Asyl- und Migrationspolitik sind hart umkämpfte Politikbereiche, die seit Jahrzehnten nicht wirklich „gelöst“ worden sind und es auf absehbare Zeit wohl auch nicht werden. „Schengen“, zum Beispiel, wird seit den Forderungen des italienischen Premiers Silvio Berlusconis und des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, die Freizügigkeit von Personen innerhalb der EU im größeren Maßstab wieder aussetzen zu können, nachdem einige Tausend Tunesier illegal nach Italien eingereist sind, plötzlich heiß diskutiert. Dazu kommt, dass Dänemark wieder dauerhaft stationäre Kontrollen einführen will, auch wenn das Land zuletzt ein wenig zurückgerudert hat.
Die letzte EU-Ministerratstagung der Innen- und Justizminister dauerte zwei Tage, vom 9. bis zum 10. Juni. Gemeldet haben die Tageszeitungen vor allem ein Ergebnis des ersten Tages: Bulgarien und Rumänien dürfen nicht, wie von der EU-Kommission befürwortet, dem Schengen-Raum beitreten. Es war dies nicht das erste Urteil der Kommission über die Anstrengungen beider Länder, die Vorgaben für einen Schengen-Beitritt zu erfüllen. Rumänien erfüllt diese Anforderungen schon länger, beide Länder sollten aber gemeinsam aufgenommen werden. Jetzt hat auch Bulgarien die technischen Anforderungen erfüllt, allein mit dem Beitritt wird es wohl so schnell nichts werden. Der Rat hat die Empfehlung der Kommission ignoriert und das, obwohl das Europäische Parlament die Kommission ausdrücklich unterstützt und in einer Resolution den Beitritt ebenfalls gefordert hatte.
Der Rat hatte mit beiden Ländern noch eine Rechnung offen. Den letzten beiden Beitrittsländern zur EU wird vorgeworfen, die Korruption nicht ausreichend zu bekämpfen und kein wirklich unabhängiges Justizsystem zu besitzen. In beiden Fällen hätten sie Versprechen gebrochen beziehungsweise wieder rückgängig gemacht. Das Schengen-Dossier hat sich der Rat für den September auf Wiedervorlage gelegt. Bis dahin liegt dann auch eine Beurteilung der Kommission zu Korruptionsbekämpfung und Justiz vor. Vor allem Deutschland und Frankreich haben sich für die Verschiebung stark gemacht, aber auch die Niederlande sind mit so starker Kritik hervorgetreten, dass der rumänische Außenminister die niederländische Botschafterin letzten Dienstag zu einem Gespräch einbestellt hat. Laut einem Bericht von Radio France International sollen niederländische Vertreter auf der Ratstagung Rumänien den Status eines Rechtstaates abgesprochen haben.
Die EU-Kommission hat den Auftrag erhalten, Vorschläge für eine Schengen-Reform vorzulegen, die nationale Alleingänge zwar ausschließen, kurzfristige Grenzschließungen beziehungsweise -kontrollen, die auf europäischer Ebene beschlossen werden, aber wieder möglich machen sollen. Völlig untergegangen ist, dass sich der Rat der Innen- und Justizminister neben der Entscheidung zu Schengen auch noch mit einigen anderen, erst mal weniger schlagzeilenträchtigen Themen beschäftigt hat. Die Regeln für die europäische Grenzschutzagentur Frontex sollen modernisiert werden. Das Europäische Parlament drängt auf eine weitere Europäisierung der Agentur und will den Kern einer echten europäischen Grenzpolizei auf den Weg bringen. Nach den Vorstellungen des Parlaments soll die Mitarbeit bei Frontex in Zukunft für die Mitgliedstaaten Pflicht werden. Die Agentur soll unabhängiger werden, besser ausgestattet und schneller einsetzbar. Sie soll einen eigenen Verhaltenskodex entwickeln, bei der Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern oder illegalen Migranten mitwirken können, kleinere Ländern konsequenter bei ihren Grenzschutzaufgaben unterstützen und eigenständig Daten verarbeiten können.
Vor allem die Abstellung von nationalen Grenzschützern und der Name gemeinsamer Grenztruppen für gemeinsame Aktionen wie die vorgesehenen schnellen Grenzschutzeinsätze (Rabit, Rapid Border Interventions), die auf Anfrage eines Mitgliedstaates durchgeführt werden sollen, sorgen noch für Kopfzerbrechen beim Rat. Es geht dabei nicht nur darum, dass die vorgesehenen drei Tage Bereitstellzeit zusätzliche Anstrengungen der Mitgliedstaaten erfordern, sondern vor allem darum, dass die Mitgliedstaaten wieder einmal nur ungern ihre eigenen Prärogativen beschneiden lassen wollen. Ursprünglich sollte der Bericht des Parlamentes auf dieser Sitzung abgesegnet werden, damit ihn das EP in zweiter Lesung endgültig und ohne dass es zu einem Schiedsverfahren kommt, beschließen kann. Verhandelt wird mit dem EP seit April. Dennoch ist der Handlungsdruck so groß, dass der Rat in den Schlussfolgerungen seiner Sitzung ausdrücklich festhält, dass man möglichst bis Ende Juni eine Einigung mit dem EP erzielt. Denn dann könnte das EP den Bericht noch in seiner letzten Sitzungswoche vor den Sommerferien beschließen.
Die Europäisierung der legalen Einwanderung ist ein weiteres wichtiges Zukunftsthema innerhalb der EU. Es ist Sitte in den Brüsseler Institutionen die Rechte der Mitgliedstaaten zu betonen, um dann im nächsten Absatz deren Schwächung zu betreiben. Wenn selbst der Rat, das Vertretungsorgan der Nationalstaaten, dieses Spiel betreibt, dann ist klar, dass der nationale Rahmen schon lange zu eng geworden ist. Der Rat unterstützt Bemühungen der Kommission, eine einheitliche europäische Arbeitserlaubnis für Drittstaatler auf den Weg zu bringen, um für Saisonarbeiter und Mitarbeitern aus internationalen Konzernen die bürokratischen Hürden zu senken. Der Ruf nach verbesserter Integration ist dazu die immer wiederkehrende Begleitmusik. Auch dazu wird die Kommission demnächst eine Mitteilung vorlegen.
Auch die Asylpolitik soll europäisiert werden. Bis 2012 soll ein einheitliches europäisches Asylsystem stehen. Hier aber sind Zweifel angebracht, wohin der Weg führt und ob das zu schaffen sein wird. Denn neben einem „kohärenten, flexiblen und realistischen System“ soll auch die innereuropäische Solidarität respektiert werden. So wie sich die Mitgliedstaaten gerade in vielen Politikfeldern aufführen, ist man versucht zu sagen: Wer’s glaubt, wird selig.