Die Geschichte lehrt, dass sich Krisen meist in Schüben entfalten, und die Krise in der Euro-Zone ist nicht ausgestanden. Da war vor drei Jahren die Hypothekenkrise in den USA, von der die Experten uns lehrten, dass sie ein bedauernswertes Problem der USA sei und bleibe. Bis sie einen internationalen Bankenkrach von historischem Ausmaß auslöste; große Banken in Europa und auch in Luxemburg mussten mit öffentlichen Mitteln vor dem Zusammenbruch gerettet werden. Ein Jahr später gab die Regierung dann Entwarnung, die Krise sei überstanden, der Konjunkturaufschwung stehe bevor, die antizyklische Politik des Krisenausstiegs könne beginnen. Bis mit Griechenland einem Euro-Staat zu passieren drohte, was die Verträge gar nicht vorgesehen hatten: zahlungsunfähig zu werden und unter seinen Schulden zusammenzubrechen. Das war ein vorübergehendes Liquiditätsproblem einer marginalen Volkswirtschaft, das sie mit einem Überbrückungskredit löse, meldete die Europäische Union. Bis dann der irische Staat unter den verstaatlichten Bankenschulden zusammenbrach und der portugiesische Staat kein Geld mehr zu vernünftigen Zinssätzen geliehen bekam.
Seit einigen Wochen scheint es nun nicht mehr länger zu verheimlichen, dass Griechenland mehr als ein vorübergehendes Liquiditätsproblem hat. Obwohl es sich anscheinend nur um eine marginale Volkswirtschaft handelt, tobt vor und wohl auch hinter den Kulissen der Europäischen Union ein leidenschaftlicher Streit über die angemessene Antwort auf diese Situation. Ob technische Betrachtungen über die Antizipation der Märkte oder demagogische Ausfälle gegen die Liederlichkeit der Griechen, ob wohlgemeinte Ratschläge über den Ausverkauf des griechischen Staatsbesitzes oder semantische Verrenkungen zur Umschreibung einer Umschuldung, alle Argumente sind als Munition willkommen für die Entscheidungsschlacht über die Frage, wer alles für den Schaden heute in Griechenland und morgen in anderen hoch verschuldeten Euro-Ländern bezahlen soll. Dies erklärt die Leidenschaft, mit der gestritten wird, und die ganz im Gegensatz zur Einmütigkeit steht, mit der drei Jahre zuvor die weit höheren Zuschüssen an die Banken beschlossen wurden.
Denn bisher waren sich Regierungen, Banken, Investmentfonds, Internationaler Währungsfonds und Europäische Zentralbank einig, dass die Griechen für die Schuldenkrise zahlen sollen. Und es schien kaum jemand zu stören, dass die für Griechenland und demnächst vielleicht andere Schuldenländer vorgesehene wirtschaftliche Zukunft mehr an den Morgenthau-Plan als an Europa 2020 erinnert. Es galt schließlich als abgemacht, dass Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der als Buße und Sühne dargestellten Sparpolitik nur auf den Unwillen der Betroffenen zurückzuführen seien, die es notfalls mit Tränengas und Gummigeschossen, wie in Athen, oder Demonstrationsverbot, wie in Madrid, eines Besseren zu belehren galt. Doch nun, da die „interne Abwertung“ genannte verordnete Verarmung nicht die nötigen Steuern abwirft, um die Staatsschuld zu drosseln, und die ausländischen Überbrückungskredite bestenfalls ausreichen, um den Schuldendienst gegenüber den privaten Gläubigern fortzusetzen, wird offensichtlich, dass die Griechen und vielleicht bald andere Euro-Staaten nicht aus ihrer Schuld herauskommen wollen, sondern es nicht können. So dass in den kommenden Wochen geklärt werden muss, wer außer ihnen mit „sanften“ oder „harten“ Umschuldungen noch zahlen muss: durch die zwischenstaatliche Verstaatlichung der Schulden die Steuerzahler anderer Länder, die mit Zinsaufschlägen antizipierenden eigenen oder fremden Banken und Investitionsfonds, das durch Kaufkrafteinbußen getroffene produzierende Gewerbe...