d’Lëtzebuerger Land: Herr Balkenhol, wie kam es zur Konfrontation im Rahmen der documenta 13 (siehe nebenstehend)?
Stephan Balkenhol: Es ist ein bisschen merkwürdig, weil damit keiner gerechnet hat. Die documenta zieht immer viele Leute an, und die Kirchen, also sowohl die katholische als auch die evangelische, haben in den letzten Jahrzehnten immer parallel dazu Begleitausstellungen gemacht. Das war eigentlich nie ein Problem und immer selbstverständlich. Nur diesmal hat sich die Leiterin der documenta, die Frau Bakagiev, da vehement dran gestört, als ich diese Skulptur aufgebaut hab’, und gesagt, sie fühle sich bedroht und es würde ihr ganzes Konzept konterkarieren. Es sei eine hegemoniale Geste meinerseits, eine „autoritäre Dominanzgeste“ – ganz merkwürdig.
Wie erklären Sie sich diese Reaktion auf Ihr Werk?
Ich finde, psychologisch würde man sagen, es ist eine Spiegelung. Also genau die Sachen, die Sie mir vorwirft, treffen eigentlich auf sie selbst zu oder auf die documenta. Weil, als eine Institution, die Kunst und Künstler vertritt, kann man ja nicht hingehen und gleichzeitig Kunst zensieren oder versuchen, sie zu unterdrücken oder zu beschneiden. Sie hat eigentlich damit ein totalitäres Auftreten und versucht, den ganzen Stadtraum zu kontrollieren und da nichts stattfinden zu lassen, was nicht unter ihrer Kontrolle ist.
Haben Sie mit Frau Christov-Bakagiev sprechen können?
Ich hatte die Figur aufgebaut und bin wieder nach Hause gefahren. Zwei Tage später bekam ich einen Anruf von ihr, in dem sie sagte, sie würde meine Arbeit zwar schätzen, aber sei sehr schockiert über diese Skulptur, und sie hat mich gefragt, ob ich die nicht abbauen und die ganze Ausstellung verschieben wollte, auf September. Gleichzeitig hat sie mir aber gesagt, dass Sie mich jetzt vorwarne und diese Presseerklärung machen würde.
Da gab’s eine Pressekonferenz von der documenta, die ging durch alle Medien, hat aber eigentlich das genaue Gegenteil dessen bewirkt, was sie sich erhofft hat, das heißt alle Leute haben gedacht: Was ist den jetzt los? Also, es hat einen Riesenwirbel gegeben, und das haben die jetzt halt auch gemerkt, dass der Schuss nach hinten losgegangen ist. Sie stecken jetzt zurück und versuchen das Thema totzuschweigen, aber ich finde, es ist wirklich ein großer Skandal.
Es stellte sich dann heraus, dass Sie nicht als einziger von diesen Zensurversuchen betroffen sind.
Es gibt ja auch noch den Gregor Schneider, dessen Projekt eigentlich in der evangelischen Kirche aufgebaut werden sollte. Das wurde dann im Vorfeld sozusagen unterdrückt. Da ist der evangelische Landesbischof auch gleich eingeknickt und der Gregor Schneider ist gar nicht zum Zuge gekommen. Durch meine Geschichte ist der jetzt auch wach geworden und ist dann auch noch mal an die Presse gegangen und hat das verurteilt.
Wie ist ihre Herangehensweise bei Arbeiten im öffentlichen Raum?
Ich versuche, mich von dem Raum inspirieren zu lassen und etwas zu machen, das mit der spezifischen Situation des Ortes zu tun hat. Bestenfalls ist es wie so eine Hochzeit zwischen meiner Skulptur und dem Ort. Wo der Ort dadurch, dass die Skulptur dann drinsteht, viel intensiver wahrgenommen wird und die Skulptur gleichzeitig durch den Ort gewinnt und maximiert wird. Dabei ist auch wichtig, eine Mischung zwischen Selbstverständlichkeit und Irritation zu haben. Dass man zum einen denkt: Klar das hat da schon immer gestanden, das gehört da hin, doch im nächsten Moment stutzt man und überlegt: Ja was? Wie? ... Moment. Was macht das da? Was ist das?
Wenn man so eine Situation findet, dann ist es eigentlich ein Glücksfall. Das ist eine große Spannung, die da anliegt, die den Betrachter dazu führt, seine Wahrnehmung zu überprüfen, hin und her zu denken. Das führt bekanntlich, unter Umständen, zu weiterführenden Erkenntnissen (lacht). Das Ziel der Kunst ist doch, dass man anfängt, irgendwie nachzudenken. Also in Kassel war das zum Beispiel so: Da ist eine Kirche aus den Fünfzigerjahren, die hat einen hohen Kirchturm, und in dessen Spitze gibt es diese leere Kanzel, wo man sich vorstellen kann, dass da mal ’ne Glocke hing, das war aber nie der Fall. Das ist wie ein leeres Haus, das nach jemandem ruft.
Hat Ihre Skulptur im Kassler Kirchturm eine christliche Symbolik?
Zunächst scheinbar, das in der Kirche erinnert natürlich, im weitesten Sinne, an so einen Messias oder Heilsbringer, aber dann passiert die Irritation, weil es ist eben doch ein ganz normaler Mensch. Das Armeausbreiten ist nicht eindeutig, Es ist nicht so, dass der segnet, sondern er könnte auch balancieren. Und es ist mir wichtig, dann trotzdem noch so eine Offenheit da drin zu haben, wo es dann so flimmert mit den Bedeutungen.
Macht das Ausstellen eigentlich noch Spaß?
Ich hab dieses Jahr noch zwei drei Galerieausstellungen ... Ja, schon. Ich brauch das auch, diese Herausforderung und sogar den Druck, obwohl ich dann selbst immer darüber stöhne. Ich bin kein Mensch, der jetzt jeden Tag wie ein Beamter in sein Atelier geht und von 8 bis 17 Uhr da arbeitet und dann sein Butterbrot schmiert und dann nach Hause geht, sondern es gibt Zeiten, wo ich 24 Stunden arbeite, sehr intensiv halt. Dann wieder nicht, es ist eben sehr stoßweise. Ich brauch einfach so eine Aufgabe, dass ich weiß: Es geht um den Raum, und so macht es auch Spaß, sich ein Konzept oder ein Thema für eine ganz bestimmte Ausstellung auszudenken.
In gewisser Weise ist es natürlich nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen, sondern es ist sehr anstrengend, Ich würd’ es vielleicht mit Bergsteigen vergleichen, es ist eben unglaublich mühsam und auch mit Zweifel und Leiden durchsetzt, aber wenn man dann oben auf der Spitze angekommen ist, dann ist es ein sehr euphorischer Moment und bringt einen dann auch weiter.