Pol Sax ist ein denkbar umgänglicher Mensch. Kaum jemand, der so unkompliziert und frei von Vorurteilen an neue Begegnungen herangeht, der Persönlichkeit und Arbeit so problemlos zu trennen scheint und aus unterschiedlichen künstlerischen wie politischen Überzeugungen keinen Gegengrund konstruiert, gemeinsam mit jemandem ein paar Biere zu trinken.
Zunächst könnte es einen also wundern, wenn sich ausgerechnet dieser herzliche, offene und humorvolle Pol Sax sträubt, Gegenstand eines Zeitungsartikels zu werden und Auskunft über seine Arbeit und sein neues Manuskript zu geben. Ob man sich nicht erst einmal ein Getränk bestellen solle. Und welches. Da steht dann ganz schnell der Vorschlag im Raum, der Artikel könne doch auch davon handeln, wie wir zum Angeln an den Stausee fahren (wisse ja niemand), was aber gleich an der Unfähigkeit von einem von uns (nicht Pol Sax) scheitert, wenigstens oberflächliche Angelkenntnisse vorzutäuschen.
Nicht dass er den noch unfertigen Text geheimhalten wollte, im Gegenteil. Am 8. Juni liest er einen Auszug daraus im Kasemattentheater vor, ein seltsam feierlicher Blickfang in der kargen Betonkulisse, in dunklem Dreiteiler und mit blitzenden Manschettenknöpfen. Es sitzen einige Schüler im Publikum; sie haben Pol Sax’ Roman U5 im Deutschunterricht behandelt. Gerne lässt sich der seit 2001 in Berlin lebende Autor auch für Berlinausflüge von Schulen einspannen. Dass der Verlag längst Unterrichtsmaterialien vorbereitet, verschweigt er. Er habe das für nicht so wichtig gehalten, meint er auf die spätere Nachfrage dazu. Das ist keine Koketterie. Pol Sax ist nicht verschlossen, auch nicht, wenn es um seine Arbeit geht, aber er stellt sich in seiner Eigenschaft als Autor nicht gerne aus. Künstlergetue ist ihm fremd. Was wirklich und nahezu kompromisslos für ihn zählt, ist der Text.
Seit ungefähr drei Jahren arbeite er an dem neuen Manuskript, wie er verrät. Das Figurenensemble positioniert sich in einem perspektivisch angelegten Berlin-Roman, der teilweise auch in Luxemburg spielt. Ausgangspunkt sei eigentlich eine Überlegung über Bilder gewesen: medial verbreitete Bilder, aber auch Stadtbilder, Erinnerungsbilder und die Frage, wer diese Bilder entziffern kann. Eigentlich solle es ein „politisches Buch“ werden, sagt Pol Sax, es gehe um Bilder im öffentlichen Raum und um die Frage, wem der öffentliche Raum gehört. Thema ist letztlich die Monopolisierung eines nur so genannten öffentlichen Raums, der eben nicht für jeden zugänglich sei. Wie genau die einzelnen Schicksale, zum Beispiel das des alten Ehepaars Thill, das des von Ratten geplagten Hausmeisters Heinz Jerowsky, das der attraktiven Sekretärin Betti und das von Karl Lagerfeld, dem „Lehrling mit dem lustigen Namen“, mit diesem Thema und untereinander zusammenhängen, ist für den Außenstehenden noch nicht ersichtlich. Das mache nichts, versichert der Autor, der Text durchlaufe ohnehin noch so viele Arbeitsphasen, dass gar nicht feststehe, in welchem Umfang der fertige Roman in ein paar Jahren (auf genauere Schätzungen lässt er sich nicht ein) dem jetzigen Manuskript gleiche.
Einiges versucht er, diesmal anders zu machen, sagt Pol Sax. Er wolle freier schreiben, weniger mit literarischen Anspielungen arbeiten als noch bei U5, der von Anfang an stark auf intertextuelle Verweise angelegt war. Sagt’s und schränkt gleich ein: Die Figur Alice Thill ist zum Teil an Alice Murawski angelehnt, die Frau von Arno Schmidt. Pol Sax ohne literarische Querverweise – in der Tat schwer vorstellbar. Das „Spiel mit den literarischen Vorlagen“ hatte er sogar zum Thema seiner Rede bei der Entgegennahme des Prix Servais gemacht und dort schon gesagt, was er im Gespräch noch einmal bekräftigt: Literarische Bezüge können zusätzliche Bedeutungsebenen schaffen; sie bereichern den Text1. Worauf es aber am Ende ankomme (das ist ein regelrechtes Herzensthema des Autors), sei, dem Leser das Leben nicht unnötig zu erschweren. „Verschlüsseln ist immer einfach“, sagt Pol Sax, „aber wer will schon einen Text schreiben, den niemand versteht?“
Auch das habe sich vielleicht seit U5 verändert: Er denke seither beim Schreiben mehr an den Leser, achte verstärkt darauf, dass er über dem, was er sagen wolle, den Leser nicht aus dem Blick verliere. Pol Sax sieht diesen Punkt ganz pragmatisch: „Man schreibt, weil man gelesen werden will.“
Dass der Leser noch lange auf den nächsten Sax-Roman warten muss – bei einer nicht kontinuierlichen Arbeitsweise des Autors und den vielen sorgfältigen Überarbeitungsschritten, die er einplant, bevor das Manuskript an den Verlag gehen kann (wo natürlich noch einmal Überarbeitungen anfallen) –, sollte nicht allzu missmutig stimmen. Ein kleines, überaus erheiterndes Projekt hat Pol Sax soeben abgeschlossen. Ungewöhnlich für den bekennenden Verabscheuer hermetischer Lyrik: Es handelt sich dabei um eine Sammlung von Gedichten. Titel: Nutten und Koks. Soviel darf man vorab verraten, verschlüsselt ist da herzlich wenig.