Die Mutualité des employeurs? Eigentlich gebe es zu ihr gar nicht viel zu sagen, meint ihr Verwaltungsratspräsident Nicolas Henckes. „Finanziell ist sie auf Reisegeschwindigkeit angekommen, und als Organ der Sozialversicherung spielt sie die Rolle, die ihr zugedacht ist: ihren Mitgliedern 80 Prozent der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu erstatten.“
Doch so ruhig wie derzeit war es um die Krankengeld-Versicherung, der Betriebe aus dem Privatsektor beitreten müssen und der Freiberufler sich anschließen können, nicht immer. 2014 stritten der Unternehmerdachverband UEL und die Regierung monatelang um Geld. Ausgerechnet Pierre Gramegna, der eben noch Direktor der Handelskammer gewesen war, nun aber Finanzminister mit DP-Mandat, wollte der Mutualité des emloyeurs 45 Millionen Euro weniger Zuschuss aus der Staatskasse geben, als ihr nach Ansicht des Unternehmerdachverbands zustanden. UEL-Präsident Michel Wurth drohte, gegen die Regierung vor Gericht zu ziehen. Die UEL bekniete die Abgeordneten, sich gegen Gramegnas Pläne zu wenden.
Am Ende bekam die MDE, wie Mutualité des employeurs abgekürzt wird, für 2014 tatsächlich weniger Geld, aber nur vorübergehend. In einer Bipartite mit der UEL stimmte die Regierung im Januar 2015 zu, neu auszuhandeln, inwiefern der Staat der Mutualität finanziell unter die Arme greift. Vereinbar wurde zunächst, dass die Staatskasse bis zum Ende der Legislaturperiode eventuelle Defizite der Mutualität trägt. Seit dem Haushaltsjahr 2016 gilt das Prinzip, dass er ihr so viel zuschießt, dass damit nicht nur ein Defizit ausgeglichen wird, sondern die Mutualität überdies eine Reserve halten kann, die zehn Prozent ihrer Jahresausgaben entspricht. Außerdem muss die Zuwendung hoch genug sein, damit der durchschnittliche Beitragssatz zur MDE eine bestimmte Grenze nicht überschreitet. Weil die Grenze jedes Jahr im Budgetgesetz neu festgelegt werden werden kann, ist der Gesprächsfaden über die Zuwendungen ziemlich rissfest.
Hinter dem Zuschussmodell versteckt sich, was Nicolas Henckes mit „Reisegeschwindigkeit“ meint. Auf ihr angelangt, hat sich aus dem Unternehmerlager seit dem Streit vor vier Jahren niemand mehr laut über „Krankfeiern“ beschwert. In der Vergangenheit taten das vor allem Handwerkerverband und Fedil. Der Industriellenverband fand noch im Herbst 2014, entweder müssten „Karenztage“ her, während denen es keine Lohnfortzahlung gäbe, oder sie gehöre zumindest in den ersten Krankheitstagen um zehn bis zwanzig Prozent gekürzt. Heute dagegen sagt Fedil-Sprecherin Michèle Vallenthini, „wir haben dazu keine Meinung, die von der der UEL abweicht“. Der Handwerkerverband reagierte auf die Anfrage nicht.
Die Meinung der UEL steht in ihren Wahlkampfempfehlungen Que veulent les entreprises? Dass weiter gegen „missbräuchliche Krankmeldungen“ vorgegangen werde, wollen die Unternehmen demnach zwar auch. An erster Stelle aber wollen sie einen Umbau der gesamten Krankenversicherung: Für die Sachleistungen (Arzt, Krankenhaus, Medikamente und so fort) wollen sie nicht mehr mit zuständig sein, dagegen für die Geldleistungen bei Abwesenheit vom Arbeitsplatz ganz. Aktuell gilt, dass lohnabhängig im Privatsektor Beschäftigten im Krankheitsfall ihr Gehalt bis zum Ende desjenigen Monats weitergezahlt wird, in den der 77. Krankheitstag fällt. Anschließend springt die CNS mit Krankengeld ein. „Wären wir für den gesamten Bereich Geldleistungen zuständig, hätten wir ein umfassendes Bild vom Krankenstand und könnten viel wirksamer auf ihn Einfluss nehmen“, sagt Nicolas Henckes. Und fügt an, das sei nicht etwa eine kaum verhüllte Drohung, weil eine Krankengeldkasse der Arbeitgeber Karenztage oder Krankengeldkürzungen „einfach so“ verordnen könnte. „Das könnte sie nicht. Als Organ der Sozialversicherung wäre sie Gesetzen unterworfen.“
Politikfähig dürfte die Idee der UEL, die sie vor zwei Jahren schon einmal vorgebracht hatte, nicht so schnell sein, schon gar nicht nach den Wahlen vom 14. Oktober. Dass der Präsident der MDE findet, ein „wirksamerer Einfluss“ auf den Krankenstand müsse her, ist aber auch ein Eingeständnis, dass die Mutualität auf ihn nicht genug Einfluss nimmt.
Dabei war das eigentlich so gedacht, als Anfang 2009 das Einheitsstatut im Privatsektor in Kraft trat und mit der Abschaffung der ziemlich artifiziellen Unterscheidung zwischen Arbeitern und Privatangestellten auch ein einheitliches Krankengeldregime mit zeitlich begrenzter Lohnfortzahlung für alle salariés. Es steht zwar nirgendwo geschrieben, dass es Aufgabe die Mutualité des employeurs sei, den Krankenstand zu senken, aber politisch wurde das in sie hineinprojiziert.
Denn der Tripartite, die im April 2006 entschied, auf das Einheitsstatut hinzuarbeiten, war es in erster Linie um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die Entlastung der Staatskasse gegangen. Am Ende wurden von ihr eine Indexmanipulation und die Desindexierung der Familienleistungen beschlossen. Als die damalige CSV-LSAP-Regierung sich fragte, was die Tripartite den Gewerkschaften geben könnte, damit die nicht wie Verlierer dastünden, fiel LSAP-Sozialminister Mars Di Bartolomeo das vom OGBL schon länger geforderte Statut unique ein und CSV-Premier Jean-Claude Juncker gefiel die Idee. Aber schon in der Legislaturperiode zuvor war es hoch her gegangen um „Blaumacher“ und Krankengelddefizite der Arbeiterkrankenkassen, die krank geschriebenen Arbeitern vom ersten Krankheitstag an Krankengeld zahlten. Weil die Krankschreibungen von Arbeitern zunahmen, mussten die Beiträge zum Arbeiterkrankengeld angehoben werden. Wie die UEL die Sache im August 2006 sah, würden mit dem Einheitsstatut „des objectifs précis“ verfolgt, „en l’occurence la diminution sensible du taux d’absentéisme et la réduction des charges administratives tant au niveau des entreprises que des structures de la sécurité sociale“. Um vor diesem Hintergrund das Projekt Einheitsstatut zu retten, ohne dass die Gewerkschaften auch dabei verloren hätten, weil die Lohnfortzahlung durch den Betrieb vielleicht nicht ohne Karenztage oder gekürzte Bezüge durchzusetzen gewesen wäre, wurde als Kompromiss die Mutualité des employeurs konstruiert. Ihre Mitglieder werden in vier „Risikoklassen“ eingeteilt, je nachdem, wie stark sie die Mutualität in der Vergangenheit zur Erstattung von Lohnfortzahlung in Anspruch nahmen, und zahlen entsprechend unterschiedlich hohe Beiträge. Der Umgang mit dem Krankenstand, vor allem mit dem von kurzer Dauer, sollte damit sehr wohl den Unternehmen überantwortet werden, wenigstens zum Teil.
Schaut man in die einschlägigen Statistiken, scheint das aber nicht richtig zu funktionieren. Denn der Gesamt-Krankenstand ist nicht nur seit fünf Jahren nahezu unverändert, der Kurzzeit-Krankenstand von bis zu drei Wochen Dauer nimmt stetig zu: von zwei Prozent 2008, dem Jahr vor der Einführung des Statut unique, auf 2,22 Prozent im Jahr 2016. Krankschreibungen über mehr als drei Wochen hingegen sind seit 2013 rückläufig.
Letzteres liegt vermutlich daran, dass der Medizinische Kontrolldienst der Sozialversicherung personell stark aufgestockt wurde und Krankgeschriebene viel früher zum Kontrolldokter einzubestellen imstande ist. Aussagen über Kurzzeitkranke zu treffen, ist schwieriger. Die Generalinspektion der Sozialversicherung (IGSS) schreibt in ihrem letzten, im September 2017 erschienen Bericht L’absentéisme pour cause de maladie en 2016, auf den Kurzzeitkrankenstand habe Einfluss, wann eine Grippewelle einsetzt und wie schwer sie wütet, vermutlich aber auch, dass seit Ende der Wirtschaftskrise mehr Beschäftigte es sich erlauben würden, krank zu sein: Auch in Luxemburg sei der „Präsentismus“ verbreitet: aus Angst vor Jobverlust auch bei Krankheit arbeiten zu gehen. Ende 2016 hatte die IGSS in einer Befragung von über 17 000 im Privatsektor Beschaftigten ermittelt, dass 62 Prozent von ihnen bei Erkrankung dennoch arbeiten gingen. Die Hälfte tat das sogar über die gesamte Krankheitsdauer.
Welche Rolle die Unternehmer und ihre Mutualität in dem Zusammenhang spielen könnten, ist keine ganz neue Frage. „Natürlich wirken unsere vier Risikoklassen als Anreiz, etwas gegen den Krankenstand zu unternehmen“, sagt Nicolas Henckes. „Dass wir nur 80 Prozent der Lohnfortzahlung rückerstatten, wirkt ebenfalls.“ Dieses Jahr liegt der Beitragssatz zur Mutualität zwischen 0,46 Prozent in der niedrigsten und 2,95 Prozent in der höchsten Risikoklasse. „Und es kann durchaus vorkommen, dass in der höchsten Klasse auch eine Bank einzahlt.“ Aber wie verbreitet die Bemühungen der Betriebe sind, Einfluss auf den Krankenstand zu nehmen, kann Nicolas Henckes nicht genau sagen. „Verschiedene versuchen es.“ Doch „wenn man einen körperlich schweren Beruf hat“, würden sich nun mal irgendwann Rückenprobleme zeigen. Und „bei den neuen psychsozialen Problemen festzustellen, wann von einer Erkrankung gesprochen werden kann und wann das eher mit dem Lebensstil oder der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen zu tun hat, ist schwierig“.
Gewerkschafter behaupten, die Mutualité des employeurs versage bei der Einflussnahme auf die Betriebe, um Arbeitsbedingungen und Betriebsklima zu verbessern oder die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie zu fördern. Eine objektivere Einschätzung seitens der IGSS ist nicht publik und eine Anfrage danach blieb unbeantwortet. In der Vergangenheit hatte die IGSS wiederholt geklagt, nur wenige Betriebe würden sich für das vor fünf Jahren im Internet eingerichtete Observatoire de l’absentéisme interessieren, das einen Vergleich des eigenen Krankenstands mit dem der jeweiligen Branche erlaubt. Nicolas Henckes hält dagegen, die Regierung interessiere das Observatoire womöglich ebenfalls nicht mehr: „Sie berief früher Treffen mit den Sozialpartnern zum Krankenstand ein. Seit zwei Jahren fand keines mehr statt.“
Dieser kleine Punkt ist gar nicht so unwichtig: Wie das Sozialministerium erklärt, habe die Aufgabe dieses Groupe à haut niveau sur l’absentéisme darin bestanden, „mit den Sozialpartnern die Situation zu analysieren, einschließlich die finanzielle, und anschließend festzulegen, wie hoch der Staatszuschuss zur Mutualität sein sollte“. Seit der Staat ihre Defizite generell deckt, eine Reserve und obendrein einen maximalen durchschnittlichen Beitragssatz garantiert, seien die Treffen „nicht mehr nötig“. Was Gespräche zwischen Sozialpartnern und Regierung zum Thema natürlich nicht verhindere.
UEL und Regierung sind demnach beide ganz zufrieden mit der „Reisegeschwindigkeit“, die die Mutualität ereicht hat. Und die Zuwendungen aus der Staatskasse an sie nehmen stetig zu: Sollten sie 2016 so hoch sein, dass der Durchschnitts-Beitragssatz nicht über zwei Prozent stiege, wurde das Maximum ab 2017 auf 1,95 Prozent festgelegt. Demnächst sollen 1,85 Prozent gelten. Dafür sorgt ein Kostenaustausch zwischen Staat und CNS, durch welchen den Unternehmen dieselben 25 Millionen Euro aus den Überschüssen der CNS zugute kommen sollen, wie sie die Krankenversicherten in Form von Leistungsverbesserungen beim Zahnarzt oder beim Optiker erhalten. Die jährlichen Zuwendungen an die Mutualität könnte damit 110 Millionen Euro ereichen. Bei erwarteten Ausgaben von 409 Millionen dieses Jahr wäre die 80-Prozent-Rückzahlung der Lohnfortzahlung dann zu rund einem Fünftel fiskalisiert.
Was davon zu halten ist? Vielleicht dies: Die Tripartite hatte 2006 vereinbart, das Einheitsstatut müsse „gesamtwirtschaftlich kostenneutral“ bleiben. Was genau das heißen soll, hat noch niemand geklärt. Die Unternehmer forderten angesichts der Abmachung zunächst Maßnahmen gegen das Krankfeiern, danach finanzielle Garantien für die Mutualität. Die Regierung scheint darunter Kompensation als Politikersatz zu verstehen. Solange genug Geld zur Verfügung steht, hat keine der beiden Seiten echtes Interesse daran, sich mit dem Krankenstand zu befassen.