Mit 40 Jahren und erst einer Legislaturperiode Regierungserfahrung ist Carole Dieschbourg noch immer eine junge Ministerin. Doch sie hat es geschafft, die Umweltpolitik nicht nur mehr ins Gespräch zu bringen, als sie das früher war, und einige Veränderungen anzuschieben. Sie hat auch demonstriert, wie das sein kann, wenn eine Umweltministerin ihre Rolle offensiver spielt: Anwältin der Umwelt zu sein, sich dafür auch öffentlich zu schlagen und dabei offenbar sogar mit der Koalitionsdisziplin zu brechen. Sie tat das, als es um die Ansiedlung der Steinwollefabrik der Firma Knauf ging und der Joghurtfabrik des griechischen Herstellers Fage. Anfang dieses Jahres war das, ein Dreiviertaljahr vor den Wahlen.
Eigentlich ist so viel Offensive nicht ihre Sache. Diskussionen mag sie, sogar sehr, sich argumentativ zu prügeln, stört sie nicht. Aber sie sieht lieber alle Kontrahenten an einem Tisch versammelt und guten Willens miteinander streiten – immer inhaltlich. Für manche ihrer Kabinettskollegen ist Politik ein Boxkampf. Für sie nicht.
Das hat nichts damit zu tun, dass sie als Quereinsteigerin in ihr Amt kam, ohne Parlaments-Erfahrung. Eher mit Politisierung, wenn man so will, auf dem Lande, über ihre umweltbewegten Eltern, später im Mouvement écologique. Carole Dieschbourg verkörpert eine bodenständig-rurale Vernunft, ist dabei sehr belesen und verfügt als Historikerin und Germanistin, die obendrein in Deutschland die Lehrbefähigung an Gymnasien erwarb, über einen weiten Horizont. Strategisch begabt ist sie auch, Taktieren mag sie viel weniger.
Als die Grünen nach den Wahlen vom Oktober 2013 entschieden, sie zur Umweltministerin zu machen, des Regionalproporzes und des Geschlechteranteils wegen, aber auch aus der strategischen Überlegung, eine junge Ost-Politikerin in einem Regierungsamt aufzubauen, waren in Umweltschützerkreisen nicht wenige besorgt. Sie fürchteten, die unerfahrene Echternacherin, die 2011 Gemeinderätin geworden war, werde in ihrem Amt verbrannt. Von null auf hundert zu beschleunigen, obendrein in einem Ressort, das nicht nur für die grüne Bewegung eine Schlüssel-bedeutung hat, sondern in dem die Ministerin oder der Minister so vielen Partikularinteressen gegenübersteht wie kaum ein anderer Ressortchef, wo von Grundstücksbesitzern über Bau-Promoteuren und Landwirten bis hin zu Industriellen „Auflagen“ erteilt werden könnten – das wurde Carole Dieschbourg nicht zugetraut. Und es wäre auch schiefgegangen ohne die Abmachung mit Camille Gira, im Nachhaltigkeits- und Infrastrukturministerium als Staatssekretär zu fungieren. Einerseits als Bindeglied zwischen den vier großen Ressorts des Superministeriums im Héichhaus, andererseits und vor allem als Coach für Carole Dieschbourg. „Mein Vorbild, meinen Lehrmeister und Mentor“ nennt sie ihn noch heute immer wieder.
Mit der DP-LSAP-Grüne-Koalitionsregierung wurde 2013 nicht nur das Umweltressort aufgewertet und mit einem eigenständigen Ministeramt versehen, während es unter CSV-Regie ab 2009 nur von Claude Wiseler an Marco Schank „delegiert“ war. Dieschbourg und Gira standen auch vor einem Berg an Herausforderungen und seit langem Unerledigten. Zwar fallen wichtige umweltpolitische Richtungsentscheidungen auf EU-Ebene. Grenzwerte für Luft- und Wasserqualität stehen in EU-Verordnungen, die Lastenteilung zwischen den Mitgliedstaaten zum Abbau der Treibhausgasemissionen wird in einer Richtlinie festgeschrieben. Wege zur Erreichung bestimmter Umweltziele gibt die EU ebenfalls vor – wie in der Wasser-Rahmenrichtlinie den zur Herstellung eines „guten“ Zustands der Oberflächengewässer oder in Artenschutz-Richtlinien den zum Stopp des Verlusts an Biodiversität. Doch die Umsetzung daheim ist Sache der Mitgliedstaaten, dort können auch Gesetze nicht ausreichend sein. Damit etwas geschieht, braucht es Aktionspläne, Finanzierungsinsrumente und am besten die freiwillige Mitarbeit der von den Politiken Betroffenen.
Vor allem das Bemühen um Letztere prägte die Arbeit des Umweltministeriums stark. Eigentlich ist Carole Dieschbourg da in ihrem Element. Zur Politik kam sie vergleichweise spät – 2008, als 31-Jährige, entschied sie, 2009 auf der Ost-Liste der Grünen zu kandidieren –, hatte ab 2005 im Leader-Büro Müllerthal versucht, regionale Landwirte, Gastro-nomen und Tourismusbetriebe in Initiativen zu vernetzen, die die Landwirtschaft umweltverträglicher machen, Lebensmittel vermarkten helfen, die Gastronomie um innovative Konzepte bereichern und so unter anderem den Tourismus ankurbeln sollten. Diesen bodenständig-ruralen Ansatz, der auch Teil ihrer Vita ist, setzte sie als Ministerin ein bei Diskussionen mit Landwirten um den Schutz von Biotopen oder von Trinkwasserquellen. Diese Konflikte sind mittlerweile legendär, die Probleme, die mit ihnen zusammenhängen, sind es auch: Luxemburg könnte nach 2020 eine Klage vor dem EU-Gerichtshof riskieren, wenn der Artenschwund anhält. Schon 2014 befand Luxemburg sich in einem „vorgerichtlichen Verfahren“ mit der EU-Kommission wegen der Zunahme der Habitate in „schlechtem“ oder „unangemessenem“ Zustand.
Oder der Wasserschutz: 2013 bestand ein einziges Trinkwasserschutzgebiet, das um den Stausee, seit 1961. Um die 300 Trinkwasserquellen galten nur provisorische Schutzzonen, in denen lediglich empfohlen wurde, was dort gebaut oder wie dort produziert werden könnte. Unter der CSV-LSAP-Regierung wurde 2012 eine Rahmenverordnung auf den Weg gebracht, Schutzzonen-Reglements für jedes einzelne Quellgebiet aufzustellen, wurde der aktuellen Regierung vermacht. So gesehen, ist es ziemlich epochal, dass Ministerin und Staatssekretär in diesen Schutzfragen den Ausgleich etwa mit den Bauern zu schaffen – wobei sie mitunter wie ein Duo „Good cop, bad cop“ auftraten, Gira provozierte und Dieschbourg danach das Gespräch anbot.
Wäre es alleine nach ihnen gegangen, hätte das „ökologische Umsteuern“ aber viel weiter gereicht. Etwa hin zu einer Landwirtschaft, die dem Zwang, in einem Land mit hohem Einkommensniveau hohe Erträge zu erzielen, entginge, indem am besten jeder Betrieb auf Bio umgeschwenkt wäre und in dieser Qualitätsnische, obendrein „Made in Luxembourg“ an höheren Preisen mehr verdient hätte.
Argumentieren kann Carole Dieschbourg dafür gut. Die Zeiten sind vorbei, als sie den Medien gegenüber unsicher war und ihr Mentor Gira, war er zugegen, die Dinge rasch auf den Punkt brachte, den die Ministerin auch in einem minutenlangen Redeschwall nicht traf. Heute ist es eher so, dass sie ihre Anliegen in deren ganzer Komplexität vorträgt. Als „Dossier-Mensch“ geht sie in keine Verhandlung, ohne die Hintergründe zu kennen, sich von ihren Experten im Ministerium über Details briefen zu lassen. Dieschbourg lädt dazu ein, sich mit dem auseinanderzusetzen, was sie will. Das Problem ist freilich, dass worauf sie letzten Endes hinauswill, wenngleich keiner Utopie, aber einem Paradigmenwechsel im wahrsten Sinne des Wortes gleichkäme.
Überwiegend sind es kleine Schritte, die sie veranlassen konnte. Daran liegt es wohl auch, dass ihr Ministerium sehr stark auf eine positive Kommunikation setzt, auf ein parmanentes „Mir packen dat!“. So manchen Umweltschützern reicht das nicht, sie hätten lieber gesehen, dass die Ministerin offensiver agiert hätte, ähnlich offensiv wie gegenüber den Vorhaben Fage und Knauf.
Das aber wäre einer politischen Kulturrevolution in Luxemburg gleichgekommen. Man sieht das daran, dass nicht nur der Wirtschaftsminister, sondern auch der Premier es Carole Dieschbourg – und François Bausch – verübeln, öffentlich gegen die Ansiedlungspläne von Steinwolle- und Jorghuertfabrik aufgetreten zu sein. Was aber auch andeutet, wie schwierig der Stand der Umweltministerin – auch mit Staatssekretär und dem ebenfalls erfahrenen François Bausch in der Nähe – im Kabinett sein muss. Die Naturschutz- und Wasserschutzbemühungen Dieschbourgs und Giras setzten den DP-Landwirtschaftsminister unter Druck. Hatte Fernand Etgen ein Jahr nach seinem Amtsantrit selber noch vom „ökologischen Paradigmenwechsel“ gesprochen, ist er heute eher der Minister, den die CSV-nahe Bauernzentrale vor drei Jahren lautstark einforderte und der „dem Beruf nichts vorschreiben“ will.
Das Verhältnis zwischen Dieschbourg und Etgen ist entsprechend delikat. Weil sie für ihre Politik seine Unterstützung nötiger braucht als er ihren Beistand für seine, übergeht die Umweltministerin den Landwirtschaftsminister ungern, mögen Umweltschützer auch oft das Gegenteil erwarten. Manchmal tut sie es doch: Das vergangene Woche vorgestellte Projekt SustEATable, eine „integrierte Analyse von Ernährungsmustern und landwirtschaftlichen Praktiken für nachhaltige Ernährungssysteme in Luxemburg“, an dem auch die Œuvre Grande-Duchesse Charlotte beteiligt ist, lässt Dieschbourg bezuschussen, nachdem Etgen abgewinkt hatte.
Die Kräfteverhältnisse innerhalb der Koalition beeinflussten auch die Reform des Naturschutzgesetzes: Kompensationen für durch Bauten beeinträchtigte Habitate sollen künftig nur noch auf öffentlichen Flächen erfolgen, die in einem „Pool“ gesammelt werden und wo der Ausgleich ökologisch besonders sinnvoll ist. Promoteure können dann keine ökologisch wertvollen Flächen mehr aufkaufen, um auf ihnen zu kompensieren – was auch implizit verhindern soll, dass der Landwirtschaft wertvolle Böden verloren gehen. Doch Dieschbourg und Gira mussten hinnehmen, dass die Flächenpool-Regelung erst nach sieben Jahren Übergangszeit wirksam wird, so lange können Promoteure sich durch Einzahlung in einen Topf „freikaufen“, aus dem der Staat die Flächen zur Kompensation erwirbt. Der Mouvement écologique war im Frühjahr entsetzt – drei Jahre hätten gereicht, meinte er. Dieschbourg und Gira fanden das auch, waren aber damit nicht durchgekommen damit, denn Innenminister Dan Kersch (LSAP) meinte, das könnte Bauten verzögern.
Auch ob die Regierung ihrer Nachfolgerin noch einen Entwurf für einen Klimaschutz-Aktionsplan zur Erreichung des 40-Prozent-Reduktionsziels bis 2030 vermacht, ist nicht so sicher. Beim Pariser Klimagipfel Ende 2015 hatte Dieschbourg als Ratspräsidentin der Umweltminister die EU-Position koordiniert – und wurde international gelobt dafür, der Korrespondent des Spiegel war regelrecht beeindruckt. Aber so geschickt sie dort Allianzen schmiedete, Nächte in Verhandlungen verbrachte und immer wieder sagte, Klimaschutz sei auch eine „Chance“, etwa für Innovationen in der Wirtschaft, so ungewiss ist es, ob daheim kurz vor den Wahlen die Koalitionspartner sich noch auf etwas festlegen, was wesentlich von der grünen Umweltministerin inspiriert ist. Zumal sie schon vor zwei Jahren versprochen hatte, dieser Aktiopsplan werde viel klarer und ambitionierter als seine beiden Vorläufer. Der Widerstand ist am Ende vielleicht auch ein Hinweis darauf, wie gut es Carole Dieschbourg verstanden hat, der Umweltpolitik Kontur und Gesicht zu geben.