Anachronistisch. Synchronistisch. Was sind Gleichklang, Gleichschritt, Gleichtanz, wenn es um Selbstbehauptung, Identität und Individualität geht, dem Trend der Zeit entsprechend jedoch nur eine Richtung in Mode, Kunst und Kultur gibt? Die Wechselbeziehung zwischen Masse und Einzelnem verlangt nach einer Synchronisierung der Stile, der Haltungen und Schritte, was die deutsch-luxemburgische Tänzerin und Choreografin Anne-Mareike Hess in ihrem jüngsten Projekt Synchronization in Process in Szene setzt. Anfang November feierte die Tanz-Performance ihre Premiere in der Banannefabrik in Luxemburg, am vergangenen Wochenende gastierte sie in Berlin, bevor sie am nächsten Wochenende in Stockholm zu sehen sein wird.
Das Setting der Performance ist rasch zusammengefasst: Drei Tänzerinnen spielen mit Gleichschritt und Synchronisation auf der einen Seite, so es denn eine Seite gibt, sowie mit dem Ausbruch aus der Gleichmacherei auf der anderen. Dieses Wechselspiel geschieht in einem Setting von Licht, Sound und Tanz. Tänzerische Bewegungsimpulse, die von einer der Darstellerinnen ausgehen, von den übrigen aufgenommen, ausgeführt, weitergeführt werden, bis es zu einem kurzen Moment der Synchronität zwischen Musik, Licht und Bewegung kommt. Ein Augenblick nur, der schnell wieder vergeht, aufgebrochen wird, in dem eine Komponente des Tanzes scheinbar aus dem Takt gerät und ein Eigenleben, eine Individualität sucht, um schnellstmöglich, mehr oder weniger direkt, umgehend nach Eigenständigkeit zu suchen. Sei es das Licht, die Musik oder eine der Tänzerinnen.
„Mit Synchronisation verbinden wir bisweilen Begriffe wie Angleichung, Anpassung und vielleicht gar Verlust von Individualität. Dabei unterstreicht dieses Wort auch die Differenz und Eigenheit zwischen Dingen und die Spannung, die durch ein Miteinander entsteht“, erklärt Anne-Mareike Hess ihre Arbeit. Die Idee, dass durch Differenz Gemeinsamkeit geschaffen werde, ist eine Quintessenz der Performance. Ultimative Synchronisation sei aber Utopie, und so bleibe nur die Möglichkeit es immer wieder zu versuchen. „Und in diesem steten Versuch – dem Prozess der Synchronisation – liegt so viel Menschlichkeit“, was Hess fasziniert. Die Abgrenzung des Einzelnen in Zeiten von bewegenden Massen und massigen Bewegungen ist ein schweres Unterfangen. Der Wunsch nach Individualität jedoch ist sehr viel größer, als gehe er mit einer direkten Form der Selbstbehauptung und Selbstbestätigung einher, was oft in eine Selbstdarstellung mündet. Es ist ein stetes Wechselspiel zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft.
Die Performance wirkte bei ihrem Gastspiel in Berlin in manchen Takten wie das Zucken der Lebenden und der Toten. Starre Gestik, aufgerissene Münder, tiefschwarze Ringe unter den Augen, blasses Make-up. Sie erschien wie ein Totentanz oder der letzte Diskofox des Todes. So er denn Diskofox kann. Hess nennt das den „Cranky Move“, eine Bewegungssprache, die sie selbst entwickelt hat. „Der Cranky Move ist sowohl Bewegungsvokabular als auch Zustand: Er basiert auf der Idee, im eigenen Körper fremd zu sein und eine Distanz zu sich selber und seiner Umwelt zu haben“, erklärt die Choreografin. Alles müsse neu entdeckt und gelernt werden. „Der Cranky Move versetzt die Tänzer in einen sehr sinnlichen, puren Zustand.“ Sie habe diese Bewegungssprache entwickelt, weil sie den Körpern auf der Bühne etwas fremdes und bizarres, beinahe groteskes verleihen und gleichzeitig ihre Menschlichkeit und Emotionalität unterstreichen möchte. Das allerdings gelingt nicht immer, bleibt manchmal auf der Stecke oder im Ansatz stecken. Der tänzerische Grat zwischen Farce und Vollendung ist schmal.
In manchen Passagen ist die Performance von Anne-Mareike Hess, die im vergangenen Jahr mit dem luxemburgischen Danzpräis ausgezeichnet wurde, eindrucksvoll. Etwa dann, wenn sie mit ihren beiden Mit-Tänzerinnen synchronisiert, die Bewegungen, die Position einer Künstlerin von den beiden im harten Takt der Musik übernommen wird. In anderen Passagen ist die Performance banal. Was auch daran liegt, dass nicht alle drei Tänzerinnen bei der Premiere in Berlin die gleiche Körperspannung aufboten und im gleichen, „synchronen“ Maße konzentriert waren. Der Spannungsbogen zwischen Anne-Mareike Hess und ihren Mit-Darstellerinnen Sunniva Vikør Egenes und Naama Itvel brach hin und wieder ab. Die vermeintliche Suche nach Eigenständigkeit oder der Ausbruch aus der kurzen Synchronisierung wirkten dann eher bemüht, wie Müdigkeit an einem kalten Novemberabend, und nicht wie eine bewusst gesetzte künstlerische Interpunktion. Die Information an das Publikum, wonach „in einen bewegten Raum, in dem Sound, Licht und drei Tänzerinnen sich den Extremen der subtilen und doch allgegenwärtigen Kraft der Synchronisation hingeben – eine fortwährende Verhandlung, bei der sie sich einander annähern, auf innere und äußere Rhythmen eintakten und schlussendlich zu einem dichten Beziehungsgewebe verschmelzen“, wie es zur Performance heißt, mutete dann seltsam taktlos an. In jedwedem Belang. Die ankündigte fünfzigminütige Dauer reduzierte sich bei der Vorstellung in Berlin auf 35 eingetaktete Minuten.