Félix Thyes, der 24-jährige Vater der Luxemburger Literaturgeschichte, bescheinigte 1854 in seinem Essai sur la poésie luxembourgeoise „la tournure satirique de l’esprit luxembourgeois. Nous avons indiqué ses manifestations informes dans les chansons populaires ; nous avons ensuite montré comment cette satire, chez M. Meyer, se présente sous la forme du scepticisme philosophique. La satire politique proprement dite devait nécessairement se montrer dès que la littérature aurait acquis une certaine extension“ (Revue trimestrielle, Bd.1, S. 165).
Die Bedeutung der Satire in der Literatur und ihre „erstaunliche Bandbreite“ (Katalog, S. 9) will das Merscher Literaturzentrum mit seiner neuen Ausstellung Vum Eilespill an anere Kregéiler unterstreichen. Allerdings bleibt es die Erklärung schuldig, weshalb die Satire eine so große Rolle in der heimischen Literatur spielt. Ist es der verzweifelte Spott der Ohnmächtigen, der Aufstand gegen den klerikalen Provinzialismus; sind die strenge soziale Kontrolle in den engen Verhältnissen, die Einäugigkeit der Parteipresse oder die Lächerlichkeit der Kleinstadtnotabeln Schuld?
Die Ausstellung nähert sich dem Thema mit einigen Beispielen bevorzugter Objekte der Satire und versammelt nicht nur satirische Texte, sondern auch Quellenmaterial und Reaktionen dazu. Dabei interessiert sie sich vor allem für politisch und kulturell spannende Epochenwenden, wie die Zeit um die Revolution von 1848, die Jahre zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg und den Aufbruch nach 1968.
Den Anfang machen satirische Texte über die Kirche und vor allem den Klerus, von Dicks’ Spottgedicht Rororo auf die Teufelsaustreibung durch Bischof Laurent 1842 über den 1872 in Michel Rodanges Renert verewigten pädophilen Marnacher Pfarrer Pierre Frieden bis zum wegen des Papstbesuchs 1985 im Kapuzinertheater verbotenen Theaterstück Härgottskanner von Josiane Kartheiser. Unberücksichtigt bleibt die um die Satire hoch verdiente Mutter Maria Dominika Klara Moes vom Heiligen Kreuz, kurz Clara Wupp.
Ein zweiter Ausstellungssaal ist satirischen Texten über die Monarchie gewidmet. Das Literaturzentrum scheint keine antimonarchistische Satire aus dem 19. Jahrhundert gefunden zu haben. Doch auch in der Zeit danach wurde, bis auf seltene Ausnahmen, eher der Spott mit dem Jubelvolk am Nationalfeiertag, als mit der Monarchie oder den Monarchen getrieben. Erst nach 1968 wagten Guy Rewenig oder Mars Klein, die Landesfürsten lächerlich zu machen. Breiter Raum wird Norbert Jacques’ entrüstet bekämpfter Limburger Flöte von 1927/29 eingeräumt, aber in Wirklichkeit handelt es sich eher um eine Abrechnung mit dem Luxemburger Provinzialismus als mit seiner Staatsform.
Doch Gesellschaftssatire behandelt die Ausstellung als ein Kapitel für sich. Hervorgehoben werden Eugène Formans 1907 bis 1908 in Floréal veröffentlichter Fortsetzungsroman Puckis Erdenfahrt über des ins Großherzogtum gefallenen Teufels Sohn, den heute sehr brav erscheinenden Filmessay Stille Tage in Luxemburg von Roger Manderscheid, der 1973 für Aufregung gesorgt hatte, und wieder einmal Klein und Rewenig.
Ein eigener, vielleicht der interessanteste Saal ist der politischen Satire gewidmet. Entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis ist Satire längst nicht immer aufgeklärt und fortschrittlich. Dicks’ als Inkunabel der poltischen Satire ausgestelltes Vulleparlament am Grengewald ist eine antidemokratische Kritik am aus der Revolution von 1848 hervorgegangenen Parlament. Große Teile der satirischen Presse und die jährliche Revue des Lëtze[-]buerger Theater beschränken sich auf Antiparlamentarismus und Schwiegermutterwitze oder machen öfter das gemeine Volk lächerlich als die herrschenden Kreise. Andererseits verweist die Ausstellung auf die nicht nur in Echternach florierende Karnevalbewegung eines demokratisch gesinnten Bürgertums nach 1848, die Kabarettszene um den Ersten Weltkrieg und auf engagierte Autoren nach 1968, wie Jhemp Hoscheit oder Josy Braun, beide Zeitgenossen des erstaunlichen Freizeitsatirikers und Polizeikommissars Pol Pütz.
Abschließend wird am Beispiel literarischer Formen und emblematischer Figuren, wie Renert oder Eulenspiegel, die Funktionsweise der Satire illustriert. Wobei man einige Klassiker der literarischen Satire vermissen kann, etwa Joseph Tockerts „Goldbücher“ von 1917 und 1921. Aber das war früher, als Satire gegen das postmoderne Anything goes noch geholfen hat.
Die Ausstellung zeigt eine Reihe interessanter Beispiele satirischer Literatur, hebt aber keine unbekannten Schätze, etwa aus anderthalb Jahrhunderten satirischer Presse. Immerhin muss man ihr hoch anrechnen, dass sie auf die übliche Peinlichkeit verzichtet, selbst witzig sein zu wollen.