Kinder und Jugendliche nebst Pflanzen – diese auf den ersten Blick höchst unterschiedlichen Motive sind auf den Fotografien der renommierten aus-tralischen Künstlerin Vee Speers zu sehen, die unter dem Titel Secret Garden noch bis zum 29. Oktober in der Wild Project Gallery in der Rue Louvigny in Luxemburg-Stadt ausgestellt sind.
Der fotografische Schwerpunkt der 54-jährigen Wahl-Pariserin liegt auf Porträts von jungen Menschen, ein Sujet, das ihr Portfolio seit geraumer Zeit dominiert, obgleich sie sich zuvor beispielsweise in ihrer Serie Bordello – veröffentlicht mit einem Vorwort von Karl Lagerfeld – im Grenzfeld zwischen Mode- und Erotikfotografie bewegte. Die Geburt und das Heranwachsen von Speers eigener Tochter habe mit dazu beigetragen, sich Themen der Kindheit und Jugend zuzuwenden, wie Fanny Weinquin, Assistentin der Galerie, erklärt.
Dass das Lächeln oder Grinsen, wie es von privaten, aber auch von kommerziellen Kinderfotos vertraut ist, hier fehlt, irritiert die Sehgewohnheiten. Die Kinder stehen jeweils vor einer hellen Mauer und schauen ernsten Blickes in Speers Kamera. Ihre Kleidung und Kostümierung hat nichts Kindliches oder Jugendliches. Stattdessen wirkt sie wie einem Theaterfundus entnommen: Mädchen in glockenförmigen Kleidern oder in modisch anmutenden federbesetzten Mänteln, Jungen in 20er-Jahre-Stoffhosen und Matrosenkappe. Durch Requisiten wie Pilotenbrillen, Umschnallflügel, Blashörner oder abgegriffene Kinderpuppen scheinen die Bilder wie aus einer Fantasiewelt, die Porträtierten wie halb erwachsene, halb kindliche Mischwesen.
Die Porträtaufnahmen der Ausstellung sind den Serien The Birthday Party und Bulletproof entnommen. Wie Weinquin betont, handelt es sich bei den Porträts in Secret Garden um eine vergleichsweise „brave Auswahl“ an Motiven, sind doch auch Stahlhelm tragende und bewaffnete Kinder, manche mit totem Tier unterm Arm, Teil der beiden Serien. Diese Porträts sollen irritieren, ja verstören. Einerseits sind die fantasievollen Requisiten, die der Erwachsenenwelt entnommen sind, eine Referenz auf kindliches Vorstellungsvermögen und Zukunftsträume, andererseits verweisen sie auch auf das Grausame und Brutale, das Kindern wie Erwachsenen potenziell eigen ist. Die Bilder zeigen die Kinder am Anfang oder an der Schwelle ihres Erwachsenwerdens, wo kindliche Unschuld auf das korrumpierte Erwachsenendasein trifft. In der eher gefälligen Auswahl der Ausstellung findet man diesen Kontrast nur in abgeschwächter Form.
Dennoch besitzen die Bilder in Secret Garden eine starke Wirkmächtigkeit. Das Porträt eines lockigen Jungen im Kleid, der sich Hörner aufsetzt, wirkt ebenso diabolisch wie verspielt, hängen doch die Hörner im Umriss einer Narrenkappe vom Kopf. Das androgyne Jungengesicht in Kombination mit dem schwarzen Kleid macht deutlich, wie wenig die Geschlechtsidentität im Kindesalter festgelegt ist und wie unbefangen der Umgang damit erfolgt.
Obschon die Bilder einen starken Einfluss der Modefotografie aufweisen, arbeitete Speers in ihren Serien nicht mit professionellen Models, sondern fotografierte etwa ihre Tochter und deren Freunde, wie Fanny Weinquin erläutert. Die Tochter, der Speers ihre gesamte Serie Thirteen widmete, ist mit hochgestecktem Haar im schwarzen Pelzmantel auf einem der Bilder zu sehen. Speers Interesse am Prozess des Heranwachsens wird auch in der Gegenüberstellung einzelner Fotografien deutlich. So finden sich in Secret Garden zwei Bilder desselben Mädchens, das mit ein paar Jahren Abstand erst für The Birthday Party, dann für Bulletproof fotografiert wurde. Zeigt die ältere Fotografie ein puppenhaftes Kindergesicht, so trägt dieses in der aktuelleren Aufnahme die Züge einer jungen Frau; auch wirkt die Kleidung altersgemäßer. Somit bieten Speers Fotografien nicht nur eine große Projektionsfläche für die imaginierten Geschichten dieser Kinder: Auf ungewöhnliche Weise sind sie auch authentische Dokumente ihrer Entwicklung von der Kindheit zur Adoleszenz.
Unweigerlich stellt sich beim Besuch der Galerie die Frage, wie nun die Pflanzenbilder aus Speers‘ aktueller Serie Botanica zu den Porträts passen. Gleich einer Miniaturensammlung hängt ein Teil von ihnen beieinander, die Anlehnung an klassische Botanikzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert sticht ins Auge. Die körnige Bildqualität und die reduzierten, leicht unnatürlich wirkenden Farben, die Speers’ Arbeiten generell kennzeichnen, verleihen den Bildern einen grafisch-malerischen Charakter. Speers erzielte diesen Effekt, indem sie die Bilder zunächst schwarz-weiß auf Film fotografierte und nachträglich mit einer ähnlichen Farbpalette digital kolorierte. Gemeinsam mit dem einheitlichen Hintergrund, der stets identischen weißen Wand, zeichnet sich Speers Portfolio durch eine ausgesprochen konsequente Ästhetik aus, die es ermöglicht, dass die Pflanzenbilder bestens mit den Porträts harmonieren. Darüber hinaus sind deutliche Parallelen in Aufbau und Form zu erkennen. Die Pflanzenblüten sind wie Porträts fotografiert, sodass der Betrachter glaubt, in einzelnen Pflanzenfotografien Posen, Blickrichtungen oder gar Frisuren wiederzuerkennen. Offensichtlich wird dieses Formenspiel etwa im Nebeneinander des roten Glockenkleids und einem gleichgroßen Druck einer umgedrehten Blüte derselben Farbe.
In der Zusammenstellung von Secret Garden zeigt sich nicht nur die formal-ästhetische Stringenz der Fotografien von Vee Speers. In erster Linie fungiert die Gegenüberstellung als eine wohl durchdachte und konsequent realisierte Allegorie des Heranwachsens.