Griechenlands Schuldenkrise ist ein Schrecken ohne Ende. Die wichtigste Frage in diesem Drama aber lautet: Schrecken ohne Ende für wen? Der Trick liegt darin, zwischen Einzel-, Gruppen- und Staatsschicksal zu unterscheiden. Was den Einzelnen den Job kostet und in Verzweiflung stürzt, kann für die Gemeinschaft langfristig sinnvoll, notwendig und richtig sein. Das Ganze nennt man dann Politik. Kaltes Herz und kühler Verstand sind dabei, wie in jeder Krise, das Gebot der Stunde. Beiden haben sich der Internationale Währungsfonds und die Europäische Union verschrieben. Bisher ohne Erfolg.
Der Grund dafür liegt in dem Umstand, dass die griechische Schuldenkrise im Kern eine Modernisierungskrise ist. Das macht es Währungsfonds und EU so schwer, adäquat darauf zu reagieren. Mit rein wirtschaftspolitischen Rezepten ist es nicht getan. Alles andere aber ist noch mehr ureigene Angelegenheit der griechischen Gesellschaft. Man kann die griechische Regierung und das Land unter Druck setzen, zu seinem Glück zwingen kann man es nicht. Spulen Währungsfonds und EU weiter ihr Programm für Griechenland runter, kann es dazu kommen, dass das Land unregierbar wird. Es braucht einen neuen Ansatz.
Hier ist guter Rat teuer. Niemand kann für Griechenland die wirtschaftspolitischen Grundregeln außer Kraft setzen. Eben weil das so ist, deshalb sitzt Griechenland ja so tief in der Patsche. Solange der Euro nicht gefährdet ist, sind den übrigen Europäern die griechischen Schuldenprobleme herzlich egal. Auf Mitleid dürfen die Griechen deshalb nicht hoffen. Sie müssen sich in erster Linie selbst helfen. Die europäischen und internationalen Kreditlinien dienen weniger der Sanierung Griechenlands als vielmehr darum, Schlimmeres zu verhindern.
Was könnte dieses Schlimmere sein? Erstens die Pleite der griechischen Banken, was ihre Verstaatlichung oder ihren Verkauf nach sich zöge. Nur: Der Staat kann sich die Banken gar nicht leisten und wer kauft schon zahlungsunfähige Schuldner? Schlimmer noch: Man kann von den Banken halten, was man will, funktionieren sie nicht, ist alles noch schlimmer. Griechenland würde bei einer griechischen Bankenpleite vollends ins Chaos abgleiten. Zweitens die Verdoppelung der griechischen Schulden in Euro, sollte das Land aus dem Euro austreten, die Drachme wieder einführen und entsprechend der Notwendigkeiten abwerten.
Drittens der Wertverlust griechischer Schuldscheine bei der Europäischen Zentralbank (EZB). Das wäre ein harter Schlag, aber finanztechnisch wohl zu verkraften. Für die Weltwährung Euro allerdings, die nicht nur von der Wirtschaftskraft Europas abhängt, sondern mindestens ebenso viel von der internationalen Reputation der EZB, wäre das ein Rückschlag, von dem sie sich längerfristig nicht erholen könnte. Wer in der Krise Geld druckt (nichts anderes ist das Ergebnis, wenn die EZB schlechte Schuldscheine aufkauft), kommt damit nur durch, wenn er seine Ziele erreicht. Scheitert die EU in Griechenland, scheitert nicht der Euro, aber sehr wohl die EZB. Sie stände als eine Bank dar, die ihre politische Unabhängigkeit bei der erstbesten Gelegenheit geopfert hat, denn sie hat griechische Schuldverschreibungen durchaus auf politischen Druck hin aufgekauft oder als Sicherheiten akzeptiert.
Viertens Verluste für „Privatanleger“. Die größten Privatanleger sind die deutschen Banken. Sie haben ihr Versprechen gegenüber dem deutschen Finanzminister Schäuble gehalten und kaum griechische Schuldscheine verkauft. Deshalb stehen sie jetzt als die Deppen der Branche dar, die anderen Banken waren schlauer. Dennoch: Den finanziellen Verlust einer griechischen Pleite könnten sie wahrscheinlich verkraften.
Wirklich bitter aber bleibt es für die Griechen selbst. Sie gehen durch ein Tal der Tränen, egal was die Zukunft bringt. Sie haben aber die Chance, ihr Land so zu verändern, dass Steuern gezahlt, Berufe nicht mehr wie Zünfte organisiert werden, Kompetenz statt Parteizugehörigkeit bei der Einstellung zählt und die alltägliche Korruption zurückgedrängt wird. Griechenland muss sich selbst neu erfinden. Es ist auf dem Weg dazu. Aber solange eine Mehrheit der Menschen glaubt, dass es dem Land deshalb so schlecht geht, weil es so viele deutsche Waren gekauft hat und die Deutschen jetzt nicht die Rechnung dafür begleichen wollen, so lange steht das schwerste Stück Arbeit noch bevor.
Das Programm der EU ist im Grunde ganz einfach: Nicht „Augen zu und durch“, denn es gibt im Moment keinen Horizont, den man ansteuern könnte. Es gilt die Devise „Augen zu und abwarten“. Niemand weiß, wie sich die Zahlungsfähigkeit Griechenlands wieder herstellen lassen kann. Der deutsche Finanzminister möchte Griechenland jetzt doch auf möglichst sanfte Art Bankrott gehen lassen, seine Kollegen wehren sich noch und niemand kann das Risiko einschätzen, das auf den Finanzmärkten damit für den Euro und für Griechenland verbunden ist.
Wenn auch die deutschen Banken ihre griechischen Schuldscheine an die EZB weitergereicht haben, dann ist das Land reif für eine Umschuldung auf Kosten der Steuerzahler. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Bis es so weit ist, werden die europäischen Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfeltreffen Ende dieses Monats aller Voraussicht nach noch einmal neue Kredite bewilligen.