In der Gesundheitsszene nennt man sie „das blaue Buch“. Denn die Gebührenordnung für die Ärzte und Zahnärzte, die Nomenclature des médecins et médecins-dentistes, hat einen himmelblauen Einband. Im blauen Buch stehen auf 80 Seiten an die 2 000 Tarife für die Ärzte und Zahnärzte, außerdem Regeln zur Anwendung der Tarife. Quasi jeder, der damit zu tun hat, nennt die Gebührenordnung „hoffnungslos veraltet“, wenn nicht gar „eine historisch gewachsene Katastrophe“.
Die DP-LSAP-Grüne-Regierung hatte sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, das ganze Tarifwerk bis Ende 2014 zu erneuern, aber das erwähnt heute lieber niemand mehr. LSAP-Sozial-
minister Romain Schneider meinte Ende Mai, bis Ende dieses Jahres könnte zumindest der Teil überarbeitet sein, der die Ärzte betrifft; die Zahnärzte-Gebührenordnung ist noch eine Herausforderung für sich. Vor vier Wochen wollte Schneider damit aber falsch verstanden worden sein und nur noch von „à terme“ sprechen. Was auch daran liegt, dass der Ärzteverband AMMD kurz vor Pfingsten entschied, in der Nomenklaturkommission, die Änderungen an den Tarifen beschließt, erst wieder mitzuarbeiten, wenn Schneider eine „Grundsatzdebatte über das System“ eingeleitet habe. Dass sie die Debatte so kurz vor den Wahlen nicht bekommen würde, war der AMMD natürlich klar, machte aber nichts: Die Tariffrage sollte in den Wahlkampf getragen werden – und mit ihr die nach der Freiheit der Preisbildung durch die Ärzte. Und damit auch die, inwiefern die Krankenversicherung, wie Luxemburg sie heute kennt, noch eine Zukunft haben soll. AMMD-Präsident Alain Schmit sagt: „Wir müssen verhindern, dass Luxemburg die Ärzte fortlaufen, und sicherstellen, dass wir auch weiterhin gute Ärzte bekommen.“
Zum Teil sind das komplizierte Zusammenhänge. Sie haben alle damit zu tun, dass in Luxemburg jeder Arzt automatisch und obligatorisch Kassenarzt wird. In Rechnung stellen kann er CNS-versicherten Patienten – das sind hierzulande nicht alle, aber die meisten – nur, was in der Gebührenordnung steht. Abgesehen von Zuschlägen für Termine und Hausbesuche, die CP1 bis CP7, für die der Patient selber bezahlt, genauso wie für den 66-Prozent-Aufschlag für Behandlungen „Erster Klasse“ im Spital.
Die Probleme beginnen damit, dass im blauen Buch nicht alles steht. Vor zehn Jahren war das noch schlimmer als heute. Da fehlte zum Beispiel die laparoskopische Chirurgie völlig, obwohl sie Standard war und auch hierzulande längst praktiziert wurde. Bei Operationen am Bauch etwa wird ein kleiner Schnitt in die Bauchdecke gemacht, eine winzige Kamera eingeführt sowie weitere Instrumente. So operiert der Chirurg minimal-invasiv. Doch: Was nicht im blauen Buch steht, kann nicht abgerechnet werden, selbst wenn es Standard ist. Möglich wäre, in der Nomenklaturkommission einen neuen Behandlungsakt anzufragen, der dann ins blaue Buch käme. Das geschah und geschieht auch immer wieder, erfordert aber einen gewissen Aufwand. Alternativ können Ärzte beim Medizinischen Kontrolldienst der Sozialversicherung, dem Contrôle médical, eine „Analogie“ beantragen – eine Art virtuellen Tarif, der allgemein gilt, nachdem er einmal genehmigt wurde. Gérard Holbach, der Direktor des Kontrolldienstes, einer Behörde, die dem Sozialminister untersteht, erklärt, eine Analogie werde „ganz schnell“ erteilt, wenn es sein muss, innerhalb eines Tages. „Noch nie“ habe er eine abgelehnt, auch nicht, wenn sie erst nachträglich, nach einer Operation etwa, angefragt wurde. Was übrigens meistens geschehe.
Die AMMD aber schießt seit Monaten gegen den aus 30 verbeamteten Ärzten bestehenden Kontrolldienst und dessen Chef. Holbach sei „autoritär“, wolle die Ärzteschaft „kontrollieren“ und habe erklärt, keine Analogien mehr zu „tolerieren“. Was Holbach bestreitet: An die 15 seien allein seit April 2017 genehmigt, kein Antrag abgelehnt worden. Und kontrollieren würde seine Behörde nur, was die CNS ihr schickt. „So steht das im Gesetz. Wir nehmen nicht etwa Stichproben von Arztrechnungen, das ist uns gar nicht erlaubt.“ Der AMMD-Präsident dagegen meint, Holbach könne „der CNS sagen, schickt uns mal einen Stapel Rechnungen. Kontrolldienst und Kasse sitzen im selben Gebäude, da geht das“.
Der Kontrolldienst-Chef kann angesichts solcher Behauptungen nur stöhnen. Aber wenn es die CNS ist, die kontrollieren lässt, dann fällt an ihrem Jahresbericht 2017, der vor zwei Wochen herauskam, auf, dass dort die Rede ist von einem „nombre important“ an Ermittlungen, die die Cellule abus et fraude der Kasse führe. Solche Fälle können vor der Überwachungskommission der Sozialversicherung landen, einem Organ, das von Richtern geleitet wird, die ebenfalls ermitteln können. CNS-Präsident Paul Schmit will nicht sagen, was es mit dem „nombre important“ genau auf sich hat und ob sich das auf Ärzte bezieht. „Das kann alle möglichen Gesundheitsdienstleister betreffen und Patienten auch.“ Missbrauch und Betrug seien außerdem heikle Begriffe. Was die Ärzte betreffe, sei die Gebührenordnung „noch immer so veraltet und komplex, dass bei der Abrechnung auch Irrtümer oder Fehler“ unterlaufen könnten. Deshalb habe die CNS ihre Kontrollen zurückgefahren. „Wir wollen der Reform der Gebührenordnung eine Chance geben.“
Der AMMD-Präsident kann ebenfalls nicht sagen, wie viele Ärzte irgendeines Fehlverhaltens verdächtigt werden. Es seien „viele“, hatte er im Mai auf einer Pressekonferenz erklärt. Doch ob es mehr sind als zehn oder mehr als 20, weiß er nicht. „Die CNS gibt uns keine Informationen, und in der Überwachungskommission selber gilt Vertraulichkeit.“ So dass auch der AMMD-Vertreter in der Kommission keine Informationen weitergeben könne. – Der Eindruck kommt auf, die Behauptungen von den vielen Kontrollen könnten in die Welt gesetzt und hochgespielt worden sein, um ein politisches Ziel zu erreichen.
Auf jeden Fall will der Ärzteverband eine große Systemdebatte, wenn nicht im Wahlkampf, dann unter der nächsten Regierung. Denn, so Alain Schmit: „Unsere Ärzte-Demografie ist besorgniserregend, in den Nachbarländern ist sie es auch.“ In Frankreich würden 19 000 Ärzte fehlen, habe kürzlich eine Studie ergeben. „In Paris mangelt es an Anästhesisten, so dass dort Chirurgen nicht operieren können, weil kein Anästhesist da ist.“ In Deutschland würden mehr und mehr Ärzte aus Osteuropa beschäftigt, aber die seien nicht unbedingt gut genug: „Der letzte Deutsche Ärztetag meinte, ausländische Ärzte sollten ein Staatsexamen absolvieren, ehe sie die Zulassung erhalten.“ Natürlich sei ein Medizinstudium nach wie vor begehrt. „Aber nicht jeder Student schafft den Abschluss, denn das Studium, inklusive Facharztausbildung, dauert lange und ist kräftezehrend“. Und junge Mediziner seien weniger bereit als ältere Kollegen, „60 bis 80 Stunden die Woche zu arbeiten“.
Unter solchen Bedingungen nehme die Konkurrenz um gute Ärzte zu, Luxemburg sei beim Nachwuchs aber „quasi komplett abhängig vom Ausland“. Aus seiner Erfahrung als früherer Präsident des Ärzterats am Centre hospitalier Emile Mayrisch, sagt Alain Schmit, wisse er, „dass man 95 bis 98 Prozent der Bewerbungen von Ärzten um eine neue Stelle gleich beiseitelegen kann, weil sie nicht gut genug sind“. Fazit: „Wir haben noch ein paar Jahre, um unsere Versorgung zu retten. Verpassen wir das, landen wir bei einer Wald-und-Wiesen-Medizin, und das ist keine Übertreibung.“ Deshalb habe die AMMD sich vergangenes Jahr so dafür eingesetzt, die Position der Ärzte an den Spitälern zu stärken, als das neue Krankenhausgesetz diskutiert wurde. Deshalb setze sie sich nun dafür ein, dass die Verdienstmöglichkeiten „wettbewerbsfähig bleiben“ und die Therapiefreiheit der Mediziner nicht eingeschränkt wird.
Beides hat mit dem blauen Buch insofern zu tun, als darin steht, was auf die Rechnung geschrieben werden darf und mit welchem Tarif. Dass Luxemburg ein Problem hat mit der Ärzte-Demografie und der Nachwuchsgewinnung, wird auch bei der CNS so gesehen, das geht auch aus einschlägigen Statistiken hervor: Die jüngste Ausgabe von Health at a Glance der OECD, die im Herbst 2017 herauskam, zählte für Luxemburg 2,9 Ärzte pro tausend Einwohner, Stand 2015. Das waren zwar mehr als im Jahr 2000, als die „Ärztedichte“ noch bei 2,1 gelegen hatte. Aber es waren weniger als der OECD-Schnitt von 3,4, und in allen drei Nachbarländern war die Ärztedichte höher: In Belgien betrug sie 3,0, in Frankreich 3,4, in Deutschland 4,1 Ärzte po tausend Einwohner.
Gleichzeitig lag der Anteil der Mediziner, die 55 oder älter waren, 2015 in Luxemburg mit 41,2 Prozent über dem OECD-Schnitt von 34,5 Prozent, sah aber noch erfreulicher aus als in den Nachbarländern: In Deutschland fielen 43,9 Prozent der Ärzte in diese Altersgruppe, in Belgien 44,4 Prozent, in Frankreich 46,6 Prozent.
Derselben OECD-Publikation, die jedes Jahr erscheint, ist allerdings auch zu entnehmen, dass die Verdienstmöglichkeiten von Ärzten in Luxemburg so schlecht nicht sein können, zumindest für Spezialisten: Nach Abzug von Praxiskosten und vor Steuern und Sozialabgaben lag in Luxemburg das jährliche Brutto-Einkommen freiberuflich tätiger Spezialisten sechs Mal über dem landesweiten Durchschnitts-Bruttoeinkommen – der Spitzenwert in der OECD-Tabelle, in der nur die USA fehlen. In Deutschland lag der Faktor bei 5,3, in Frankreich bei 4,9, in Belgien wie in Luxemburg bei 6,0, doch dort seien die Praxiskosten noch nicht abgezogen, der Faktor für Belgien deshalb „überschätzt“, so die OECD.
Auch festangestellte Spezialisten verdienen in Luxemburg besser als in den Nachbarländern, lediglich freiberufliche Allgemeinmediziner waren 2015 in Luxemburg nicht unbedingt besser gestellt als ihre Kollegen jenseits der Grenze: Mit 2,8 Mal über dem landesweiten Jahres-Bruttodurchschnitt verdienten Luxemburger Generalisten im Schnitt mehr als belgische (2,4), aber weniger als französische (3,0) und deutlich weniger als deutsche (4,1).
Solche Zahlen deuten auf die schwierige Wahrheit hin, dass auch mit dem veralteten blauen Buch ganze Arzt-Disziplinen gut leben können. Nicht alle Tarife sind so niedrig wie etwa jener, der für die Amputa-
tion eines Fingers aufgeschrieben werden kann: 36,60 Euro, da verdient ein Klempner, der ein Abflussrohr wechselt, mehr. Außerdem profitieren verschiedene Facharztdisziplinen mehr als andere von Zuschlägen oder subtilen Begünstigungen.
Spitzenreiter im Verdienst hierzulande waren 2007 die Radiologen, auf Rang zwei folgten die Anästhesisten. Nach Abzug von Praxiskosten und vor Steuern und Sozialabgaben verdienten sie mit im Schnitt 411 431 Euro beziehungsweise 398 780 Euro im Jahresbrutto doppelt so viel wie der Durchschnitt über alle Arztdisziplinen betrug (199 991 Euro). Diese Zahlen hatte Anfang 2015 die Generalinspektion der Sozialversicherung in ihrem Jahresbericht 2014 publiziert. Das hatte sie ein paar Jahre lang getan, immer mit sieben Jahren décalage, um nicht zu viel „Öl ins Feuer zu gießen“ (d’Land, 19.03.2009). Denn ob und wie die Gebührenordnung zu ändern sei, war schon vor zehn Jahren ein politisches Thema. Eine Grundfrage war dabei stets, ob eine Reform eine Umverteilung von gut nach schlecht verdienenden Disziplinen einschließen müsse.
Für die AMMD ist das eine sehr delikate Frage. Disziplinen aufzuwerten, wurde immer ihr überlassen; der Konsens, den sie intern fand, wurde anschließend in die Nomenklaturkommission getragen. Aber heraus kamen dabei auch Kuriosa wie der Tarif für die Behandlung eines Leistenbruchs, der in der Sektion Chrirurgie um 60 Euro höher liegt als in der Urologie. Oder unterschiedliche Preise für Diagnoseverfahren, die jeweils dieselben sind, aber in der einen Sektion mit einem Begriff bezeichnet werden, der lateinischen Ursprungs ist, in der anderen Sek-tion mit einem Begriff griechischer Herkunft.
Keine zwei Jahre ist es her, dass es Krach im Ärzteverband nach einer sehr konkreten und substanziellen Umverteilung gab: Im Einvernehmen mit der CNS waren beinahe 20 Millionen Euro innerhalb der Gebührenordnung zugunsten schlechter gestellter Disziplinen umgeschichtet worden, fast fünf Prozent der gesamten Ärzte-Honorarmasse. Aber dass dabei den Kardiologen ein Tarif für die „Miete eines Apparats“ gestrichen wurde, mit dem sie den Aufwand zur Anschaffung von Diagnosetechnik auf Kasse und Patient umlegten, ließ erboste Herzspezialisten aus der AMMD austreten. Seither sind ihre Diskurse zur Umverteilung andere: Hatte AMMD-Generalsekretär Claude Schummer seinerzeit noch erklärt, „uns ist klar, dass eine Reform auch zwischen den Disziplinen umverteilt“ (d’Land, 09.01.2015), äußert Präsident Alain Schmit sich viel vorsichtiger: „Natürlich muss die AMMD solidarisch sein mit Disziplinen, die nicht gut bezahlt sind.“ Aber Radiologen oder Anästhesisten etwas wegzunehmen, um es Dermatologen, Psychiatern, Kinderärzten oder Generalisten zukommen zu lassen, sei „naiv“. So denke die CNS. „Nimmt man Radiologen etwas weg, sind sie fort über die Grenze.“
Womit der Kern von dem berührt wird, was die AMMD im Wahlkampf beziehungsweise unter der nächsten Regierung diskutiert haben will: mehr Tariffreiheit. „Die Einheitspreise müssen weg“, sagt Alain Schmit. „Breite Schultern müssen mehr tragen als schmale.“ Dann sei es „mit 40 Euro für eine Konsultation eben nicht mehr getan“.
Was genau die AMMD sich darunter vorstellt, sagt ihr Präsident nicht. Es sei auf jeden Fall „noch etwas anderes“ als die Forderung nach einem CP8 auch für Ärzte: Zahnärzte können für das, was in ihrem Teil des blauen Buchs nicht steht, eine frei kalkulierbare convenance personnelle CP8 in Rechnung stellen. Das wollte die AMMD auch für die Ärzte eingeführt haben, als sie 2013 und 2014 mit der CNS über eine neue Konvention verhandelte. Dass die Kasse bereit war, den CP8 für Zusatzleistungen im ambulanten Bereich zuzugestehen, aber nicht bei Behandlungen im Spital, war ein Grund, weshalb die Verhandlungen scheiterten. „Weg mit dem Einheitspreis“ dürfte heißen, Tarife, die im blauen Buch stehen, erhöhen zu können. Im Ausland geht das, dort fällt es unter die verschiedenen Varianten von Privatmedizin. Zum Luxemburger Krankenversicherungsprinzip gehört dagegen, „derselbe Preis für alle bei Beiträgen zur Kasse, die alle proportional zum Bruttoeinkommen zahlen“. So steht das im Gesetz. Noch. Einzige Ausnahme ist die „Erste Klasse“ im Spital.
„Wir sind nicht gegen eine Bürgerversicherung für alle über die CNS“, beteuert Alain Schmit. „In Deutschland sind die Ärzte gegen eine Bürgerversicherung, wir sind es nicht.“ Ob die Bürgerversicherung noch eine wäre, wenn breite Schultern mehr trügen, beantwortet der AMMD-Präsident aber nicht. „Wir sind intern nicht in einer Diskussion, wo wir breitere Schultern definieren würden.“ Nur lancieren will die AMMD offenbar das Thema. Immerhin ist es alles andere als sicher, dass die nächste Regierung am bestehenden System viel ändert, auch mit der CSV an der Spitze.
Zumal das blaue Buch in jenen Abschnitten, die mittlerweile reformiert wurden, Tarife enthält, die einen wettbewerbsfähigen Eindruck machen. Vor allem sind das Abschnitte, die Operationen betreffen. Vor zwei Jahren waren CNS und AMMD übereingekommen, die bestehende Gebührenordnung Kapitel für Kapitel neu zu schreiben – unter Einbeziehung der Facharztgesellschaften und mit einem ausländischen Berater. Vorher wäre es der AMMD am liebsten gewesen, Luxemburg hätte die Schweizer Gebührenordnung übernommen. Die CSV-LSAP-Regierung wollte dagegen die französische. Dass die DP-LSAP-Grüne-Koalition so verwegen war, eine Reform innerhalb eines Jahres für möglich zu halten, lag am Druck der DP, die in den Koali-
tionsgesprächen behauptete, das gehe so schnell. Als auch nach dem Regierungswechsel über die Vor- und Nachteile des Schweizer und des französischen Tarifwerks weiter debattiert wurde, vereinbarten Ärzteverband und CNS, um weiterzukommen, allmählich und bottom-up zu reformieren, was Luxemburg schon hat.
Und man sieht: In den neu gefassten Kapiteln des blauen Buches stehen Preise, die sich nicht verstecken müssen gegenüber den Schweizern. In der Schweiz sind die Tarife von Kanton zu Kanton verschieden. Damit soll Gesundheits-Strukturpolitik gemacht werden. Der mit den höchsten Tarifen ist der Kanton Jura. Für den Einsatz einer Hüftprothese (Behandlungsakt 24.4830 in der Gebührenordnung Tarmed) zum Beispiel kann ein Chirurg im Jura 350,70 Schweizer Franken in Rechnung stellen, 304,15 Euro beim Wechselkurs vom 3. August. In Luxemburg dagegen ist der modernisierte Akt 2E90 „Prothèse totale de la hanche“ mit 931,10 Euro dotiert, die jüngste Index-Tranche inbegriffen.
Dass am Ende alles nicht so heiß gegessen würde, wenn die neue Regierung im Amt ist, und die Reform des blauen Buches wieder aufgenommen werden kann, folgt daraus aber nicht ohne weiteres. Zum einen stellt sich die Frage, was in einem Behandlungsakt, den ein Arzt bezahlt erhält, alles inklusive ist: Sind es auch Ausgaben für die persönliche Weiterbildung? Ist auch die Teilnahme an Not- und Bereitschaftsdiensten in den Spitälern vergolten? Letztere Frage stellt sich derzeit ganz akut (siehe unten stehenden Text).
Zum anderen kann die CNS, wenn sie über eine neue Gebührenordnung verhandelt, nicht einfach vom Prinzip abweichen, manchen Ärzten etwas wegnehmen zu müssen, um es anderen geben zu können: Der Ansatz steht im Gesetz und wird „vases communicantes“ genannt. Dass chirurgische Disziplinen schon beachtlich aufgewertet wurden, enthält eine Wette auf die Zukunft, andere zu beschneiden. Oder das Gesetz würde geändert, damit das neue blaue Buch „teurer“ werden kann. Schon denkbar, dass in dem Moment die Frage aufkommt, weit weit der Zuständigkeitsbereich der Bürgerversicherung reichen soll, und ob er nicht Privatmedizin zu ergänzen sei – wenn das doch anderswo schon lange so ist.