Wer seine Verwunderung darüber nie ganz losgeworden ist, dass sich kalte Reispampe mit rohem Fisch innerhalb weniger Jahre zum ungefähr größten kulinarischen Trend seit der Erfindung der Pizza entwickeln konnte, wird sich über dieses Buch freuen: Unter dem Titel Rotes Gold lässt Tom Hillenbrand den Koch Xavier Kieffer, seinen Ermittler wider Willen, zum zweiten Mal in die Untiefen der Lebensmittelproduktion hin[-]absteigen um von dort allerlei unappetitliche Wahrheiten über unser täglich Brot ans Licht zu fördern. So wie bei Xavier Kieffers erstem Fall (Teufelsfrucht) enthält der neue Roman alle Zutaten, die den Luxemburger Leser zum Kauf anregen: Kochen, Krimi, Lokalkolorit. Das Buch wird also sicher ein Hit.
Kieffer ist auch im zweiten „kulinarischen Krimi“ Besitzer eines kleinen Restaurants in Luxemburg. Er zieht die einfache regionale Küche zwar der Sterneküche vor, in der er in jüngeren Jahren gearbeitet hat, bewegt sich vor allem dank seiner Freundin aber durchaus noch in den Kreisen kulinarischer Höchstleistungen. Seine Valérie ist nämlich die Herausgeberin des sogenannten Guide Gabin, des Restaurantführers, der in Hillenbrands Romanwelt die begehrten Sterne vergibt. Ihr Einfluss verschafft Kieffer die Einladung zu einem Galadiner im Musée d’Orsay, wo ein berühmter Sushikoch inmitten impressionistischer Gemälde ein exquisites Menü für den Pariser Bürgermeister und seine Gäste zaubern soll. Doch weiter als die Vorspeise kommt der japanische Starkoch nicht. Vor aller Augen kippt er um und stirbt wenig später in der Notaufnahme.
An die Theorie, der als wahrer Meister seines Fachs geltende Mann habe sich versehentlich an einem Stück Oktopus vergiftet, glaubt Kieffer nicht. Er beginnt, auf eigene Faust zu recherchieren, und wird sich bald der Tragweite des tragischen Vorfalls bewusst: Es geht um Über[-]fischung und zwielichtige Millionengeschäfte mit hormonell hochgezüchteten Fischen, um einen Markt, der der ständig steigenden Nachfrage nach Thunfisch nur noch durch die Inkaufnahme verheerender Folgen nachkommen kann.
In seinem zweiten Roman bemüht sich Hillenbrand sichtlich, nicht der gleichen überschwänglichen Metaphorik zu verfallen, die Xavier Kieffers erstem Fall teilweise einen (offenbar unbeabsichtigten) komödiantischen Anstrich verliehen hatte. Einerseits lässt sich in Rotes Gold zwar immer noch die eine oder andere überzogene Paraphrase finden (etwa bei: „in einem aus allen Nähten dampfenden Smoking“ für „verschwitzt“). Andererseits stellen in einem Genre, das vornehmlich der Unterhaltung verpflichtet ist, gelegentliche Lacher eigentlich kein unerwünschtes Nebenprodukt dar. Vom reinen Unterhaltungswert abgesehen, ist auch das Thema dieses zweiten Krimis gut gewählt: Solange bedenkenlos gegessen wird, was auf den Tisch kommt, bestehen die wahren Schocker in diesen „kulinarischen Krimis“ nicht in den Beschreibungen von Morden an fiktiven Personen, sondern in den zahlreichen Widerwärtigkeiten, die die ganz reale Lebensmittelindustrie Tag für Tag an ahnungslose Kunden weiterreicht. Man würde glatt wetten, dass sich kein Leser dieses Buches jemals wieder Billigsushi zu Leibe führen wird. So könnten sich Hillenbrands Krimis angesichts der Kochbuch-Manie der Luxemburger sogar als eine Art Korrektiv erweisen, als Erinnerung nämlich, dass sich Gewissensfragen bei der Nahrungszufuhr nicht ausschließlich am Hüftumfang des Gourmets orientieren sollten.
Wo sich der Autor mit der Facette „Kochen“ auf überzeugende und anregende Weise auseinandersetzt, gerät die Facette „Krimi“ teilweise doch ein wenig aus dem Blick. Einerseits scheint sich Hillenbrand zu sehr auf die Grundlage zu verlassen, die er mit dem ersten Roman gelegt hat: Auf die psychologische Entwicklung seiner Figuren legt er im Nachfolgewerk wenig Wert. Das hat unter anderem zur Folge, dass die emotionalen Reaktionen seiner Figuren manchmal etwas schwach oder klischeehaft ausfallen. Wenn sich der Leser noch für ein paar weitere Fälle von Xavier Kieffer interessieren soll, wäre es bestimmt ratsam, ihm den Protagonisten menschlich noch etwas näher zu bringen. Auch in der Kategorie „Lokalkolorit“ gäbe es noch einigen Verbesserungsbedarf, wenn auch dem deutschen Leser Fehler in den luxemburgischen Sätzchen und Redewendungen, die das Buch spicken, kaum auffallen dürften (zum Beispiel „Du bass en raffi[-]néierte Hond“, S. 344).
Schön wäre außerdem, wenn der Autor den Leser darüber aufklären würde, wie es dazu kommt, dass ein Gourmet wie Xavier Kieffer zum Kettenraucher von Ducal-Zigaretten geworden ist. Seine Freundin verschmäht die Dinger mit den Worten: „Die rauche ich erst, wenn Gauloises pleitegeht.“ Wer beim luxemburgischen Riesling Hanglagen unterscheiden kann, sollte sich beim Tobak doch wahrlich nicht lumpen lassen.