„Von einem Prepaidhandy aus rief Gaston eine Nummer bei der Credit Suisse in Genf an und teilte seinem Ansprechpartner mit, die erste Lieferung sei erfolgt. Wie von Bruce angewiesen, lag das Lösegeld bei einer Zürcher Bank. Vereinbarungsgemäß wurde die erste Rate auf ein Nummernkonto bei der AGL Bank in Zürich überwiesen und von dort sofort weiter auf ein anderes Nummernkonto bei einer Bank in Luxemburg.“ So steht es auf Seite 354 des Romans Das Original von John Grisham, der vor wenigen Wochen weltweit erschien. Luxemburg wird ein einziges Mal in diesem Krimi erwähnt, und – wie so oft in internationaler Literatur – nur im Zusammenhang mit seinem Finanzplatz. Dass jedoch nicht nur fiktionale Agenten im Großherzogtum Geldgeschäfte machen, zeigte der Prozess um den deutschen Geheimagenten Werner Mauss, der nun in Bochum zu Ende ging. Die Staatsanwaltschaft warf Mauss vor, Steuern in Höhe von 13 Millionen Euro hinterzogen zu haben. Nach Erkenntnissen der Ermittler nutzte er mehrere seiner diversen Tarnidentitäten dazu, ein kunstvolles Geflecht von Stiftungen, Nummernkonten und Lebensversicherungen zunächst in Südamerika und dann in Luxemburg aufzubauen. Besser hätte auch John Grisham die Geschichte nicht erfinden können.
Auf seiner privaten Internetseite erklärt der Geheimagent sein Wirken in der dritten Person: „Vom Beginn seiner Einsätze an hatte Mauss für sich selbst eine Arbeitsmoral festgelegt: ‚Sei gerecht und furchtlos. Arbeite nie mit dem Revolver oder der Faust. Sei geräuschlos und benutze ausschließlich dein Gehirn. Fühle dich nie als Meister, verhalte dich immer als Lehrling‘. Diese Grundsätze hat Mauss bis zum heutigen Tage angewendet. Mauss ist überzeugter Nichtraucher und trinkt nur zu gesellschaftlichen Anlässen Alkohol.“ Über sein Wirken schwadroniert er so: „Wegen seiner Erfolge in der Verbrechensbekämpfung wurde Mauss als ziviler Mitarbeiter vom Bundeskriminalamt und anderen deutschen Bundes-, Landes- und Stadtpolizeidienststellen gegen Banden, Mörder, Terroristen, Schwerstkriminelle und Einzeltäter eingesetzt. Mauss erhielt keine Erfolgsprämien. Der zu dieser Zeit langjährige BKA-Präsident Dr. Horst Herold erklärte damals gegenüber der Öffentlichkeit und wie von der Presse zitiert: ‚Er ist meine Geheimwaffe‘. Mauss war an der Zerschlagung von mehr als einhundert kriminellen Gruppierungen und der Festnahme von ca. 2 000 Personen beteiligt.“
Eine beachtliche Lebensleistung! Das fand jedenfalls der Vorsitzende Richter in Bochum. Seine Kammer verurteilte Mauss nicht zu sechs Jahren und drei Monaten Freiheitsentzug, wie es die Staatsanwaltschaft gefordert hatte, sondern nur zu zwei Jahren auf Bewährung (und zu einer Zahlung von 200 000 Euro an zwei wohltätige Organisationen – „ein schwerreicher Mann wie Mauss zahlt das aus der Portokasse“, meinte die FAZ). Das Urteil lässt erstaunen. Denn im Jahre 2008 hatte der Bundesgerichtshof (BGH), das höchste deutsche Strafgericht, in einer Grundsatzentscheidung judiziert, dass bei Steuerhinterziehungen ab einer Million Euro regelmäßig eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren schuldangemessen sei. Diese kann nach deutschem Recht nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden. Im Jahre 2012 präzisierte der BGH seine Rechtsprechung dahingehend, dass besonders gewichtige Milderungsgründe, die ausnahmsweise eine Strafe zur Bewährung ermöglichten, jedenfalls nicht in einer (sowieso geschuldeten) Rückzahlung der Steuerschuld, der bisherigen Unbestraftheit des Angeklagten, einem Geständnis und einer langen Verfahrensdauer lägen. Daher wurde die zweijährige Bewährungsstrafe für einen Augsburger Unternehmer aufgehoben, der rund 1,1 Millionen Euro Steuern hinterzogen hatte. Der Mann musste dann doch noch ins Gefängnis.
Bei Mauss ging es nicht um 1,1 Millionen, sondern um 13 Millionen Euro. Dass er mit einer Bewährungsstrafe davonkommt verwundert. Der Geheimagent ist dabei schon der zweite Prominente, der eine relativ niedrige Strafe für ein Steuerdelikt bekommt. Wegen der Hinterziehung von 28,5 Millionen Euro Steuern war der Fußballfunktionär Uli Hoeneß von einem Münchener Gericht zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Zur Überprüfung beim Bundesgerichtshof gelangte der Fall nicht, weil sich die Staatsanwaltschaft nicht veranlasst sah, ein entsprechendes Rechtsmittel einzulegen. Hoeneß Haft indes war kürzer als gedacht: Es dauerte nur drei Monate und 18 Tage, bis ihm zum ersten Mal Hafturlaub gewährt wurde. Kurze Zeit später kam er in den offenen Vollzug und wurde schließlich vorzeitig entlassen. Doch während Hoeneß immerhin das Gefängnis von innen kennenlernte musste, bleibt der in Luxemburg investierende und in Rheinland-Pfalz lebende Mauss in Freiheit. Er hatte laut Presseberichten 35 Millionen Euro an Zinsen in Luxemburg eigenommen.
Die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor, deshalb muss man sich bei der Bewertung des Strafmaßes an die mündlichen Erläuterungen des Vorsitzenden Richters orientieren. Mauss, lobte dieser, habe sich sein ganzes Leben lang nichts, „aber auch rein gar nichts“ zu schulden kommen lassen; als Verbrechensbekämpfer schaue er vielmehr auf eine „große Lebensleistung“ zurück, vor der das Gericht „den größten Respekt habe“.
Die „Lebensleistung“ als außerordentlichen Strafmilderungsgrund hatte das Landgericht München im Hoeneß-Verfahren erfunden, kein Gesetz kennt dieses Argument. Es ist ein Bonbon für Fußball-Manager und Geheimagenten, aber wohl kaum für Krankenschwestern oder Grundschullehrer. Zwar glaubte das Gericht Mauss nicht, nach der das in Luxemburg liegende Geld einem „Geheimbund von Agenten“ gehöre. Denn für einen solchen Geheimbund westlicher Geheimdienste fanden sich weder Zeugen noch Belege: Kein zweites „Stay behind“. Pikant zudem: Mauss hatte verfügt, dass das Geld nach seinem Tod einigen Familienmitgliedern zugutekommt – was kaum möglich ist, wäre man nur Verwalter und nicht Eigentümer.
Doch das Gericht folgte einem Hilfsantrag der Verteidigung, die argumentierte, man müsse die Steuerhinterziehung netto ausweisen, bei den 13 Millionen also jene Aufwendungen gegenrechnen, die Mauss hätte von der Steuer abziehen können. Die Süddeutsche Zeitung zitierte unter anderem Aufwendungen in Höhe von 2,5 Millionen Euro zur „Rettung des (früheren) Papstes“, denn angeblich wollte die Mafia Benedikt XVI vergiften. In diesen Sphären bewegt sich Mauss, der über einen luxemburgischen Bommeleeër wohl nur lachen würde. Was für das Gericht außerdem für Mauss sprach: Sein hohes Lebensalter (77 Jahre), die lange Verfahrensdauer, dass er nicht vorbestraft ist, und dass er zuvor schon Millionen an das Finanzamt überwiesen hatte. Das sind aber genau jene Argumente, die laut Bundesgerichtshof eine Strafmilderung hin zu einer Bewährungsstrafe gar nicht begründen können. Der zuständige Vorsitzende Richter heißt Markus van den Hövel. Er hat beliebtes Lehrbuch über die Tenorierung im deutschen Zivilprozess geschrieben, aber ebenso über das Turiner Grabtuch publiziert. Doch selbst wenn er, der auch kirchlich engagiert ist, eine Affinität zu geheimen, mystischen Geschichten haben sollte, dürfte er nicht allein über das Strafmaß urteilen. In der zuständigen Großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Bochum sind drei Richter und zwei Laienrichter vertreten, die nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit entscheiden. Das heißt: Mindestens vier Richter waren davon überzeugt, dass Mauss nicht mehr als eine Bewährungsstrafe verdient habe.
Die Strafmaßentscheidung erstaunt Experten wie Thomas Grosse-Wilde von der Universität Bonn. „Nach den Hinterziehungssummen, die in der mündlichen Urteilsbegründung genannt wurden, bewegen wir uns hier im Bereich von Schwerkriminalität“, sagt er gegenüber dem Land. Sehr überraschend sei, wie freihändig das Gericht mit der Ermittlung des Steuerschadens hantiert habe und offensichtlich unklare Einlassungen des Angeklagten ungeprüft übernommen habe. „In einem Steuerstrafprozess kann man nicht offenlassen, ob nun 2 oder 3,5 Millionen oder gar 5 oder 13 Millionen hinterzogen worden sind. Zudem hat der BGH in seiner Grundsatzentscheidung darauf hingewiesen, dass der Aufbau aufwändiger Täuschungssysteme im Ausland strafschärfend zu bewerten ist.“ Und Luxemburg sei für einen Deutschen nun einmal genauso Ausland wie Südamerika.
„Dass das Gericht eine Lebensleistung als Verdienst anrechnet, ist wohl eine Fernwirkung der Hoeneß-Entscheidung. Dies sollte unbedingt vom Bundesgerichtshof höchstrichterlich überprüft werden. Strafgerichte bestrafen Taten – was sie nicht tun, ist, wie das Jüngste Gericht, alle Sünden und Verdienste eines Lebens zu evaluieren.“ Zwar sei das Schlagwort der „Lebensleistung“ immer mal wieder von Gerichten benutzt worden, um milde Strafen auszukehren oder Verfahren einzustellen. Das gelte etwa im Fall des Vaters von Tennisspielerin Steffi Graf oder beim ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. „Dabei sollten sich die Gerichte aber darüber bewusst sein, auf welch abschüssiger Bahn sie sich begeben: Es gibt spätestens seit der Theorie der Gerechtigkeit des amerikanischen Philosophen John Rawls eine Diskussion darüber, inwieweit Talente, Fähigkeiten und Lebenswege Ergebnisse eigener Anstrengungen oder nicht vielmehr arbiträr, ,moral luck’, sind. So sehr wir auch im Strafrecht zu Recht auf dem Axiom beharren, dass wir dem Grunde nach verantwortlich sind für einzelne Straftaten, so naiv ist die Vorstellung, dass wir ganze ,Lebensleistungen’ gerecht vermessen und interpersonal vergleichen können. Warum ist das Leben eines Hilfsarbeiters mit einem IQ von 75, der sich trotz geringer Selbstkontrolle bemüht, nicht straffällig zu werden, aber ein einziges Mal versagt, weniger wert als dasjenige eines hochtalentierten Millionärssohnes, der mit geringer Anstrengung einen angesehenen Beruf erlernt, aber vielleicht viel mehr hätte erreichen können, und dann eine Straftat begeht? Vielen Menschen verwehrt das Schicksal von vornherein, eine ,große Lebensleistung‘ zu erreichen.“ Grosse-Wilde verweist auch darauf, dass es keinen gesellschaftlichen Konsens darüber gebe, was eine große Lebensleistung sei. Er meint, die „Lebensleistungs“-Rechtsprechung setze sich dem Vorwurf der Klassenjustiz aus, Menschen wie Mauss würden davon profitieren. Dass damit auch noch einmal die hanebüchenen Praktiken am Finanzplatz Luxemburg einen Persilschein ausgestellt bekommen haben, bleibt ungesagt.