Entschlossenen, doch schweren Schrittes nähert sich Marechen dem Rosenbeet, wie seit nunmehr fünf Jahren, mit einer Gießkanne, einer Schubkarre, einem Besen. Damals starb ihr Mann, Mitarbeiter der Arbed, dessen Aufgabe es war, eben dieses Blumenbeet zu wässern, zu hegen und zu pflegen: Ein Moment der Bescheidenheit, der Treue in diesem anspruchslosen Alltag einer Arbeiterfamilie. Ein Wohlgefühl breitet sich aus, diese Simplizität, fernab des hochkomplizierten Global Village, der großen Welt da draußen, über die Marechen höchstens aus der Tageszeitung wüsste, läse sie denn überhaupt. Und doch dringt in regelmäßigen Zeitabständen dieses vibrierende, alles überlagernde Brüllen eines Tigers in die unschuldige Welt der Marechen: „En Inder zu Lëtzebuerg. Dat kann dach net sinn.“ So vieles, was nicht sein kann, wird über diese Rentnerin, wird über die heile Welt des beschaulichen Großherzogtums hereinbrechen. Der Tiger wird in den Rosen wüten, seine Beute hat er im Visier und er wird nicht lockerlassen.
In Zusammenarbeit mit Marc Limpach hat Frank Feitler an En Tiger am Rousegäertchen geschrieben und das Drama gemeinsam mit Assistentin Daliah Kentges inszeniert. Darin chronologisieren die Autoren die Geschehnisse rundum die feindliche Übernahme der Arcelor-Gruppe durch das indische Mittal-Unternehmen mit deutlichen Zügen der Farce. Mit Luc Feit, Steve Karier, Désirée Nosbusch, Josiane Peiffer, Christiane Rausch, Annette Schlechter, Serge Tonon und Anouk Wagner werden die teils strategischen, teils tölpelhaften Schritte und Entscheidungen aus politischer, spekulativer, proletarischer und unternehmerischer Perspektive persifliert. Von den ersten Lachern über die unglaubwürdige Meldung und die borniert protektionistischen Töne in den luxemburgischen Medien bis hin zur unabwendbaren Übernahme bieten die Autoren das gesamte Spektrum an Unvermögen und Böswilligkeiten, das mit dem Aufkauf einherging.
Insbesondere macht En Tiger am Rousegäertchen jedoch deutlich, wie die Globalisierung unabwendbar, einer Schicksalsgöttin gleich, nach dem Alltag des kleinen Bürgers greift, welche Naivität und Inkompetenz sich unter den luxemburgischen Vorständen breitgemacht hat. Der Stolz einer gesamten Stahlarbeitergeneration schlägt sogleich um in tumben Rassismus und plumpen Patriotismus dann, wenn „der Inder“ mit der Realität der Globalisierung droht, einer Globalisierung, von der dasselbe Großherzogtum in guten Zeiten nur zu gerne seinen Nutzen zog und zieht.
Stilistisch überlagern die Elemente der Farce. Szenenweise wird gekonnt mit dem Provinzdenken luxemburgischer Kleingeister gespielt und die Öffentlichkeitsarbeit des Arcelor-Vorstandes als Provinzposse entlarvt. Bisweilen schlittert das Niveau an diesem Abend im Studio des Grand Théâtre jedoch selbst zur Farce ab, dann, wenn ein „schäissegal“ für Grölen im Publikum sorgt oder der Premierminister seine Geduld angesichts der bevorstehenden PKW-Kontrolle in Sandweiler rühmt. In solchen Szenen kommt Feitlers Text die Stilsicherheit abhanden, seine Arbeit nicht über die Qualität einer Revue-Passage hinaus. Derart schwache Momente überwiegen jedoch nicht.
Darstellerisch seien an diesem Abend jedoch drei Namen hervorzuheben: Insbesondere in rhetorischen Belangen ist die sehr klare und atemlos zwischen vier Sprachen hin- und herjonglierende Désirée Nosbusch erwähnenswert. Stellenweise durch Chopins nachdenkliche Nocturnes und Bachs Wohltemperiertes Klavier untermalt, überragt der verzweifelte Vorstand Steve Karier zudem mit seiner durch innere Erschütterung wankenden Stimme, als er Marechen und ihrer Freundin die Hintergründe des Übernahmefiaskos zu erklären versucht, im Anschluss jedoch ahnt, dass zwischen den Global Player und der Welt dieses Kleinbeets sämtliche Verbindungen gekappt sind. Karier schenkt Feitlers Farce hier einen ganz besonders ernstlichen und eingehenden Moment.
In hervorstechender Erinnerung bleibt dazu Anouk Wagener: Sie begleitet und kommentiert diesen Abend am Klavier, zweckentfremdet die Tasten gleichsam zur Schreibmaschine und spricht die Hei-Elei-Nachrichten dazu mit blondem Haarteil und vorgehaltenem Papp-Fernsehrahmen. Ihre klare und komische Gestik ist ein stiller Höhepunkt an diesem Abend, der sehr traditionell, stellenweise wahrhaft flach und doch mehrheitlich kritisch ausfällt.