André Gillander ist ein „Kleiderschrank“ von einem Mann und 1,95 Meter groß. Seit 25 Jahren ist er Zugbegleiter bei den CFL und sagt von sich: „Wenn mich ein Fahrgast anpöbelt, weiß ich, dass mir das nicht persönlich gilt, sondern meiner Uniform. Da verliere ich nicht meine Ruhe.“
Doch vor ein paar Jahren wurde ein Passagier tätlich und schlug den erfahrenen, gelassenen Hünen derart, dass dieser eine Nacht in einer Krankenhaus-Notaufnahme verbringen musste und anschließend drei Tage krank geschrieben war. „Alles begann mit einer Fahrkartenkontrolle, bei der sich zeigte, dass das Ticket nicht gültig war“, erinnert sich Gillander. „Plötzlich aber sah der Fahrgast einen Bekannten und meinte wohl, es sich nicht leisten zu können, von mir erwischt worden zu sein. Er begann auf mich einzuschlagen. Ich versuchte ihm auszuweichen, aber er hörte nicht mehr auf.“
Angriffe auf das Personal in den Zügen, aber auch auf den Bahnhöfen sowie in Bussen und an Haltestellen sind seit Jahren ein Thema. Es ist so virulent, dass 2005 beim Transportministerium ein Begleitkomitee eingerichtet wurde, das sich zweimal jährlich trifft, die Lage bespricht und „Maßnahmen“ diskutiert. Nicht zuletzt hat dafür der Druck vonseiten der beiden Transportgewerkschaften FNCTTFEL-Landesverband und FCPT-Syprolux gesorgt. Der Syprolux verlangt nun allerdings, einen entscheidenden Schritt weiter zu gehen: „Die Lage“, sagt Mylène Wagner-Bianchy, die Generalsekretärin der christlichen Gewerkschaft, „ist so schlimm, dass es schlimmer kaum noch geht.“ Die Bandbreite der Attacken reiche von Beschimpfungen über Anspucken bis hin zu Krankenhausreifschlagen, und die Zahl der Angriffe wachse. „Deshalb wollen wir, dass bei der Polizei eine Sondereinheit für den öffentlichen Transport geschaffen wird.“
Die Statistiken zeichnen in der Tat kein erfreuliches Bild. Wurden 2007 bei den CFL 137 „aggressions dont ont été victimes des agents CFL“ gezählt und 157 im Jahr 2010, waren es im vergangenen Jahr 224. Zwar blieb es meistens – in 127 der 224 Fälle – bei Verbalattacken und Beleidigungen. Doch die Zahl der körperlichen Angriffe lag immerhin bei 41, und im Vergleich zum Vorjahr, als es 26 solcher Fälle gab, hatten die körperlichen Angriffe prozentual noch etwas mehr zugenommen als die Verbalausfälle, von denen im Jahr 2010 85 gezählt worden waren. Nach 32 der 41 körperlichen Angriffe im vergangenen Jahr mussten die Opfer krank geschrieben werden, und mit 33 der 41 Fälle waren Zugbegleiter mit Abstand am häufigsten Opfer von körperlicher Gewalt geworden.
Ob dem eine Transportpolizei Einhalt gebieten könnte? Sicherlich nicht immer. In jedem Zug einen Polizeibeamten mitfahren zu lassen, sähe nicht nur nach Polizeistaat aus, sondern zöge auch Attacken gegen diese Polizisten an. Was dem Syprolux vorschwebt, sind eine „raschere Intervention, falls etwas passiert“, sowie vor allem „Prävention durch mehr gezielte Polizeipräsenz“. Vorbild könne die belgische Bahnpolizei sein. Sie hat neben der Intervention bei Vorfällen und der Betreuung von Opfern auch umfangreiche Präventionsaufgaben, die vom „Acceuil“ in Bahnhöfen und Brüsseler Metro-Stationen bis hin zum „Travail de quartier“ in Bahnhofsnähe reichen.
Es komme vor allem darauf an, sagt die Generalsekretärin der Gewerkschaft, klar zu machen, dass die Polizei im öffentlichen Transport ein Akteur sei. Nicht nur bei der Eisenbahn, sondern im Busverkehr ebenso. Dass die Statistiken sich lesen lassen, als fänden Übegriffe vor allem auf Zugbegleiter statt, sei womöglich trügerisch: „Nur bei den CFL wird das systematisch erfasst. Wir wissen auch von Übegriffen auf RGTR-Busfahrer, aber die werden viel seltener gemeldet.“ Deshalb sollten Transportpolizei-Kommissariate regional verteilt eingerichtet werden. Eines am Luxemburger Hauptbahnhof, eines in Esch/Alzette oder Bettemburg, eines in Ettelbrück und eines am Echternacher Busbahnhof.
Braucht man das wirklich? Die Intervention der Polizei klappe heute schon gut, sagt Polizei-Pressesprecher Vic Reuter: „Wenn wir aus einem Zug gerufen werden, schaffen wir es im Grunde immer, am nächsten Bahnhof zur Stelle zu sein.“ So sieht auch Félicie Weycker, die Generalkoordinatorin im Transportressort des Nachhaltigkeitsministeriums und Präsidentin des Sicherheits-Begleitkomitees, die Lage; „nicht nur im Zugverkehr, sondern auch, wenn in den RGTR-Überlandbussen etwas passiert“.
Schon eher scheint die Prävention eine komplizierte Frage zu sein. Unlängst erörterten CFL, Transport-ministerium, Justizministerium und Staatsanwaltschaft, ob, wer sich an Agenten der Bahn vegriffen hat, nicht in einer Art Schnellverfahren abgeurteilt werden könnte. Nein, lautete die Antwort; doch die Staatsanwaltschaft versprach, gegen solche Täter künftig öfter ein Gerichtsverfahren anzustrengen – der Abschreckung wegen.
Und wenn die Polizei „uns noch stärker präventiv zur Seite stehen könnte, wäre das gut“, meint Doris Horvath, die Sicherheitsbeauftragte der CFL. „Unsere Zusammenarbeit ist ausgezeichnet, aber mehr Polizeipräsenz in Bahnhöfen und Zügen wäre vorteilhaft.“ Neben Streifengängen in den Bahnhofsgebäuden geht die Polizei vor allem auf Präventiv-Tour in den Zügen und zeigt Präsenz. „Ob man das ausweitet, ist aber letzten Endes eine politische Frage.“
Beim für die Polizei zuständigen Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) hat der Syprolux zum Thema Transportpolizei schon vorgesprochen. „Ich sehe das aber mit viel Zurückhaltung“, sagt Halsdorf dem Land. Die belgische Bahnpolizei, an der der Syprolux seine Idee orientiert, verfüge landesweit über 503 Beamte, allein 200 in Brüssel und davon 115 in der U-Bahn und 36 am Eurostar-Terminal. „Inwiefern man diese Struktur auf Luxemburg übertragen könnte, weiß ich nicht.“
Er gehe, sagt Halsdorf, davon aus, dass „die Polizei sich laufend an die Sicherheitserfordernisse anpasst“. Danach richte sie ihre Präsenz aus, auch im öffentlichen Transport. Besser als eine Extra-Polizeieinheit zu schaffen, sei deshalb, „für eine schnellere Antwort zu sorgen, falls im öffentlichen Transport etwas passiert“. Was das sein könnte, müsse man analysieren.
Die Zurückhaltung des Ministers hat auch mit der noch nicht vollendeten Reform der Polizei zu tun, der Diskussion um deren notwendigen Personalbestand und die noch offene Debatte um ausgeweitete Vollmachten für Kommunalbeamte, auch Strafbescheide ausstellen zu können. Und immerhin: Noch kurz vor Ende der vorigen Legislaturperiode wurde ein Gesetz über die Sicherheit im öffentlichen Transport verabschiedet. Es legte die Basis für die Schaffung speziell ausgebildeter, vom Transportminister vereidigter Agenten: Sie dürfen jemanden, der sich regelwidrig verhält, nicht nur auffordern, den Zug oder Bus zu verlassen, wie das auch reguläre Zugbegleiter und Busfahrer tun können. Die Agents agréés können auch ein bis zu zwei Stunden langes Verbot zum Wiederbetreten eines öffentlichen Verkehrsmittels oder eines Bahnhofs aussprechen. Und sie sind berechtigt, Personalien festzustellen. Jemanden mit Gewalt aus einem Zug oder einem Bahnhof zu entfernen, darf nach wie vor nur die Polizei.
Auf der Grundlage dieses neuen Gesetzes schuf die Bahn ihre eigene, heute 50-köpfige Sicherheitsmannschaft. Ergänzend zu den 20 Wachleuten privater Sicherheits-Firmen patrouillieren sie in den Bahnhöfen. Sie fahren aber auch in Zügen mit, die als „Problemzüge“ erkannt wurden. Vor allem sind das Züge im Berufsverkehr nach 18 Uhr und in den Morgenstunden am Wochenende die ersten Züge nach Süden und Richtung Lothringen, in denen junge Leute das Nachtleben der Hauptstadt verlassen.
Was die Mannschaft leistet, bilanziert die CFL-Sicherheitsbeauftragte als „gut“. Obwohl für die Beamten Konfliktsituationen programmiert sind, wenn sie nicht nur eine Präsenz zeigen sollen, die an eine die eines Polizisten erinnert, sondern auch in Grenzen intervenieren, ihre Befugnisse jedoch eingeschränkt sind.
„Ich will die Probleme auf keinen Fall kleinreden“, sagt LSAP-Fraktionspräsident Lucien Lux, der 2009 als Transportminister für das Sicherheitsgesetz federführend war. CFL und Polizei sollten, wenn nötig, stärker miteinander kooperieren. 2009 aber habe es „einen Konsens gegeben, keine neue Polizei zu schaffen“. Ehe man erneut darüber redet, sollte man abwarten, was dieses Gesetz gebracht hat. „Das haben wir auch dem Syprolux gesagt, der uns zur Transportpolizei schon kontaktiert hat.“
„Was das Gesetz gebracht hat, wissen wir noch nicht“, sagt Transport-Generalkoordinatorin Weycker. Das liege auch daran, dass erst im vergangenen Jahr ein Katalog von Geldstrafen in Kraft trat, der mit dem neuen Gesetz im Zusammenhang steht: Sich auf Verlangen in einem öffentlichen Transportmittel nicht auszuweisen, wird seitdem ebenso mit Bußgeld belegt wie etwa die Weigerung, ein Fahrzeug oder einen Bahnhof zu verlassen oder nicht mehr zu betreten. Aussprechen dürfen solche Strafen aber nur Polizisten.
Ein wenig sieht das schon nach komplizierter Arbeitsteilung aus. Aber die Gründung der Sicherheitsmannschaft bei der Eisenbahn war auch ein Ausweg, um Personal, das an seinen Arbeitsplätzen wegrationalisiert worden war, im Betrieb zu halten. Zwangsläufig half das andererseits, den Bedarf an Polizisten zu drosseln. Wer ernsthaft über das Gesetz von 2009 diskutieren wollte, müsste all das in Betracht ziehen und bewerten.
Ob die CSV das will, bleibt abzuwarten. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Lux vom Koalitionspartner findet CSV-Fraktionspräsident Marc Spautz, „dass das Gesetz von 2009 offenbar nicht ausreicht angesichts der steigenden Zahl von Übergriffen“. Zwar spricht auch Spautz nicht von einer „Transportpolizei“. Doch „dass die lokale Polizei an den großen Bahnhöfen mehr Präsenz markiert, stellen wir uns schon vor“. Möglicherweise müsse man sie dazu verstärken. Aber – von heute auf morgen werde das kaum gehen.