Mit der Reihe Theater International beleuchten die Herausgeber Dieter Heimböckel und Nathalie Bloch bei Hydre Editions die Folgen der Internationalisierung für die Theaterwelt, dies dank Beiträgen aus Wissenschaft und Schaffen der Großregion. Die Auseinandersetzung mit dem Theater der Gegenwart als „unabgeschlossenenes Denken“, interkulturelle Bühnenarbeit, Formen der Präkarisierung in der Szene sowie der Dialog zwischen Wissenschaft und Theatermachern sollen halbjährlich im Fokus stehen. Dies kündigen die Herausgeber in der Einleitung an.
Mit Franziska Schösslers Aufsatz „Mental Map des Globalen“ und Helmut Schäfers Erfahrungsbericht „Das Prinzip des Reisens ist auch das Prinzip des Fragens“ nähern sich zwei Experten dem Thema in dem kürzlich veröffentlichten ersten Band.
Die Trierer Literaturwissenschaftlerin widmet sich in einem ersten Schritt der rein ökonomischen Rationalisierung öffentlicher Ensembles und den prekären Arbeitsverhältnissen, die aus dieser Rotstiftpolitik ergehen. Transnationale Projekte, mit geringen Mitteln ins Leben gerufen, stünden somit an der Tagesordnung. Schössler geht jedoch besonders auf die Folgen dieser Präkarisierung für Form und Inhalt der gegenwärtigen Theaterarbeiten ein, bezieht sich dabei auf Werke von Christoph Schlingensief und Andrzej Stasiuk. Sie nutzt deren Inszenierungen vorwiegend zur Darstellung des Phänomens, dass die Globalisierung nicht etwa zur Aufhebung von Grenzen, sondern zu deren Verschiebung führt. Mit der Abschiebung von Asylbewerbern (Schauspielern?) per Telefon aus dem Big Brother-Container vor der Wiener Oper als Ort der Hochkultur legt Schlingensief „irritierende Unreinheiten“ und „Selektionspraktiken“ frei, die die Menschenwürde verletzen. Hier wird die Grenze zwischen Menschen erster und dritter Klasse zur polarisierenden Reality-Show.
Bei Stasiuk stellen sich die Aversion gegen die notorisch zukunftsorientierte Haltung des Westens und sein Gegenbild des „Körpers als Medium erinnerter Vergangenheit“ entgegen. Der polnische Dramatiker wehre sich ironisch gegen die „optimistischen Proklamationen der EU, dass jegliche Form von Austausch Kultur schaffe“, qua Auseinandersetzung mit den Gegenbeispielen Waffen- und Organhandel. Für Stasiuks Figuren sei „die Vergangenheit wichtiger als die Zukunft“. Die Hauptfigur in Warten auf den Türken etwa „verweiger(e) sich dem sakrosankten Pathos der Fortschrittlichkeit“. Wo hier die Grenze zwischen geopolitischer Kritik und romantischer Nostalgie zu ziehen ist, darf der Leser selbst entscheiden.
Diese wissenschaftliche Analyse verschobener Grenz-Erfahrungen und ihrer Berücksichtigung im Gegenwartsdrama paart sich mit Helmut Schäfers Erfahrungsbericht rund um das Theater an der Ruhr, dessen Gründungsmittel der Autor ist. Das Schauspielhaus praktiziert das Prinzip der kulturellen Öffnung seit dem Gründungsjahr 1981. Während bei Schössler eher die Verschiebung der Grenzen im Fokus steht, liefert Schäfer eine Chronologie der Öffnung im festen Glauben, der Begriff nationale Kultur sei hinfällig, jede Kultur sei vielmehr hybrider Natur. Die folgerichtige Zusammenarbeit mit Jugoslawien, dem Iran und der Türkei habe gezeigt, dass Theater ein Reisen ist, das zu „Aufklärung“ und „Selbst-Aufklärung“ führe: „Wir haben uns also entschieden, dorthin zu gehen, wo man sich wahrscheinlich nicht auskennt“. Inszenierungen von Brechts Im Dickicht der Städte oder dem „Pinocchio-Faust“ führen im Fortlauf zu kulturellen Clashs, die nur dann bereichern, wenn die Teilhabenden – wie etwa im autoritär geführten Teheran – bereit seien, Neues zu erfahren, zu vergleichen und ihre eigene Lage zu verstehen. Laut Schäfer setzt das transnationale Theater gerade bei solchen multilingualen Produktionen Staunen voraus. Ähnlich dem Sphynx-Mythos müsse der Zuschauer bereit sein, Rätsel „schauend zu verstehen“.
Somit legen Schössler und Schäfer zwei Beiträge vor, die sich dem Reihen-Titel Theater International formal, gattungsbezogen und inhaltlich auf sehr unterschiedliche Weise nähern.