Am Dienstagnachmittag, kurz nach drei, huschen einige wenige Leute durch den Eingang der Messehallen, die dafür bezahlt werden: Aussteller. Bei dem strahlenden Wetter draußen will kaum jemand freiwillig seine Zeit an einem fensterlosen Ort verbringen, den selbst seine Manager „the box“, die Kiste, nennen. Wo früher im Eingangsbereich Hobbylehmkünstler und -seidenmaler in der Optik eines Wohltätigkeitsbasars ausstellten, werden nun auf Podesten Designermöbel gezeigt, um darüber hinwegzutäuschen, dass es nach der Entfernung des Basars nicht genug zahlende Aussteller gibt, um die Messehallen für die Home & Living zu füllen.
Ein riesiger Stand des Architekten- und Ingenieurordens ist menschenleer. Die Garderobiere spielt mangels Mänteln hinter dem Tresen auf ihrem Mobiltelefon. Die Rolltreppe läuft und läuft, ohne jemanden zu transportieren. Im Nordflügel der Ausstellungshallen stehen Bank-und Versicherungsberater bereit, angehende Eigenheimbesitzer zu beraten. Während der Warterei ist eine Kaffeemaschine Trumpf. Die Maschine lockt die Berater von der Konkurrenz zum Kaffeeklatsch an den Stand, der dadurch belebter aussieht. Eine Rentnerin mit hell violett-grauem Haar schleicht sich währenddessen von einem unbesetzten Stand zum nächsten. Sie macht an jedem Tresen halt, steckt einen Kugelschreiber ein und schaut über die Schulter, um zu kontrollieren, ob ihr jemand dabei zugesehen hat.
In einer Ecke, für die sich offensichtlich kein Aussteller finden ließ, hängen Fotos von Baustellen. Informationen, wer sie wann wo gemacht hat, gibt es nicht. Nebenan verheißen bombastische Stände, samt Fassadenelementen und nachempfundenen Wohnzimmern, das Glück vom Penthouse auf der Cloche d’Or. Der Ausblick aus den falschen Fenstern suggeriert den Blick aus dem im Wohnblock integrierten Sportstudio auf die identische Fassade des Wohnblocks gegenüber und beschwört ein Bild des neuen, materiell sorglosen und cellulitefreieren Ichs herauf, das dort zuhause sein könnte. Sorgfältig zurecht gemachte Hostessen halten auf teures Papier gedruckte Broschüren parat, um Kunden das Versprechen von diesem Wohnglück in die Hand zu geben. An einem Stand von der Größe einer Briefmarke, an dessen Rückwand der Schriftzug des Luxembourg Centre for Architecture (Luca) prangt, hat sich niemand die Mühe gemacht, die Tische und Stühle zu entstapeln.
Unter einem Baldachin, der mit Vogelkäfigen und falschem Efeu und Plastikblumen dekoriert ist, warten leere Tische und Sessel auf Restaurantkundschaft. In der Auswahl am Tresen liegen unter Plastikdeckeln verschlossene kalte Platten mit Fisch und Fleischwaren. Eine Auswahl von delikaten Teekannen im Billy-Regal dahinter kann ihr authentisches Flair nicht richtig entfalten. Vor den leeren Sesseln und Tischen bereitet ein unerschrockener Beamter des Geoportail an einem TV-Bildschirm einen Vortrag über die Anwendung neuer Technologien in der Topografie vor. Während er über die Vorzüge der Laser-Erfassung und der 3D-Darstellung doziert, fertigt hinter ihm ein Kollege der Steuerverwaltung Kopien an. Trotz Mikrofon und Kundenmangel ist der Lärmpegel dermaßen hoch, dass er kaum zu hören ist. Stoisch erklärt der Beamte, dass selbstfahrende Autos die Erfassung und Anwendung solcher Daten in den kommenden Jahren beschleunigen werden. Ein jedes Smartphone liefere Geodaten und jeden Tag 4 000 Gigabytes Informationen, die weiterverarbeitet werden müssten. Die Mitarbeiterin der Messehallen, die für sein Mikrofon zuständig ist, scrollt unbeeindruckt auf ihrem Handydisplay auf und ab. Der Beamte schließt seinen Vortrag über die hyperspektrale Messung mit der Information ab, dass bis 2020 der gesamte Baubestand des Landes in dreidimensional erfasst und abgebildet sein soll. Zwei Hunde bellen sich quer durchs Restaurant feindlich an.
Der Fonds de Logement stellt in einer Ecke die Modelle der Projekte Nei Schmelz und Wunne mat der Wooltz aus. In der Halle nebenan stellt Baupromotor Giorgetti an einem raumfüllenden Stand mehr als ein Dutzend Wohnprojekte mit Modellen aus. Ein teuer gekleideter Rentner informiert sich dort über den Preis einer Wohnung. Ein junges Paar mit Zwillingskutsche informiert sich an einem bescheideneren Stand über Passivhäuser in den Landesextremitäten.
Ein Badezimmerausstatter hat einem bekannten Rentnerpaar an einem Empfangstisch ein Gläschen Sekt angeboten. Dahinter prangt ein mit grellen Slogans und Farben dekorierter Kasten, in dem mittels Virtual Reality-Helm der Traum vom perfekten Badezimmer wunschgemäß individuell erlebt werden kann, ohne dass man darin Möbel oder Dusche hätte installieren müssen. Die Unternehmerin versucht, dem Rentner zu erklären, was sich da hinter seinem Rücken abspielt. „Da sehen Sie dann genau, wie das Bad nachher aussieht.“ Der Rentner hebt eingeschüchtert und verständnislos die Augenbrauen und nimmt angesichts dieser modernen Ungeheuerlichkeit einen beruhigenden Schluck aus seinem Glas.
Kamin- und Ofenbauer versuchen mittels falschem Dampf, intelligent platzierten Lichtern und flatternden Fetzen die Illusion von Wärme in einer ansonsten kalten Welt zu schaffen. Schiebetüren werden geöffnet und geschlossen, mangels Kunden vor dem Tresen telefonieren die Fensterbauer mit den Kunden in der Außenwelt. Im Becken eines Schwimmbadbauers wogen auf leichten Wellen ein paar Quietscheentchen, Hottubs und Whirlpools blubbern und ein Staubsaugerverteter, der keine Staubsauger, sondern Dampfreiniger verkaufen will, saugt energisch imaginären Schmutz vom Hallenboden.
In einem Restaurant dahinter warten Küchenmitarbeiter darauf, mit einem Augenzwickern „Home-Burger“ sowie „Kebab et ses frites“ zu servieren. Die Spielecke nebenan ist wie ausgestorben, die Mecano-Stäbchen auf den Kindertischen, an den die Valentiny-Foundation Kindern am Wochenende Workshops anbietet – ob vom Maestro persönlich, ist nicht angegeben –, liegen in Reih und Glied.
Im Flur Richtung Süd-Portal ist in einer Aufzählung der Gewinner des Bauhärepräis der vergangenen Jahre ebenfalls Gelegenheit, im Vorbeigehen einen Hauch Architektur mitzunehmen. Der Rentnerin mit den violetten Haaren und ihrer Ausbeute an Kugelschreibern und Gummibären helfen die Plakate nicht bei der Suche nach dem Ausgang. Gegen Feierabend steigt die Zahl der Besucher, die after-work auf der Messe vorbeischauen, ohne dass die Aussteller in die Minderheit geraten würden. Ein junger Mann in stramm sitzender Anzughose und hellem Hemd, der Zugangsausweis, den er um den Hals trägt, identifiziert ihn als hochqualifizierten Mitarbeiter einer europäischen Institution, lässt sich gemeinsam mit seiner Partnerin auf Englisch die Modalitäten für ein von der Société nationale des habitations à bon marché (SNHBM) gebautes Eigenheim erklären. Die beiden rechnen, ob sie mit ihren Expat-Gehältern die Kriterien für den sozialen Wohnungsmarkt erfüllen.
Vor der Tür inhaliert ein Sicherheitsbeamter geräuschvoll den Dampf aus seiner E-Zigarette. An der einzigen Parkplatzkasse hat sich eine Schlange gebildet. Ein Schild macht die Besucher darauf aufmerksam, dass ein Einheitstarif von fünf Euro gilt und sie diese bitte bereithalten sollen, um das Bilden von Schlangen vor dem Kassenautomat zu verhindern.