalkassen, Hilfsvereinen und Betriebskassen entwickelten sich in der Nachkriegszeit Schritt für Schritt elf, dann neun korporatistisch strukturierte Krankenkassen. Langfristiges Ziel ist seit langem, eine einzige Kasse, sprich eine universale Gesundheitsversorgung zu schaffen. Wollte man in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Zahl der Versicherten begrenzt halten – unter anderem, weil die technischen Mittel zur Verwaltung zu vieler Mitglieder nicht zur Verfügung standen –, ist man seit einigen Jahrzehnten der Meinung, eine Kasse mit möglichst vielen Versicherten, wenn möglich mit allen Versicherten, also ein universales Regime in einem Staat, biete die beste Möglichkeit, Risiken (Krankheiten) und Beiträge (von hohen und von bescheidenen Gehältern) aller Versicherten zu kompensieren sowie Transfers von einer Kasse zur anderen zu vermeiden – Letzteres geht natürlich nur in einer nicht marktwirtschaftlich ausgerichteten Kassen-Landschaft. Ziel war seit Jahrzehnten, mit einer Nomenklatur (Gebührenordnung) und einem Beitragssatz alle Versicherten dieser Risikogemeinschaft egalitär zu bedienen, unter anderem auch um unterschiedliche finanzielle Kapazitäten3 der verschiedenen Kassen aufzuheben. Neben der Kompensationsmöglichkeit einer universalen Krankenversicherung ist sie die einzige Option, allen Bürgern einen nicht stigmatisierenden Zugang zu Gesundheitsleistungen zu garantieren – ein wertvolles Prinzip, das in vielen Ländern mittlerweile nicht mehr gilt.
Faktisch eine Kasse ab 1992
Luxemburgs Krankenversicherung ist den Bis-marck’schen Prinzipien treu geblieben: Die Versicherung wird über den Arbeitsvertrag geschlossen. Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der Staat finanzieren die Leistungen. Die Anteile wechselten seit 1901: Anfangs entrichteten die Arbeiter zwei Drittel der Beiträge, die Arbeitgeber ein Drittel, einen öffentlichen Beitrag gab es nicht. Heute ist der Beitragssatz von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleich hoch4 (je 3,05 Prozent der Bruttolohnmasse für 2018) und 40 Prozent der Einnahmen der Krankenversicherung schießt die Staatskasse zu. Der Typ von Krankenversicherung, der vor der Gründung der Union des caisses de maladie (UCM) im Jahr 1992 de jure und de facto neun verschiedene Kassen umfasste, konnte je nach Mitteln (Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber), die zur Verfügung standen, mehr oder weniger an die Versicherten verteilen.
Die Gründung der UCM hob 1992 die Leistungsunterschiede der neun Kassen auf: Der eigentliche Handelnde war nun die Union des caisses de maladie, so dass de facto bereits seitdem eine einzige Kasse, die UCM – jetzt die CNS –, mit der jeweiligen Gruppe von Dienstleistern eine einzige Konvention sowie eine einzige Gebührenordnung aushandelte. Alle Versicherten der neun Kassen konnten damit dieselben Leistungen erhalten, seitdem fakturiert der Arzt dem Minister denselben Tarif für eine Konsultation wie dem ungelernten Arbeiter. Dass 1992 die neun Kassen mit gewissermaßen neun Schaltern erhalten blieben, war eher eine äußerliche Maßnahme, die die Koexistenz der neun Kassen de jure fortschrieb. De facto gab es kaum5 Unterschiede im Hinblick auf Leistungen, Rückerstattungen und die Beitragshöhe.
Das Ziel einer universalen Krankenversicherung verloren die Regierungen nie aus den Augen. Mit dem Gesetz zum Einheitsstatut im Privatsektor fiel 2008 die (vor-)letzte Barriere auf dem Weg zu einer einzigen Krankenkasse, als man aus sechs der neun Kassen die CNS schuf. Es blieben die drei Beamtenkassen6 in ihrer vermeintlichen Selbstständigkeit übrig. Dass der letzte Schritt zu einer einzigen Versicherung nicht vollzogen wurde, liegt an der bleibenden Schwäche demokratisch, besser: korporatistisch ausgehandelter Kompromisse. Luxemburgs Krankenkassen – ob es sich um die ehemals neun korporatistisch organisierten vor 1992 handelte oder die derzeit vier (die CNS und die Beamtenkassen) – waren immer frei von marktwirtschaftlicher Konkurrenz.
Seit Jahren, besser Jahrzehnten arbeiteten die politisch Verantwortlichen in Richtung eines universalen Systems für das Großherzogtum. Wie wichtig dieses Ziel ist und wie sehr ein solches universales Gesundheitssystem Zufriedenheit unter den Bürgern und Vertrauen seitens des Patienten schafft, wird besonders deutlich, wenn man den Blick auf den deutschsprachigen Raum richtet: Während Luxemburg am Ziel eines einzigen Versicherungssystems festhielt, überließen Deutschland, Österreich und die Schweiz ihre Systeme der marktwirtschaftlichen Konkurrenz. In Deutschland etwa spielen heute über 200 von zuvor rund 3 000 Krankenkassen der GKV gegeneinander und reduzieren sich entsprechend immer weiter. Die zwei großen Systeme GKV und PKV gestalten sich in mehrerer Hinsicht „dual“: Mit einem großen Teil gesetzlich Versicherter und einem kleinen Teil privater Patienten, mit marktwirtschaftlich ausgerichteten Versicherungen und mit zwei radikal unterschiedlichen Gebührenordnungen7. Alles in allem handelt es sich um eine Klassen-Gesundheitsversorgung: Der Privatpatient erhält meist umgehend einen Termin, während der gesetzlich Versicherte unterschiedlich lange darauf warten muss. Andererseits wird der Privatpatient, die goldene Kuh, auch gerne überbehandelt. Glücklich schätzt sich der Arzt, der – vielleicht auf Grund seiner Reputation – ausschließlich Privatpatienten annehmen kann, da er ihnen angesichts der sehr viel höher dotierten PKV-Gebührenordnung mehr Zeit widmen und sich eines deutlich höheren Einkommens erfreuen kann.
Luxemburg hingegen hält am Konventionssystem mit einer einzigen Konvention pro Dienstleister-Gruppe und am Prinzip „eine Kasse für alle“ (auch wenn es de jure vier sind) fest. Dieses gilt es, unbedingt auch weiterhin zu verteidigen.
Einige Daten des hiesigen Systems sprechen für sich: Es gehört OECD-weit neben denen der USA, Norwegens und der Schweiz zu den vier teuersten. Das hängt sicherlich in erster Linie mit den OECD-weit höchsten Gehältern zusammen, dennoch sind die Pro-Kopf-Ausgaben mit circa 5 500 Euro pro Jahr erheblich8.
Die durchschnittlich nur circa fünfprozentige Eigenbeteiligung der Patienten an den Leistungen platziert Luxemburg ebenfalls im obersten Segment, wenn nicht gar an erster Stelle im OECD-Vergleich. Sie betrifft allerdings nur Leistungen, die von der CNS rückerstattet werden, nicht jedoch, was darüber hinausgeht, wie etwa teure Zahnprothesen, Optikerleistungen oder die viel zitierten convenances personnelles (CP). Dass die Privatisierung des Gesundheitssystems, sprich der Anteil nicht versicherter Leistungen besonders in einigen Bereichen bereits weit über die fünf Prozent hinausgeht, hat René Pizzaferri in seinem Text im Land vom 24.08.2018 geschildert. Für den durchschnittlich Verdienenden spielen die fünf Prozent keine Rolle und bieten auch ohne Zusatzversicherung eine fast optimal abdeckende Versicherungssituation. Eng wird es für Versicherte mit einem geringen Gehalt. Hier gibt es zwar Ausgleichsmaßnahmen (zum Beispiel Artikel 154bis in den Statuten der CNS), die auch diese fünf Prozent abfedern sollen. Sie bedürfen jedoch wesentlicher Verbesserungen und weisen bereits heute auf ein deutliches Defizit im gewünschten universalen Regime hin – darauf wird noch zurückzukommen sein.
Es gibt keinen stigmatisierenden Zugang zu medizinischen Leistungen, wie man das in Deutschland kennt, wo die Sekretärin zunächst fragt, wie der Patient versichert ist, bevor sie ihm einen „zeitnahen“ oder einen ferneren Termin zuteilt, beziehungsweise der Arzt nur Privatpatienten annimmt.
Luxemburg liegt EU-weit an der Spitze der Transfers ins Ausland (ambulant und stationär). In keinem anderen EU-Mitgliedstaat werden so viele Anträge auf ein S2-Formular positiv beschieden, wie hierzulande durch die CNS. Dies liegt zweifelsohne an der fehlenden Uni-Klinik und einem Kostengefälle zwischen hiesigen und ausländischen Tarifen: Vieles ist für die CNS im Ausland günstiger zu bezahlen. Für die Patienten ist es eine wesentliche Erweiterung, besonders im Fall seltener Krankheiten, dieses Angebot wahrnehmen zu können, auch wenn der Transfer nach Deutschland dem gesetzlich Versicherten einen Einblick in die dortige Klassenmedizin ermöglicht9.
Selbstredend gibt es auch Lücken und Mängel: Dass es für einige Leistungen Wartezeiten gibt, etwa für MRT-Analysen, steht außer Zweifel. Dieses Manko hebt die AMMD deutlich hervor. Eine vergleichende Studie zu Wartezeiten ist mir nicht bekannt, wohl aber einige Phänomene: Britische Patienten warten oft zwei Jahre auf Operationen. Standard-OPs können in Großbritannien in Privatkliniken schneller geliefert werden, doch medizinisch anspruchsvollen Eingriffe sind und waren immer Sache des staatlichen NHS mit entsprechenden Wartezeiten. Zwar besteht auch für Briten der Ausweg ins Ausland. Er erscheint jedoch unter einem anderen Licht als der Weg ins Ausland von Luxemburg aus gesehen, da er gezwungenermaßen nach „overseas“ stattfindet, entsprechend mehr Aufwand impliziert und die Reputation des NHS als universalem Gesundheitssystem eines großen Nationalstaats keinesfalls erhöht.
Problem Eigenbeteiligungen
Kommen wir zu den schon erwähnten fünf Prozent Eigenbeteiligung in Luxemburg zurück, die aus der Perspektive von Geringverdienern keineswegs problemlos sind. Um diesen Patienten entgegenzukommen, findet man in den Statuten der CNS den Artikel 154bis: Wer in einem Kalenderjahr für die Eigenbeteiligung mehr als 2,5 Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens ausgegeben hat, kann bei der CNS die Rückerstattung der über diesen 2,5 Prozent liegenden Eigenbeteiligungen beantragen. Doch zwei Bedingungen sind verfänglich: Zum einen muss der Geringverdiener die entsprechenden Summen erst einmal vorstrecken, sie ergo haben, was bei niedrigen Gehältern kein geringfügiges Problem ist. Zum anderen muss er wissen, dass diese Rückerstattungsmöglichkeit besteht.
Eine weitere Frage ist folgende: Werden die 2,5 Prozent auf das Einkommen eines einzigen Hauptversicherten eines Haushalts oder aber pro Kopf desselben gerechnet? Letzteres erweitert den Kreis potenzieller Bezieher erheblich. Von dieser Ausgleichsmöglichkeit können zum Beispiel RMG-Empfänger, Bezieher des Mindestlohns, aber auch Aktive mit atypischen Arbeitsverträgen sowie Studenten, die nicht über ihre Eltern versichert sind, betroffen sein. Freiwillig Versicherte, die kein Gehalt haben (der Zugang zur Bismarck’schen Versicherung verläuft stets über den Arbeitsvertrag), müssen diese Eigenbeteiligung immer alleine tragen. In welch geringem Ausmaß die Rückerstattung beantragt wird, zeigt der Jahresbericht 2017 der CNS: 2016 war das 5 387 Mal der Fall, 2017 erhöhte sich diese Zahl um 76 Prozent auf 9 475. Dagegen waren 2016 im Großherzogtum fast 93 000 Personen vom Armutsrisiko bedroht10. Selbst wenn man von einem Hauptversicherten mit einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von drei Personen ausgeht, würden die Anfragen an die CNS lediglich 16 161 Personen betreffen, so dass man davon ausgehen kann, dass nur 17 Prozent der vom Armutsrisiko Bedrohten wissen, dass es die Rückerstattungsmöglichkeit gibt.
Im Rahmen einer kleinen Studie, die auch diesen Punkt näher beleuchtete, stellten wir11 fest, dass leitende Personen beim Fonds national de solidarité, dessen Mission die Regelung des Zugangs zum RMG/Révis ist, von Artikel 154bis der CNS-Statuten nichts wussten, und ganz offensichtlich fehlt dieses Wissen sogar bei den entsprechenden Beamten. Hier besteht eine Hürde für die Nutzung medizinischer Leistungen und damit eine Hürde für eine wirklich universale Gesundheitsversorgung.
Sollten immer mehr convenances personnelles eingeführt werden, kämen wir zur nächsten Hürde für ein universales Regime, beziehungsweise in das Vorstadium einer sich nach und nach dualisierenden Medizin: Sobald der Patient sich als „ökonomisch schwach“ beim Arzt outen muss, entstünde die Gefahr, a) durch den Arzt nicht angenommen zu werden, oder b) die Gefahr eingeschränkter Leistungen. Die große Gruppe der Versicherten würde sich dann aufspalten in „Diese“ und „Jene“.
Die Abrechnung der Leistungen ist für den Patienten völlig undurchschaubar: Die Codes auf der Rechnung kann ein nicht Praktizierender kaum entschlüsseln. Und manche Leistungen werden erteilt und in Rechnung gestellt, ohne dass der wirtschaftlich schwache Patient sich der Folgen einer Nicht-Rückerstattung von Leistungen, für die es keinen CNS-Tarif gibt, bewusst ist. Ein genereller Tiers payant würde hier Abhilfe schaffen – doch das scheint derzeit das rote Tuch für die AMMD zu sein. Dabei würde der Patient dem Arzt lediglich seine Eigenbeteiligung am Honorar bezahlen, während die von der Konvention abgedeckten Teile der Leistungen zwischen Arzt und CNS direkt abgerechnet würden. Das derzeitige System lässt den Tiers payant, von einigen Ausnahmen abgesehen, nur für ökonomisch sehr schwache Patienten zu, bindet den Arzt jedoch dann strikt an die Regeln der Konvention mit der Kasse. Gerade diese rigorose Bindung an die CNS-Vorgaben scheint der Stein des Anstoßes zu sein. Auch wenn die AMMD eine Ausweitung des Tiers payant social vorschlägt, so gelten die bereits genannten kaum sichtbaren Mechanismen einer dualisierenden Selektion von Patienten.
Luxemburgs Gesundheitssystems gehört dennoch ohne Zweifel zu den besten Europas – wegen seiner universalen Struktur, die beim Zugang zu Dienstleistern nicht stigmatisierend wirkt. Wenig erstaunlich sind folgende Reklamationen der AMMD, die deutlich einer korporatistisch inspirierten Verteidigungsstrategie entspringen:
Das strikte Ablehnen des allgemeinen Tiers payant erklärt sich sicherlich durch die Differenz von CNS-Tarifen und Zusatzleistungen, die dann dem Patienten direkt deutlich würden, während er jetzt zunächst einmal bezahlt und erst später feststellt, was rückerstattet wurde und was nicht.
Einseitig getroffene Änderungen der CNS-Statuten (eine relative leicht zu handhabende Prozedur im Vergleich zur Änderung eines Gesetzestextes) rufen verständlicherweise Widerspruch der AMMD hervor. Auch wenn es sich dabei um CNS-interne Prozeduren handelt, in die die AMMD logischerweise nicht eingebunden ist, da sie nicht zu den drei die Versicherung finanzierenden Partnern gehört, haben die allgemein gültigen korporatistischen Traditionen zur Wirkung, dass die AMMD auch hier mitverhandeln möchte. Erfreulich ist es zu hören, dass die CNS-internen Verhandlungen unter Sozialpartnern weiterhin funktionieren12.
Mängel in der Ausstattung der Spitäler mit schwerer Technik, wie MRT-Apparaten, wurden angeprangert. Dem muss man entgegnen, dass Luxemburg mit anderen Apparaturen sehr viel besser ausgestattet ist als die umliegenden Regionen. Die Vorschläge der UEL in Sachen erweiterter Terminvergabe am Wochenende und an Abenden wäre eine sicher weniger aufwändige Maßnahme als die gießkannenartig verteilten neuen MRT-Geräte. Zudem haben die Ärzte hierzulande den Vorteil, ihre Leistungen in einer Klinik ohne jegliche Beteiligung an der zumeist neuesten Infrastruktur abrechnen zu können.
„L’AMMD dénonce la convention“
Nun ist eingetreten, was schon eine Weile im Raum steht, und das wohl überlegt in Vorwahlzeiten: Die AMMD scheint die Konvention mit dem Staat aufkündigen zu wollen, und zwar mit der Formulierung „… dénonce la convention“. Dies ist ein zumindest zweideutiges Verb im Französischen, das mit „kündigen“ und „denunzieren“ übersetzt werden kann. Die AMMD selbst hat letztere Variante in einer späteren Stellungnahme als die von ihr gemeinte erklärt. Doch unabhängig von diesen Deutungs-Varianten fragt man sich, was die „dénonciation“ bedeutet und welche Form von politischem Druck entstehen soll. Und der Druck wird deutlich hochgefahren. Wenn schon, dann natürlich in diesen Wochen.
Man meint herauslesen zu können, dass der AMMD ein duales System vorschwebt, das unterschiedliche Tarife für Zusatzversicherte, so genannte Privatpatienten, versus ausschließlich gesetzlich Versicherte bietet, das erweiterte Möglichkeiten schafft, höher dotierte convenances personnelles häufiger, sprich regelmäßig einsetzen zu können. Eine solche harmlos wirkende Privatisierung würde für bescheiden Verdienende zur immer höheren Last: Müsste man dann dem Arzt im Gespräch sagen, dass man nur tariflich gedeckte Leistungen zu bezahlen vermag? Selbst dann gälten die von der CNS vorgesehenen Eigenbeteiligungen weiter, von denen offensichtlich nur Wenige wissen, dass man sie rückerstattet bekommen kann, falls sie ein Limit überschreiten.
Im Falle einer solchen Entwicklung würden wahrscheinlich breit angelegte, auch breit zugängliche Versicherungen aufkommen, so wie das in Frankreich und Belgien mit den Mutuelles der Fall ist. So könnte die Caisse medico-complémentaire mutualiste einen zusätzlichen Versicherungstarif anbieten, der die CP und weitere nicht rückerstattete ambulante Behandlungen abdeckt; doch müsste man sich auch diese Zusatzversicherung leisten können. Immer wieder: Wahrscheinlich wäre so eine Zusatzversicherung kein Problem für die Mehrheit der Gesellschaft, wohl aber ein ernsthaftes Problem für einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung und eine Hürde für den Zugang zu Gesundheitsleistungen.
Was erwartet man sich von einer liberalen, markt-
orientierten Medizin? Pate stehen könnte die deutsche Situation: Dort gibt es den bereits genannten Unterschied zwischen GKV und PKV mit radikal unterschiedlichen Gebührenordnungen. Ohne Zweifel sind deutsche Mediziner, die es sich erlauben können, nur Privatpatienten zu bedienen, im Hinblick auf ihr Einkommen bestens gestellt. Vielleicht sollte man sich auch Stellungnahmen anderer deutscher Ärzte anhören, um auch jenen Gehör zu verschaffen, die sich nicht im privaten Sektor bewegen. Denn alle schaffen es nicht, ausschließlich in diesem privilegierten Segment tätig zu werden. Die Einkommen dieser Ärzte (besonders deutscher Klinikärzte) liegen sicher weit unter denen der Luxemburger Ärzte. Und wie viele Ärzte müssen sich hierzulande wirklich mit einem bescheidenen Einkommen abfinden?
Einer neuen Konvention, die nicht dem bisher verfochtenen Prinzip einer universalen medizinischen Versorgung verpflichtet wäre oder es mit verschiedenen neuen CP unterläuft, sollte die Regierung nicht zustimmen. Es sei denn, der Staat übernimmt diese Kosten in diskreter Form, sprich automatisch zu hundert Prozent, für schwache Gruppen. Luxemburg gehört noch zu den wenigen Systemen, die bisher einer Dualisierung weitgehend entgangen sind. Man möge dieses Regime retten. Man möge Gesundheit so wie Erziehung und andere wichtige Ressourcen für jedermann zugänglich lassen. Eine geteilte Gesellschaft produziert neue Konflikte, die dann andernorts laut werden – mit eventuell viel gravierenderen Auswirkungen. Skandinavische Wohlfahrtsregime sind immer wieder – nachweislich – die Systeme, die die größte Zufriedenheit der Bürger hervorrufen, finanziert durch sehr hoher Steuern bei vergleichsweise egalitären Löhnen und wo der Zugang zu Gesundheitsleistungen universell ist. Wenngleich auch das viel gelobte schwedische Gesundheitssystem Lücken hat, wie eben jedes Regime Defizite in sich trägt.
Die CNS-Versicherung ist ein strukturell universales System mit einer kleinen Eigenbeteiligung des Patienten – nach dem Prinzip „Wertschätzung gibt es nur, wenn man auch etwas dafür bezahlt“. Hier gilt es, über wesentliche Verbesserungen nachzudenken: Tiers payant social, Artikel 154bis? Zwischen dem Staat, der CNS und der AMMD gilt es, das Prinzip der Universalität unbedingt beizubehalten. Diskrete, voll abdeckende automatische Mechanismen für ökonomisch Schwache müssten seitens der CNS etabliert werden, das heißt eine nicht diskriminierende automatische Übernahme der Eigenbeteiligung, die dann jedoch auf nicht von der CNS rückerstattete Leistungen erweitert werden müsste. In diesem Szenario wäre die Pflicht der Information, die bisher ganz offensichtlich fehlt, hinfällig. Pate stehen könnte die hundertprozentige Übernahme der Leistungen für Minderjährige mit Hilfe eines in Luxemburg lange bekannten Hilfsmittels, des barême, welches das Familieneinkommen und dessen Zusammensetzung abbildet: eine per capita gestaffelte Übernahme für bestimmte, jedoch zahlreiche Versicherte.