Hier hat ein Autor seinen Verlag gefunden: In seinem neuen Buch Wéi Dag an Nuecht, das vor wenigen Wochen bei Ultimomondo erschienen ist und drei längere Erzählungen enthält, beschäftigt sich Jean Back mit Figuren, die sich abseits der sogenannten „Mitte“ der Gesellschaft bewegen, mit Außenseitern und Randstehern, die sich aus dem allgemeinen Fokus heraushalten.
In Den Dauschtert berichtet ein Ich-Erzähler von der Begegnung mit einem seltsamen Spaziergänger namens Johnny Dauschtert, der ihm von den Zusammenkünften einiger Rentner in einem abgelegenen Bunker in der Nähe von Düdelingen erzählt. Die Männer verabredeten sich zum Kartenspiel, alberten herum und übten sich danach im Schießen. Dauschtert präpariere die Ziele: ausgediente Pfannen, Frisbees, sogar Fahrradklingeln. Der Erzähler traut seinen Ohren kaum. Alte Männer, die mutwillig in den Wald hinein ballern? Dauschtert, der den Erzähler alsbald loswerden will, damit dieser das Beisammensein der Rentner nicht stört, muss zugeben, dass er beim Zustandebringen der erstaunlichen Trefferquote seine Finger im Spiel hat. „Iergendwou musse se jo awer treffen“ (S. 22), wendet das Erzähler-Ich noch ein, aber von diesen Bedenken will Dauschtert nichts wissen. Dass das Gefummel mit den Waffen doch nicht so unschuldig und harmlos ist, wie es die Zufallsbekanntschaft darstellt, erweist sich erst später, als die abgeschottete, durch die Täuschungen von Dauschtert zusammengehaltene Außenseiterwelt der Rentner mit der Wirklichkeit des Erzählers kollidiert.
Da er sich damit begnügen muss, diesem Erzähler im Verlauf der Geschichte über die Schulter zu schauen, erfährt auch der Leser von dem, was sich in dem verlassenen Bunker abspielt, nur vermittelt. Auch er darf nicht dabei zusehen, wie es dort wirklich zugeht; er kennt nur das über den Erzähler tradierte Gespräch mit dem fremden Wanderer. Auf diese Weise wird der Leser aus allen drei Geschichten herausgehalten, ähnlich wie die Figuren, die den Mittelpunkt der Handlung dieser Geschichten bilden, immer in gewissem Sinn randständig bleiben: sei es, dass sie nur über das Hörensagen in die Erzählung integriert werden wie in dieser ersten Erzählung, dass sie zu einem Fußballspiel nach Lettland fahren und später von ihren Erlebnissen berichten (Dohanne ware mer doheem) oder dass sie sich aus dem Tageslicht in einen einsamen Job als Nachtwächter eines Warenlagers zurückziehen, wie der Protagonist in Nuetsschicht, der letzten, umfangreichsten Erzählung des Bandes.
Einerseits ist dieses Verfahren, die Randständigkeit der Figuren in der Randständigkeit des Lesers zu spiegeln, ein schöner Einfall, der von literarischem Anspruch und durchdachter Komposition zeugt. Andererseits leidet der Unterhaltungswert der Geschichten darunter, dass der Leser selten direkt und dann auch meist nur durch kurze Einsprengsel mit den rein erzählerischen Passagen der Handlung konfrontiert wird. Vielleicht war es dieser Mangel an direkter Handlung, die den Autor dazu bewogen hat, das, was der Leser (bzw. die Figuren) nicht unmittelbar erfahren, durch zahlreiche Dialogpartien einzuholen und so zu beleben. Dieser Theatertrick, Handlung mehr herbeizureden als sie tatsächlich zu zeigen, geht leider nicht ganz auf.
Insbesondere bei der Lektüre von Nuetsschicht wird auch ein aufmerksamer Leser trotz Vorwort und Synopsis einige Schwierigkeiten dabei haben, eine zusammenhängende Handlung aus den Gesprächen zu destillieren, die die Hauptfigur wahlweise mit ihrem Schatten und mit erinnerten Weggefährten führt. Das „Durcheinander im Kopf von Jongchen Weber“ (vgl. S. 41) wird unversehens zum erzählerischen Durcheinander. Auch diesen Effekt kann man als literarische Verzahnung von Form und Inhalt werten und schätzen. Ob das Interesse an solchen literarischen Makrostrukturen ausreicht, den Leser bei der Stange zu halten, ist letztlich sicher Geschmackssache. Immerhin könnte dem Autor zu denken geben, dass nicht zuletzt sein Verleger wieder und wieder beweist, dass man ernsten Themen mit Humor und Witz ihre Dringlichkeit nicht zwangsläufig entzieht.