Vergangene Woche hieß der Regierungsrat einen Gesetzentwurf gut, um ab dem 1. Januar 2017 den gesetzlichen Mindestlohn um 1,4 Prozent zu erhöhen. Damit kam die Regierung Art 222-2, Absatz 2 des Arbeitsgesetzbuchs nach, der besagt, dass die Regierung alle zwei Jahre dem Parlament einen Bericht über die allgemeine wirtschaftliche und die Lohnentwicklung sowie gegebenenfalls einen Gesetzentwurf zur Anhebung des sozialen Mindestlohns zustellen muss.
Nun soll der Mindestlohn für Volljährige um 26,92 Euro auf 1 949,88 Euro monatlich steigen. Der 20 Prozent höhere Mindestlohn für qualifizierte Volljährige steigt um 32,31 Euro auf 2 339,87 Euro. Die 1,4-prozentige Mindestlohnerhöhung ist die zweitniedrigste seit Beginn des Jahrtausends, 2001: +3,1 Prozent, 2003: +3,5 Prozent, 2005: +2,0 Prozent, 2009: +2,0 Prozent, 2011: + 1,9 Prozent, 2013: +1,5 Prozent, 2015: +0,1 Prozent, 2017: +1,4 Prozent.
Weil diese Erhöhung eine Anpassung an die allgemeine Einkommensentwicklung darstellt, zeigt sie, wie langsam die Löhne insbesondere nach der Krise von 2008 gestiegen sind. Ohne dass dies für größere Aufmerksamkeit gesorgt hätte, war der von der Generalinspektion der Sozialen Sicherheit errechnete inflationsbereinigte Durchschnittslohn im Jahr 2012 erstmals seit Jahrzehnten um 0,33 Prozent gesunken. Der liberale Finanzminister Pierre Gramegna wies vergangene Woche in seiner Haushaltsrede darauf hin, dass „die Gehälterentwicklung in den letzten Jahren gemäßigt war“.
Die nun beschlossene Erhöhung entspricht einer Anpassung des Mindestlohns an die Entwicklung des durchschnittlichen Einkommens in den beiden zurückliegenden Jahren 2014 und 2015. Zu diesem Zweck dividiert die Generalinspektion der sozialen Sicherheit die inflationsbereinigte Lohnmasse der beiden zurückliegenden Jahre durch die Gesamtheit der Arbeitsstunden. Sie berücksichtigt nur die Löhne der 20- bis 65-Jährigen und dies bis zur beitragspflichtigen Decke in Höhe des siebenfachen Mindestlohns und kappt die fünf Prozent höchsten Löhne, damit die Mindestlohnbezieher nicht von den Gehaltsaufbesserungen der Bankdirektoren profitieren. Außerdem schließt sie die 20 Prozent niedrigsten Einkommen aus, damit vorherige Mindestlohnerhöhungen nicht den künftigen Mindestlohn erhöhen.
Unter dem Strich steigen die Mindestlöhne am 1. Januar aber nicht nur durch die Anpassung an die allgemeine Lohnentwicklung. Weil um die Jahreswende auch eine Indexanpassung an die Lebenshaltungskosten der vergangenen Jahre fällig werden dürfte, steigt der Mindestlohn dann insgesamt um 75,67 Euro auf 1 998,63 Euro im Monat. Der qualifizierte Mindestlohn beträgt dann 2 398,36 Euro, 90,80 Euro mehr als derzeit.
Außerdem kommt den Mindestlohnenmpfängern auch die zum 1. Januar angekündigte Steuerrefeorm zugute. Ein Junggeselle, der den Mindestlohn verdient, zahlt monatlich 37,10 Euro weniger Steuern, beim qualifizierten Mindestlohn sind es 52,92 Euro weniger. In der Steuerklasse 1A für Rentner und Verwitwete und in der Steuerklasse 2 für Ehepaare mit einem einzigen Einkomen kommen 25 Euro mehr heraus; für Alleinerziehende in der Klasse 1A steigt das verfügbare Einkommen einschließlich der Steuergutschrift um 87,50 Euro. Beim qualifizierten Mindestlohn macht die Erspanis knapp zwei Euro mehr aus.
Die LSAP zählt deutlich mehr Mindestlohnempfänger in ihrer Wählerschaft als DP oder Grüne. Deshalb hatte sie schon vor dem Entschluss der Regierung in einer Erklärung angekündigt, dass die Lohnabhängigen sich einer „empfindlichen Kaufkrafterhöhung erfreuen“ könnten. Auch wenn der OGBL Anfang des Monats noch einmal eine zehnprozentige Erhöhung verlangt hatte, weil es sich mit einem „Existenzminimum“ von weniger als 2 000 Euro angesichts der hohen Miet- und Wohnungspreise nicht auskömmlich leben ließe.
Seit seiner Einführung 1945 ist der gesetzliche Mindestlohn umkämpft, so dass auch das Verhältnis der liberalen Koalition zum gesetzlichen Mindestlohn alles andere als eindeutig ist. Im Koalitionsabkommen machte sie ab, Mindestlohn, Arbeitslosengeld und garantiertes Mindesteinkommen „aus der Optik der Eingliederung in den Arbeitsmarkt“, also daraufhin zu untersuchen, ob sie nicht zu hoch seien. Die DP hatte in ihrem Wahlprogramm einen Einstiegslohn als „Ausbildungsmindestlohn“ vorgeschlagen, der „deutlich unter dem aktuellen Mindestlohn“ liegen soll.
Durch die erste Anpassung der Legislaturperiode war der gesetzliche Mindestlohn um 1,93 Euro oder 0,1 Prozent angehoben worden und auch dies noch mit anderthalb Monaten Verspätung. Die Handelskammer sprach von „begrenztem Ausmaß“, der ehemalige LCGB-Vorsitzende Robert Weber nannte 1,93 Euro eine Frechheit.
Trotz ihres angekündigten Reformeifers verzichtet die Regierung darauf, die diskriminierenden Bestimmungen zum Mindestlohn abzuschaffen. So wie bis 1963 der gesetzliche Mindestlohn für Frauen zehn bis 20 Prozent niedriger lag, so ist er es bis heute für Minderjährige, was gegen die 1961 unterzeichnete Sozialcharta des Europarats verstößt. Um diese Diskriminierung zu beenden, hatte das Parlament vor 16 Jahren als ersten Schritt den Mindestlohn für 15- und 16-Jährige erhöht, weitere Schritte sind aber bis heute weder erfolgt, noch geplant, obwohl je nach Alterskategorie bloß einige Dutzend Beschäftigte betroffen sind. Die 15- und 16-Jährigen erhalten ab 1. Januar durch die Anpassung an die Lohentwicklung 1 442,22 Euro, die 17-Jährigen 1 538,37 Euro. Nach der Indexanpassung steigt der Mindestlohn für 15- und 16-Jährige auf 1 498,97 Euro, für 17-Jährige auf 1 598,90 Euro.
Nachdem das Berufungsgericht kurz vor den Wahlen 2013 im Rahmen eines jahrelangen Rechtsstreits Putzfrauen Recht gegeben hatte, dass ihre Berufserfahrung ihnen Anrecht auf den 20 Prozent höheren qualifizierten Mindestlohn gibt, hatte die Regierung dem Unternehmerdachverband UEL im Januar 2015 schriftlich versichert, das seit 1965 anerkannte gesetzliche Prinzip abzuschaffen und so den Putzfirmen nachträglich Recht gegen das Berufungsgericht zu verschaffen.